Zeit die nöthige Vorkehr in Betreff der Leiche gehörig anzuordnen. Der Ort und die Umstände ihrer Lage gaben wenigstens die tröstliche Vermuthung, daß die Unglückliche nicht lebendig verbrannt sei. Wahrscheinlich hatte sie, abgeschnitten von dem Hauptausgange, oder das dort stockende Gedränge zu meiden wünschend, den Nebenausgang in das Innere des Hotels zu gewinnen gesucht, war unterwegs gefallen, durch Rauch erstickt und erst nachher durch die Flammen selbst ergriffen worden, mit dem einstürzenden Bretterboden aber in jene Wassertiefung hinabgesunken.
Wir verließen nunmehr den Ort der Zerstörung und des Jammers; doch an Schlaf und Ruhe war nirgends zu denken, die furchtbarsten Traumbilder schreckten das hinsinkende Haupt schnell wieder zum wachen Anschauen der Wirklichkeit auf, und in den Straßen, welche durch das Ereigniß der Nacht nur um so volkreicher belebt waren, zeigte der Morgen schon seine volle Thätigkeit.
Ganz Paris war durch Schrecken und Neugier in unruhige Bewegung versetzt. Die Nachricht von dem Brande, durch den Glutschein unmittelbar ver¬ kündet, hatte sich mit Schnelligkeit weithin ausgebreitet. Man vermuthete Anschläge gegen das Leben des Kaisers, den Ausbruch irgend einer großen Verschwörung, Un¬ gewißheit jeder Art spannte die Gemüther. Der Ver¬ dacht, daß das Feuer angelegt gewesen sei, daß die
Zeit die noͤthige Vorkehr in Betreff der Leiche gehoͤrig anzuordnen. Der Ort und die Umſtaͤnde ihrer Lage gaben wenigſtens die troͤſtliche Vermuthung, daß die Ungluͤckliche nicht lebendig verbrannt ſei. Wahrſcheinlich hatte ſie, abgeſchnitten von dem Hauptausgange, oder das dort ſtockende Gedraͤnge zu meiden wuͤnſchend, den Nebenausgang in das Innere des Hotels zu gewinnen geſucht, war unterwegs gefallen, durch Rauch erſtickt und erſt nachher durch die Flammen ſelbſt ergriffen worden, mit dem einſtuͤrzenden Bretterboden aber in jene Waſſertiefung hinabgeſunken.
Wir verließen nunmehr den Ort der Zerſtoͤrung und des Jammers; doch an Schlaf und Ruhe war nirgends zu denken, die furchtbarſten Traumbilder ſchreckten das hinſinkende Haupt ſchnell wieder zum wachen Anſchauen der Wirklichkeit auf, und in den Straßen, welche durch das Ereigniß der Nacht nur um ſo volkreicher belebt waren, zeigte der Morgen ſchon ſeine volle Thaͤtigkeit.
Ganz Paris war durch Schrecken und Neugier in unruhige Bewegung verſetzt. Die Nachricht von dem Brande, durch den Glutſchein unmittelbar ver¬ kuͤndet, hatte ſich mit Schnelligkeit weithin ausgebreitet. Man vermuthete Anſchlaͤge gegen das Leben des Kaiſers, den Ausbruch irgend einer großen Verſchwoͤrung, Un¬ gewißheit jeder Art ſpannte die Gemuͤther. Der Ver¬ dacht, daß das Feuer angelegt geweſen ſei, daß die
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Zeit die noͤthige Vorkehr in Betreff der Leiche gehoͤrig
anzuordnen. Der Ort und die Umſtaͤnde ihrer Lage
gaben wenigſtens die troͤſtliche Vermuthung, daß die
Ungluͤckliche nicht lebendig verbrannt ſei. Wahrſcheinlich
hatte ſie, abgeſchnitten von dem Hauptausgange, oder
das dort ſtockende Gedraͤnge zu meiden wuͤnſchend, den
Nebenausgang in das Innere des Hotels zu gewinnen
geſucht, war unterwegs gefallen, durch Rauch erſtickt
und erſt nachher durch die Flammen ſelbſt ergriffen
worden, mit dem einſtuͤrzenden Bretterboden aber in
jene Waſſertiefung hinabgeſunken.
Wir verließen nunmehr den Ort der Zerſtoͤrung
und des Jammers; doch an Schlaf und Ruhe war
nirgends zu denken, die furchtbarſten Traumbilder
ſchreckten das hinſinkende Haupt ſchnell wieder zum
wachen Anſchauen der Wirklichkeit auf, und in den
Straßen, welche durch das Ereigniß der Nacht nur um
ſo volkreicher belebt waren, zeigte der Morgen ſchon
ſeine volle Thaͤtigkeit.
Ganz Paris war durch Schrecken und Neugier
in unruhige Bewegung verſetzt. Die Nachricht von
dem Brande, durch den Glutſchein unmittelbar ver¬
kuͤndet, hatte ſich mit Schnelligkeit weithin ausgebreitet.
Man vermuthete Anſchlaͤge gegen das Leben des Kaiſers,
den Ausbruch irgend einer großen Verſchwoͤrung, Un¬
gewißheit jeder Art ſpannte die Gemuͤther. Der Ver¬
dacht, daß das Feuer angelegt geweſen ſei, daß die
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/302>, abgerufen am 22.11.2024.
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