bewegten sich beiderseits in bezugvoller Uebereinstim¬ mung. Schon sehr früh, weit früher, als irgend eine litterarische Meinung der Art sich gebildet hatte, war Rahel von Goethe's Außerordentlichkeit getroffen, von der Macht seines Genius eingenommen und bezaubert worden, hatte ihn über jede Vergleichung hinausgestellt, ihn für den höchsten, den einzigen Dichter erklärt, ihn als ihren Gewährsmann und Bestätiger in allen Ein¬ sichten und Urtheilen des Lebens enthusiastisch ange¬ priesen. Jetzt erscheint das sehr leicht und natürlich, und niemand will Goethe's hohes Hervorragen ver¬ neinen, denn sogar im Bemühen sie einzuschränken giebt man die Bejahung zu, allein damals, wo der künftige Heros noch in der Menge der Schriftsteller mitging, und an Rang und Ruhm ganz Andre weit voranstanden, wo die Nation über den Gehalt und sogar über die Form der geistigen Erzeugnisse noch sehr im Trüben urtheilte, und meist an kleinlichen Neben¬ sachen und äußerlichen Uebereinkommnissen hing, damals war es kein Geringes, mit gesundem Sinn und Herzen aus dem Gewirr von Täuschungen und Ueberschätzungen sogleich das Aechte und Wahre herauszufühlen und mit freiem Muthe zu bekennen. Die Liebe und Verehrung für Goethe war durch Rahel im Kreise ihrer Freunde längst zu einer Art von Kultus gediehen, nach allen Seiten sein leuchtendes, bekräftigendes Wort einge¬ schlagen, sein Name zur höchsten Beglaubigung geweiht,
bewegten ſich beiderſeits in bezugvoller Uebereinſtim¬ mung. Schon ſehr fruͤh, weit fruͤher, als irgend eine litterariſche Meinung der Art ſich gebildet hatte, war Rahel von Goethe's Außerordentlichkeit getroffen, von der Macht ſeines Genius eingenommen und bezaubert worden, hatte ihn uͤber jede Vergleichung hinausgeſtellt, ihn fuͤr den hoͤchſten, den einzigen Dichter erklaͤrt, ihn als ihren Gewaͤhrsmann und Beſtaͤtiger in allen Ein¬ ſichten und Urtheilen des Lebens enthuſiaſtiſch ange¬ prieſen. Jetzt erſcheint das ſehr leicht und natuͤrlich, und niemand will Goethe's hohes Hervorragen ver¬ neinen, denn ſogar im Bemuͤhen ſie einzuſchraͤnken giebt man die Bejahung zu, allein damals, wo der kuͤnftige Heros noch in der Menge der Schriftſteller mitging, und an Rang und Ruhm ganz Andre weit voranſtanden, wo die Nation uͤber den Gehalt und ſogar uͤber die Form der geiſtigen Erzeugniſſe noch ſehr im Truͤben urtheilte, und meiſt an kleinlichen Neben¬ ſachen und aͤußerlichen Uebereinkommniſſen hing, damals war es kein Geringes, mit geſundem Sinn und Herzen aus dem Gewirr von Taͤuſchungen und Ueberſchaͤtzungen ſogleich das Aechte und Wahre herauszufuͤhlen und mit freiem Muthe zu bekennen. Die Liebe und Verehrung fuͤr Goethe war durch Rahel im Kreiſe ihrer Freunde laͤngſt zu einer Art von Kultus gediehen, nach allen Seiten ſein leuchtendes, bekraͤftigendes Wort einge¬ ſchlagen, ſein Name zur hoͤchſten Beglaubigung geweiht,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0183"n="169"/>
bewegten ſich beiderſeits in bezugvoller Uebereinſtim¬<lb/>
mung. Schon ſehr fruͤh, weit fruͤher, als irgend eine<lb/>
litterariſche Meinung der Art ſich gebildet hatte, war<lb/>
Rahel von Goethe's Außerordentlichkeit getroffen, von<lb/>
der Macht ſeines Genius eingenommen und bezaubert<lb/>
worden, hatte ihn uͤber jede Vergleichung hinausgeſtellt,<lb/>
ihn fuͤr den hoͤchſten, den einzigen Dichter erklaͤrt, ihn<lb/>
als ihren Gewaͤhrsmann und Beſtaͤtiger in allen Ein¬<lb/>ſichten und Urtheilen des Lebens enthuſiaſtiſch ange¬<lb/>
prieſen. Jetzt erſcheint das ſehr leicht und natuͤrlich,<lb/>
und niemand will Goethe's hohes Hervorragen ver¬<lb/>
neinen, denn ſogar im Bemuͤhen ſie einzuſchraͤnken<lb/>
giebt man die Bejahung zu, allein damals, wo der<lb/>
kuͤnftige Heros noch in der Menge der Schriftſteller<lb/>
mitging, und an Rang und Ruhm ganz Andre weit<lb/>
voranſtanden, wo die Nation uͤber den Gehalt und<lb/>ſogar uͤber die Form der geiſtigen Erzeugniſſe noch ſehr<lb/>
im Truͤben urtheilte, und meiſt an kleinlichen Neben¬<lb/>ſachen und aͤußerlichen Uebereinkommniſſen hing, damals<lb/>
war es kein Geringes, mit geſundem Sinn und Herzen<lb/>
aus dem Gewirr von Taͤuſchungen und Ueberſchaͤtzungen<lb/>ſogleich das Aechte und Wahre herauszufuͤhlen und mit<lb/>
freiem Muthe zu bekennen. Die Liebe und Verehrung<lb/>
fuͤr Goethe war durch Rahel im Kreiſe ihrer Freunde<lb/>
laͤngſt zu einer Art von Kultus gediehen, nach allen<lb/>
Seiten ſein leuchtendes, bekraͤftigendes Wort einge¬<lb/>ſchlagen, ſein Name zur hoͤchſten Beglaubigung geweiht,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[169/0183]
bewegten ſich beiderſeits in bezugvoller Uebereinſtim¬
mung. Schon ſehr fruͤh, weit fruͤher, als irgend eine
litterariſche Meinung der Art ſich gebildet hatte, war
Rahel von Goethe's Außerordentlichkeit getroffen, von
der Macht ſeines Genius eingenommen und bezaubert
worden, hatte ihn uͤber jede Vergleichung hinausgeſtellt,
ihn fuͤr den hoͤchſten, den einzigen Dichter erklaͤrt, ihn
als ihren Gewaͤhrsmann und Beſtaͤtiger in allen Ein¬
ſichten und Urtheilen des Lebens enthuſiaſtiſch ange¬
prieſen. Jetzt erſcheint das ſehr leicht und natuͤrlich,
und niemand will Goethe's hohes Hervorragen ver¬
neinen, denn ſogar im Bemuͤhen ſie einzuſchraͤnken
giebt man die Bejahung zu, allein damals, wo der
kuͤnftige Heros noch in der Menge der Schriftſteller
mitging, und an Rang und Ruhm ganz Andre weit
voranſtanden, wo die Nation uͤber den Gehalt und
ſogar uͤber die Form der geiſtigen Erzeugniſſe noch ſehr
im Truͤben urtheilte, und meiſt an kleinlichen Neben¬
ſachen und aͤußerlichen Uebereinkommniſſen hing, damals
war es kein Geringes, mit geſundem Sinn und Herzen
aus dem Gewirr von Taͤuſchungen und Ueberſchaͤtzungen
ſogleich das Aechte und Wahre herauszufuͤhlen und mit
freiem Muthe zu bekennen. Die Liebe und Verehrung
fuͤr Goethe war durch Rahel im Kreiſe ihrer Freunde
laͤngſt zu einer Art von Kultus gediehen, nach allen
Seiten ſein leuchtendes, bekraͤftigendes Wort einge¬
ſchlagen, ſein Name zur hoͤchſten Beglaubigung geweiht,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/183>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.