gönnen, was sie davon sich anzueignen Fähigkeit und Neigung haben mochten. Sie ließen anfangs manchen Zweifel und Unglauben spielen, der mich scherzend ver¬ wirren sollte, mußten aber bald den Ernst meiner Ueber¬ zeugung erkennen, und sich zuletzt der durch hundert unabweisliche Zeugnisse sprechenden Geistesmacht beugen. Eine Freundin war verwundert und wollte nicht begrei¬ fen, wie Rahel und ich uns auf die Dauer verstehen könnten, meinte jedoch lächelnd, interessant und original würde ich nachher nicht leicht eine Frau mehr finden. Ein hartnäckiger Widersacher blieb mir Harscher, wie¬ wohl ich grade ihm die eindringlichsten und häufigsten Mittheilungen machte. Er war sehr fähig anzuerkennen und zu bewundern, und zeigte sich oft ganz hingerissen von tiefen und reichen Einzelnheiten, die ich ihm be¬ richtete, so daß er die Andern schalt und beschämte, welche bei ihm Tadel und Widerspruch gehofft hatten, und es gab wohl Fälle, wo er staunend ausrief: "Hier ist alle Tiefe der Schleiermacher'schen Ethik, was sag' ich, hier ist mehr als Schleiermacher, denn hier ist die Wissenschaft in Form des Lebens selbst!" Doch der¬ gleichen Entflammung dauerte nicht lange, sondern gab unvermerkt wieder einem Mißwollen und einer Uebel¬ laune Raum, welche tief in seinem Gemüthe lagen, und gegen ein so freies und gesundes Wesen, wie sich in Rahel darstellte, um so bitterer ausbrachen, als dies mit seinem krankhaften und zerknitterten im hellsten
goͤnnen, was ſie davon ſich anzueignen Faͤhigkeit und Neigung haben mochten. Sie ließen anfangs manchen Zweifel und Unglauben ſpielen, der mich ſcherzend ver¬ wirren ſollte, mußten aber bald den Ernſt meiner Ueber¬ zeugung erkennen, und ſich zuletzt der durch hundert unabweisliche Zeugniſſe ſprechenden Geiſtesmacht beugen. Eine Freundin war verwundert und wollte nicht begrei¬ fen, wie Rahel und ich uns auf die Dauer verſtehen koͤnnten, meinte jedoch laͤchelnd, intereſſant und original wuͤrde ich nachher nicht leicht eine Frau mehr finden. Ein hartnaͤckiger Widerſacher blieb mir Harſcher, wie¬ wohl ich grade ihm die eindringlichſten und haͤufigſten Mittheilungen machte. Er war ſehr faͤhig anzuerkennen und zu bewundern, und zeigte ſich oft ganz hingeriſſen von tiefen und reichen Einzelnheiten, die ich ihm be¬ richtete, ſo daß er die Andern ſchalt und beſchaͤmte, welche bei ihm Tadel und Widerſpruch gehofft hatten, und es gab wohl Faͤlle, wo er ſtaunend ausrief: „Hier iſt alle Tiefe der Schleiermacher'ſchen Ethik, was ſag' ich, hier iſt mehr als Schleiermacher, denn hier iſt die Wiſſenſchaft in Form des Lebens ſelbſt!“ Doch der¬ gleichen Entflammung dauerte nicht lange, ſondern gab unvermerkt wieder einem Mißwollen und einer Uebel¬ laune Raum, welche tief in ſeinem Gemuͤthe lagen, und gegen ein ſo freies und geſundes Weſen, wie ſich in Rahel darſtellte, um ſo bitterer ausbrachen, als dies mit ſeinem krankhaften und zerknitterten im hellſten
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0186"n="172"/>
goͤnnen, was ſie davon ſich anzueignen Faͤhigkeit und<lb/>
Neigung haben mochten. Sie ließen anfangs manchen<lb/>
Zweifel und Unglauben ſpielen, der mich ſcherzend ver¬<lb/>
wirren ſollte, mußten aber bald den Ernſt meiner Ueber¬<lb/>
zeugung erkennen, und ſich zuletzt der durch hundert<lb/>
unabweisliche Zeugniſſe ſprechenden Geiſtesmacht beugen.<lb/>
Eine Freundin war verwundert und wollte nicht begrei¬<lb/>
fen, wie Rahel und ich uns auf die Dauer verſtehen<lb/>
koͤnnten, meinte jedoch laͤchelnd, intereſſant und original<lb/>
wuͤrde ich nachher nicht leicht eine Frau mehr finden.<lb/>
Ein hartnaͤckiger Widerſacher blieb mir Harſcher, wie¬<lb/>
wohl ich grade ihm die eindringlichſten und haͤufigſten<lb/>
Mittheilungen machte. Er war ſehr faͤhig anzuerkennen<lb/>
und zu bewundern, und zeigte ſich oft ganz hingeriſſen<lb/>
von tiefen und reichen Einzelnheiten, die ich ihm be¬<lb/>
richtete, ſo daß er die Andern ſchalt und beſchaͤmte,<lb/>
welche bei ihm Tadel und Widerſpruch gehofft hatten,<lb/>
und es gab wohl Faͤlle, wo er ſtaunend ausrief: „Hier<lb/>
iſt alle Tiefe der Schleiermacher'ſchen Ethik, was ſag'<lb/>
ich, hier iſt mehr als Schleiermacher, denn hier iſt die<lb/>
Wiſſenſchaft in Form des Lebens ſelbſt!“ Doch der¬<lb/>
gleichen Entflammung dauerte nicht lange, ſondern gab<lb/>
unvermerkt wieder einem Mißwollen und einer Uebel¬<lb/>
laune Raum, welche tief in ſeinem Gemuͤthe lagen,<lb/>
und gegen ein ſo freies und geſundes Weſen, wie ſich<lb/>
in Rahel darſtellte, um ſo bitterer ausbrachen, als dies<lb/>
mit ſeinem krankhaften und zerknitterten im hellſten<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[172/0186]
goͤnnen, was ſie davon ſich anzueignen Faͤhigkeit und
Neigung haben mochten. Sie ließen anfangs manchen
Zweifel und Unglauben ſpielen, der mich ſcherzend ver¬
wirren ſollte, mußten aber bald den Ernſt meiner Ueber¬
zeugung erkennen, und ſich zuletzt der durch hundert
unabweisliche Zeugniſſe ſprechenden Geiſtesmacht beugen.
Eine Freundin war verwundert und wollte nicht begrei¬
fen, wie Rahel und ich uns auf die Dauer verſtehen
koͤnnten, meinte jedoch laͤchelnd, intereſſant und original
wuͤrde ich nachher nicht leicht eine Frau mehr finden.
Ein hartnaͤckiger Widerſacher blieb mir Harſcher, wie¬
wohl ich grade ihm die eindringlichſten und haͤufigſten
Mittheilungen machte. Er war ſehr faͤhig anzuerkennen
und zu bewundern, und zeigte ſich oft ganz hingeriſſen
von tiefen und reichen Einzelnheiten, die ich ihm be¬
richtete, ſo daß er die Andern ſchalt und beſchaͤmte,
welche bei ihm Tadel und Widerſpruch gehofft hatten,
und es gab wohl Faͤlle, wo er ſtaunend ausrief: „Hier
iſt alle Tiefe der Schleiermacher'ſchen Ethik, was ſag'
ich, hier iſt mehr als Schleiermacher, denn hier iſt die
Wiſſenſchaft in Form des Lebens ſelbſt!“ Doch der¬
gleichen Entflammung dauerte nicht lange, ſondern gab
unvermerkt wieder einem Mißwollen und einer Uebel¬
laune Raum, welche tief in ſeinem Gemuͤthe lagen,
und gegen ein ſo freies und geſundes Weſen, wie ſich
in Rahel darſtellte, um ſo bitterer ausbrachen, als dies
mit ſeinem krankhaften und zerknitterten im hellſten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/186>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.