rechte Bahn zu kommen, indem ich nur in Einem auf der Stelle bestimmt und auf immer fest war, daß mir der außerordentlichste und werthvollste Gegenstand vor Augen sei. Irgend ein Vorurtheil, wie das mißfällige Gerede der Leute aus den verschiedensten Kreisen und Standpunkten seit so langer Zeit mir wohl hätte auf¬ bürden mögen, hatte ich nicht, auch wäre dasselbe an ihrer Gegenwart sogleich zerschellt; der schlichte, natür¬ liche Empfang, die harmlose Klarheit und das anspruchs¬ lose Wohlbehagen des anfänglich nur auf Gleichgültig¬ keiten fallenden Gesprächs, mußten jede mitgebrachte Spannung auflösen, und nach und nach erhob sich da¬ gegen eine neue, die ganz dem Augenblicke selber ange¬ hörte, und schon darin begründet lag, daß jedes Wort, rein und lauter wie der frische Quell aus dem Felsen, auch dem Gleichgültigsten einen Reiz des Lebens, einen Karakter von Wahrheit und Ursprünglichkeit gab, welche durch die bloße Berührung jedes Gewöhnliche zu Unge¬ wöhnlichem verwandelten. Ich empfand auf diese Weise eine neue Atmosphäre, die mich wie Poesie anwehte, und zwar durch das Gegentheil dessen, was gemeinhin so heißt, durch Wirklichkeit anstatt der Täuschung, durch Aechtheit anstatt des Scheins. Es konnte jedoch nicht fehlen, daß unser Gespräch, dem nach allen Seiten so viele Wege vollkommen vorbereitet waren, sehr bald auf bedeutendere Dinge überging, und endlich ganz in Beziehungen des innern Lebens verweilte, zu welchen
rechte Bahn zu kommen, indem ich nur in Einem auf der Stelle beſtimmt und auf immer feſt war, daß mir der außerordentlichſte und werthvollſte Gegenſtand vor Augen ſei. Irgend ein Vorurtheil, wie das mißfaͤllige Gerede der Leute aus den verſchiedenſten Kreiſen und Standpunkten ſeit ſo langer Zeit mir wohl haͤtte auf¬ buͤrden moͤgen, hatte ich nicht, auch waͤre daſſelbe an ihrer Gegenwart ſogleich zerſchellt; der ſchlichte, natuͤr¬ liche Empfang, die harmloſe Klarheit und das anſpruchs¬ loſe Wohlbehagen des anfaͤnglich nur auf Gleichguͤltig¬ keiten fallenden Geſpraͤchs, mußten jede mitgebrachte Spannung aufloͤſen, und nach und nach erhob ſich da¬ gegen eine neue, die ganz dem Augenblicke ſelber ange¬ hoͤrte, und ſchon darin begruͤndet lag, daß jedes Wort, rein und lauter wie der friſche Quell aus dem Felſen, auch dem Gleichguͤltigſten einen Reiz des Lebens, einen Karakter von Wahrheit und Urſpruͤnglichkeit gab, welche durch die bloße Beruͤhrung jedes Gewoͤhnliche zu Unge¬ woͤhnlichem verwandelten. Ich empfand auf dieſe Weiſe eine neue Atmoſphaͤre, die mich wie Poeſie anwehte, und zwar durch das Gegentheil deſſen, was gemeinhin ſo heißt, durch Wirklichkeit anſtatt der Taͤuſchung, durch Aechtheit anſtatt des Scheins. Es konnte jedoch nicht fehlen, daß unſer Geſpraͤch, dem nach allen Seiten ſo viele Wege vollkommen vorbereitet waren, ſehr bald auf bedeutendere Dinge uͤberging, und endlich ganz in Beziehungen des innern Lebens verweilte, zu welchen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0173"n="159"/>
rechte Bahn zu kommen, indem ich nur in Einem auf<lb/>
der Stelle beſtimmt und auf immer feſt war, daß mir<lb/>
der außerordentlichſte und werthvollſte Gegenſtand vor<lb/>
Augen ſei. Irgend ein Vorurtheil, wie das mißfaͤllige<lb/>
Gerede der Leute aus den verſchiedenſten Kreiſen und<lb/>
Standpunkten ſeit ſo langer Zeit mir wohl haͤtte auf¬<lb/>
buͤrden moͤgen, hatte ich nicht, auch waͤre daſſelbe an<lb/>
ihrer Gegenwart ſogleich zerſchellt; der ſchlichte, natuͤr¬<lb/>
liche Empfang, die harmloſe Klarheit und das anſpruchs¬<lb/>
loſe Wohlbehagen des anfaͤnglich nur auf Gleichguͤltig¬<lb/>
keiten fallenden Geſpraͤchs, mußten jede mitgebrachte<lb/>
Spannung aufloͤſen, und nach und nach erhob ſich da¬<lb/>
gegen eine neue, die ganz dem Augenblicke ſelber ange¬<lb/>
hoͤrte, und ſchon darin begruͤndet lag, daß jedes Wort,<lb/>
rein und lauter wie der friſche Quell aus dem Felſen,<lb/>
auch dem Gleichguͤltigſten einen Reiz des Lebens, einen<lb/>
Karakter von Wahrheit und Urſpruͤnglichkeit gab, welche<lb/>
durch die bloße Beruͤhrung jedes Gewoͤhnliche zu Unge¬<lb/>
woͤhnlichem verwandelten. Ich empfand auf dieſe Weiſe<lb/>
eine neue Atmoſphaͤre, die mich wie Poeſie anwehte,<lb/>
und zwar durch das Gegentheil deſſen, was gemeinhin<lb/>ſo heißt, durch Wirklichkeit anſtatt der Taͤuſchung, durch<lb/>
Aechtheit anſtatt des Scheins. Es konnte jedoch nicht<lb/>
fehlen, daß unſer Geſpraͤch, dem nach allen Seiten ſo<lb/>
viele Wege vollkommen vorbereitet waren, ſehr bald<lb/>
auf bedeutendere Dinge uͤberging, und endlich ganz in<lb/>
Beziehungen des innern Lebens verweilte, zu welchen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[159/0173]
rechte Bahn zu kommen, indem ich nur in Einem auf
der Stelle beſtimmt und auf immer feſt war, daß mir
der außerordentlichſte und werthvollſte Gegenſtand vor
Augen ſei. Irgend ein Vorurtheil, wie das mißfaͤllige
Gerede der Leute aus den verſchiedenſten Kreiſen und
Standpunkten ſeit ſo langer Zeit mir wohl haͤtte auf¬
buͤrden moͤgen, hatte ich nicht, auch waͤre daſſelbe an
ihrer Gegenwart ſogleich zerſchellt; der ſchlichte, natuͤr¬
liche Empfang, die harmloſe Klarheit und das anſpruchs¬
loſe Wohlbehagen des anfaͤnglich nur auf Gleichguͤltig¬
keiten fallenden Geſpraͤchs, mußten jede mitgebrachte
Spannung aufloͤſen, und nach und nach erhob ſich da¬
gegen eine neue, die ganz dem Augenblicke ſelber ange¬
hoͤrte, und ſchon darin begruͤndet lag, daß jedes Wort,
rein und lauter wie der friſche Quell aus dem Felſen,
auch dem Gleichguͤltigſten einen Reiz des Lebens, einen
Karakter von Wahrheit und Urſpruͤnglichkeit gab, welche
durch die bloße Beruͤhrung jedes Gewoͤhnliche zu Unge¬
woͤhnlichem verwandelten. Ich empfand auf dieſe Weiſe
eine neue Atmoſphaͤre, die mich wie Poeſie anwehte,
und zwar durch das Gegentheil deſſen, was gemeinhin
ſo heißt, durch Wirklichkeit anſtatt der Taͤuſchung, durch
Aechtheit anſtatt des Scheins. Es konnte jedoch nicht
fehlen, daß unſer Geſpraͤch, dem nach allen Seiten ſo
viele Wege vollkommen vorbereitet waren, ſehr bald
auf bedeutendere Dinge uͤberging, und endlich ganz in
Beziehungen des innern Lebens verweilte, zu welchen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/173>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.