Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

und zarten Hauch jener schönen Tage in meiner Vor¬
stellung nicht erst künstlich hervorrufen, denn ich fühle
ihn und freue mich seiner noch wie damals, aber zu
fürchten hab' ich gleichwohl, daß meine Schilderung sich
durch die Bekümmerniß verdüstert, welche, während ich
dieses schreibe, meiner Seele in vielfacher Sorge um die
geliebte, von stürmischen Leiden hart befallene Freundin
angstvoll auferlegt ist! Welch tröstlichster Rückblick wird
hier zum schmerzlichsten gewandelt! --

Ich darf hier keine Schilderung meiner geliebten
Rahel versuchen; sie ganz zu kennen und zu würdigen,
kann ich niemanden zumuthen, der nicht in anhaltender
Fortdauer und in allen Beziehungen ihr vertrauter
Lebensgenosse war; denn selbst ihre Briefe, wie reich
und eigenthümlich auch die Quellen ihres Geistes und
Gemüthes dort sprudeln, geben nur ein unvollkommenes
Bild von ihrem Wesen, dessen Hauptsache grade die
ursprüngliche, unmittelbare Lebendigkeit ist, wo alles
ganz anders aussieht, leuchtet und schattet, erregt und
fortreißt, begütigt und versöhnt, als irgend Bericht
oder Darstellung wiederzugeben vermag. Ich will nur
unternehmen, in kurzen Zügen den Eindruck zu bezeichnen,
welchen dies Wesen damals auf mich machte.

Zuvörderst kann ich sagen, daß ich in ihrer Gegen¬
wart das volle Gefühl hatte, einen ächten Menschen,
dies herrliche Gottesgeschöpf in seinem reinsten und voll¬
ständigsten Typus vor Augen zu haben, überall Natur

und zarten Hauch jener ſchoͤnen Tage in meiner Vor¬
ſtellung nicht erſt kuͤnſtlich hervorrufen, denn ich fuͤhle
ihn und freue mich ſeiner noch wie damals, aber zu
fuͤrchten hab’ ich gleichwohl, daß meine Schilderung ſich
durch die Bekuͤmmerniß verduͤſtert, welche, waͤhrend ich
dieſes ſchreibe, meiner Seele in vielfacher Sorge um die
geliebte, von ſtuͤrmiſchen Leiden hart befallene Freundin
angſtvoll auferlegt iſt! Welch troͤſtlichſter Ruͤckblick wird
hier zum ſchmerzlichſten gewandelt! —

Ich darf hier keine Schilderung meiner geliebten
Rahel verſuchen; ſie ganz zu kennen und zu wuͤrdigen,
kann ich niemanden zumuthen, der nicht in anhaltender
Fortdauer und in allen Beziehungen ihr vertrauter
Lebensgenoſſe war; denn ſelbſt ihre Briefe, wie reich
und eigenthuͤmlich auch die Quellen ihres Geiſtes und
Gemuͤthes dort ſprudeln, geben nur ein unvollkommenes
Bild von ihrem Weſen, deſſen Hauptſache grade die
urſpruͤngliche, unmittelbare Lebendigkeit iſt, wo alles
ganz anders auſſieht, leuchtet und ſchattet, erregt und
fortreißt, beguͤtigt und verſoͤhnt, als irgend Bericht
oder Darſtellung wiederzugeben vermag. Ich will nur
unternehmen, in kurzen Zuͤgen den Eindruck zu bezeichnen,
welchen dies Weſen damals auf mich machte.

Zuvoͤrderſt kann ich ſagen, daß ich in ihrer Gegen¬
wart das volle Gefuͤhl hatte, einen aͤchten Menſchen,
dies herrliche Gottesgeſchoͤpf in ſeinem reinſten und voll¬
ſtaͤndigſten Typus vor Augen zu haben, uͤberall Natur

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0171" n="157"/>
und zarten Hauch jener &#x017F;cho&#x0364;nen Tage in meiner Vor¬<lb/>
&#x017F;tellung nicht er&#x017F;t ku&#x0364;n&#x017F;tlich hervorrufen, denn ich fu&#x0364;hle<lb/>
ihn und freue mich &#x017F;einer noch wie damals, aber zu<lb/>
fu&#x0364;rchten hab&#x2019; ich gleichwohl, daß meine Schilderung &#x017F;ich<lb/>
durch die Beku&#x0364;mmerniß verdu&#x0364;&#x017F;tert, welche, wa&#x0364;hrend ich<lb/>
die&#x017F;es &#x017F;chreibe, meiner Seele in vielfacher Sorge um die<lb/>
geliebte, von &#x017F;tu&#x0364;rmi&#x017F;chen Leiden hart befallene Freundin<lb/>
ang&#x017F;tvoll auferlegt i&#x017F;t! Welch tro&#x0364;&#x017F;tlich&#x017F;ter Ru&#x0364;ckblick wird<lb/>
hier zum &#x017F;chmerzlich&#x017F;ten gewandelt! &#x2014;</p><lb/>
          <p>Ich darf hier keine Schilderung meiner geliebten<lb/>
Rahel ver&#x017F;uchen; &#x017F;ie ganz zu kennen und zu wu&#x0364;rdigen,<lb/>
kann ich niemanden zumuthen, der nicht in anhaltender<lb/>
Fortdauer und in allen Beziehungen ihr vertrauter<lb/>
Lebensgeno&#x017F;&#x017F;e war; denn &#x017F;elb&#x017F;t ihre Briefe, wie reich<lb/>
und eigenthu&#x0364;mlich auch die Quellen ihres Gei&#x017F;tes und<lb/>
Gemu&#x0364;thes dort &#x017F;prudeln, geben nur ein unvollkommenes<lb/>
Bild von ihrem We&#x017F;en, de&#x017F;&#x017F;en Haupt&#x017F;ache grade die<lb/>
ur&#x017F;pru&#x0364;ngliche, unmittelbare Lebendigkeit i&#x017F;t, wo alles<lb/>
ganz anders au&#x017F;&#x017F;ieht, leuchtet und &#x017F;chattet, erregt und<lb/>
fortreißt, begu&#x0364;tigt und ver&#x017F;o&#x0364;hnt, als irgend Bericht<lb/>
oder Dar&#x017F;tellung wiederzugeben vermag. Ich will nur<lb/>
unternehmen, in kurzen Zu&#x0364;gen den Eindruck zu bezeichnen,<lb/>
welchen dies We&#x017F;en damals auf mich machte.</p><lb/>
          <p>Zuvo&#x0364;rder&#x017F;t kann ich &#x017F;agen, daß ich in ihrer Gegen¬<lb/>
wart das volle Gefu&#x0364;hl hatte, einen a&#x0364;chten Men&#x017F;chen,<lb/>
dies herrliche Gottesge&#x017F;cho&#x0364;pf in &#x017F;einem rein&#x017F;ten und voll¬<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;ndig&#x017F;ten Typus vor Augen zu haben, u&#x0364;berall Natur<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[157/0171] und zarten Hauch jener ſchoͤnen Tage in meiner Vor¬ ſtellung nicht erſt kuͤnſtlich hervorrufen, denn ich fuͤhle ihn und freue mich ſeiner noch wie damals, aber zu fuͤrchten hab’ ich gleichwohl, daß meine Schilderung ſich durch die Bekuͤmmerniß verduͤſtert, welche, waͤhrend ich dieſes ſchreibe, meiner Seele in vielfacher Sorge um die geliebte, von ſtuͤrmiſchen Leiden hart befallene Freundin angſtvoll auferlegt iſt! Welch troͤſtlichſter Ruͤckblick wird hier zum ſchmerzlichſten gewandelt! — Ich darf hier keine Schilderung meiner geliebten Rahel verſuchen; ſie ganz zu kennen und zu wuͤrdigen, kann ich niemanden zumuthen, der nicht in anhaltender Fortdauer und in allen Beziehungen ihr vertrauter Lebensgenoſſe war; denn ſelbſt ihre Briefe, wie reich und eigenthuͤmlich auch die Quellen ihres Geiſtes und Gemuͤthes dort ſprudeln, geben nur ein unvollkommenes Bild von ihrem Weſen, deſſen Hauptſache grade die urſpruͤngliche, unmittelbare Lebendigkeit iſt, wo alles ganz anders auſſieht, leuchtet und ſchattet, erregt und fortreißt, beguͤtigt und verſoͤhnt, als irgend Bericht oder Darſtellung wiederzugeben vermag. Ich will nur unternehmen, in kurzen Zuͤgen den Eindruck zu bezeichnen, welchen dies Weſen damals auf mich machte. Zuvoͤrderſt kann ich ſagen, daß ich in ihrer Gegen¬ wart das volle Gefuͤhl hatte, einen aͤchten Menſchen, dies herrliche Gottesgeſchoͤpf in ſeinem reinſten und voll¬ ſtaͤndigſten Typus vor Augen zu haben, uͤberall Natur

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/171
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/171>, abgerufen am 24.11.2024.