dann oft unglücklich genug bedingend zurückwirken, hier glücklicherweise keine Rede ist, so darf der getroffene Sinn frei und froh dem neuen Lichte folgen. Daß jede neue Regung in dem Dichter einen Fortschritt bezeichnet, immer nur einen höheren Gegenstand auch mit erhöhtem Gemüth erfaßt, dies thut ihn dar als der Liebe treu und der Wahrheit, in ihrer menschlich möglichen und gebotenen Entwickelung, welches eine höhere Treue ist, als die gewöhnlich dafür geltende äußere Beharrlichkeit bei einem zufällig ersten Begeg¬ niß. Das Verhältniß zu Lilli zeigt sich aber nicht nur reicher, tiefer und schöner, als alle früheren, sondern in der Reihe der Jugendneigungen auch als das höchste und letzte; ihm folgt kein ähnliches; was weiterhin von Neigungen und Leidenschaften "unseres Freundes" sicht¬ bar wird, und größtentheils in Dichtungsgestalt für alle Zeiten zu verehrender, sinnender, lehrreicher Betrach¬ tung dasteht, gehört einer neuen Folge an, worin andre Richtungen und Bezüge hervortreten, nicht geringeren Werthes, als die bisher dargelegten, aber von einem ganz verschiedenen Karakter, und daher mit jenem dar¬ gebotenen höchsten Lebensglücke, wofür Goethe selbst es erklärt hat, nicht zu vergleichen noch zu messen.
Der Verlauf dieser Liebesgeschichte, von dem ersten Sehen und Kennenlernen bis zur Verlobung, wohin diesmal die Sache wirklich gelangt, ist ein ununter¬ brochenes Gedicht, das den reitzendsten und bedeutend¬
dann oft ungluͤcklich genug bedingend zuruͤckwirken, hier gluͤcklicherweiſe keine Rede iſt, ſo darf der getroffene Sinn frei und froh dem neuen Lichte folgen. Daß jede neue Regung in dem Dichter einen Fortſchritt bezeichnet, immer nur einen hoͤheren Gegenſtand auch mit erhoͤhtem Gemuͤth erfaßt, dies thut ihn dar als der Liebe treu und der Wahrheit, in ihrer menſchlich moͤglichen und gebotenen Entwickelung, welches eine hoͤhere Treue iſt, als die gewoͤhnlich dafuͤr geltende aͤußere Beharrlichkeit bei einem zufaͤllig erſten Begeg¬ niß. Das Verhaͤltniß zu Lilli zeigt ſich aber nicht nur reicher, tiefer und ſchoͤner, als alle fruͤheren, ſondern in der Reihe der Jugendneigungen auch als das hoͤchſte und letzte; ihm folgt kein aͤhnliches; was weiterhin von Neigungen und Leidenſchaften „unſeres Freundes“ ſicht¬ bar wird, und groͤßtentheils in Dichtungsgeſtalt fuͤr alle Zeiten zu verehrender, ſinnender, lehrreicher Betrach¬ tung daſteht, gehoͤrt einer neuen Folge an, worin andre Richtungen und Bezuͤge hervortreten, nicht geringeren Werthes, als die bisher dargelegten, aber von einem ganz verſchiedenen Karakter, und daher mit jenem dar¬ gebotenen hoͤchſten Lebensgluͤcke, wofuͤr Goethe ſelbſt es erklaͤrt hat, nicht zu vergleichen noch zu meſſen.
Der Verlauf dieſer Liebesgeſchichte, von dem erſten Sehen und Kennenlernen bis zur Verlobung, wohin diesmal die Sache wirklich gelangt, iſt ein ununter¬ brochenes Gedicht, das den reitzendſten und bedeutend¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0330"n="316"/>
dann oft ungluͤcklich genug bedingend zuruͤckwirken, hier<lb/>
gluͤcklicherweiſe keine Rede iſt, ſo darf der getroffene<lb/>
Sinn frei und froh dem neuen Lichte folgen. Daß<lb/>
jede neue Regung in dem Dichter einen Fortſchritt<lb/>
bezeichnet, immer nur einen hoͤheren Gegenſtand auch<lb/>
mit erhoͤhtem Gemuͤth erfaßt, dies thut ihn dar als<lb/>
der Liebe treu und der Wahrheit, in ihrer menſchlich<lb/>
moͤglichen und gebotenen Entwickelung, welches eine<lb/>
hoͤhere Treue iſt, als die gewoͤhnlich dafuͤr geltende<lb/>
aͤußere Beharrlichkeit bei einem zufaͤllig erſten Begeg¬<lb/>
niß. Das Verhaͤltniß zu Lilli zeigt ſich aber nicht nur<lb/>
reicher, tiefer und ſchoͤner, als alle fruͤheren, ſondern<lb/>
in der Reihe der Jugendneigungen auch als das hoͤchſte<lb/>
und letzte; ihm folgt kein aͤhnliches; was weiterhin von<lb/>
Neigungen und Leidenſchaften „unſeres Freundes“ſicht¬<lb/>
bar wird, und groͤßtentheils in Dichtungsgeſtalt fuͤr alle<lb/>
Zeiten zu verehrender, ſinnender, lehrreicher Betrach¬<lb/>
tung daſteht, gehoͤrt einer neuen Folge an, worin andre<lb/>
Richtungen und Bezuͤge hervortreten, nicht geringeren<lb/>
Werthes, als die bisher dargelegten, aber von einem<lb/>
ganz verſchiedenen Karakter, und daher mit jenem dar¬<lb/>
gebotenen hoͤchſten Lebensgluͤcke, wofuͤr Goethe ſelbſt<lb/>
es erklaͤrt hat, nicht zu vergleichen noch zu meſſen.</p><lb/><p>Der Verlauf dieſer Liebesgeſchichte, von dem erſten<lb/>
Sehen und Kennenlernen bis zur Verlobung, wohin<lb/>
diesmal die Sache wirklich gelangt, iſt ein ununter¬<lb/>
brochenes Gedicht, das den reitzendſten und bedeutend¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[316/0330]
dann oft ungluͤcklich genug bedingend zuruͤckwirken, hier
gluͤcklicherweiſe keine Rede iſt, ſo darf der getroffene
Sinn frei und froh dem neuen Lichte folgen. Daß
jede neue Regung in dem Dichter einen Fortſchritt
bezeichnet, immer nur einen hoͤheren Gegenſtand auch
mit erhoͤhtem Gemuͤth erfaßt, dies thut ihn dar als
der Liebe treu und der Wahrheit, in ihrer menſchlich
moͤglichen und gebotenen Entwickelung, welches eine
hoͤhere Treue iſt, als die gewoͤhnlich dafuͤr geltende
aͤußere Beharrlichkeit bei einem zufaͤllig erſten Begeg¬
niß. Das Verhaͤltniß zu Lilli zeigt ſich aber nicht nur
reicher, tiefer und ſchoͤner, als alle fruͤheren, ſondern
in der Reihe der Jugendneigungen auch als das hoͤchſte
und letzte; ihm folgt kein aͤhnliches; was weiterhin von
Neigungen und Leidenſchaften „unſeres Freundes“ ſicht¬
bar wird, und groͤßtentheils in Dichtungsgeſtalt fuͤr alle
Zeiten zu verehrender, ſinnender, lehrreicher Betrach¬
tung daſteht, gehoͤrt einer neuen Folge an, worin andre
Richtungen und Bezuͤge hervortreten, nicht geringeren
Werthes, als die bisher dargelegten, aber von einem
ganz verſchiedenen Karakter, und daher mit jenem dar¬
gebotenen hoͤchſten Lebensgluͤcke, wofuͤr Goethe ſelbſt
es erklaͤrt hat, nicht zu vergleichen noch zu meſſen.
Der Verlauf dieſer Liebesgeſchichte, von dem erſten
Sehen und Kennenlernen bis zur Verlobung, wohin
diesmal die Sache wirklich gelangt, iſt ein ununter¬
brochenes Gedicht, das den reitzendſten und bedeutend¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/330>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.