Andeutungen noch fortlebt, oder wenigstens für jetzt nicht mitgetheilt werden soll. Wir dürfen nicht ver¬ kennen, daß auch das Grundgedicht des Goethe'schen Genius, welches keinem seiner Jahre und keiner der Epochen seiner Dichtung, sondern gradezu allen ange¬ hört und sie alle umfaßt, daß der Faust, wenigstens in seinen Anfängen, aus jenem Element hervorgeht. Mit diesem großen Gegenstande finden wir den Dichter auch in jener Zeit erfüllt, indem er lebhaft vermißt, daß die Gegenwart ihm weder die Stoffe noch die Formen anbietet, deren er bedarf, und die erst eine spätere Entwicklungsstufe bringen sollte.
Mitten in die mannigfachen Bewegungen jener Her¬ zensunruhen und dieser dichterischen Angelegenheiten trifft der Besuch der beiden Grafen zu Stolberg, die mit dem Grafen von Haugwitz auf einem Ausfluge nach der Schweiz begriffen sind, und Goethe'n leicht zur Mitreise bereden. Ein lebendiges Bild wird uns von diesen in der Geschichte deutscher Geistesbildung höchst bedeutenden Männern gegeben; wenige Auftritte, kurz und schlicht erzählt, stellen uns ohne Mühe auf den Standpunkt, wo uns so viele spätere Verwirrungen und Mißverständnisse völlig begreiflich werden, mehr sagen uns ganze Bücher nicht, als diese wenigen Seiten klar machen. Goethe berichtigt und ergänzt die An¬ klageschriften von Voß, ohne daß er ihm eigentlich widerspräche. Wer die Zeiten und Zustände vergleichen
Andeutungen noch fortlebt, oder wenigſtens fuͤr jetzt nicht mitgetheilt werden ſoll. Wir duͤrfen nicht ver¬ kennen, daß auch das Grundgedicht des Goethe’ſchen Genius, welches keinem ſeiner Jahre und keiner der Epochen ſeiner Dichtung, ſondern gradezu allen ange¬ hoͤrt und ſie alle umfaßt, daß der Fauſt, wenigſtens in ſeinen Anfaͤngen, aus jenem Element hervorgeht. Mit dieſem großen Gegenſtande finden wir den Dichter auch in jener Zeit erfuͤllt, indem er lebhaft vermißt, daß die Gegenwart ihm weder die Stoffe noch die Formen anbietet, deren er bedarf, und die erſt eine ſpaͤtere Entwicklungsſtufe bringen ſollte.
Mitten in die mannigfachen Bewegungen jener Her¬ zensunruhen und dieſer dichteriſchen Angelegenheiten trifft der Beſuch der beiden Grafen zu Stolberg, die mit dem Grafen von Haugwitz auf einem Ausfluge nach der Schweiz begriffen ſind, und Goethe’n leicht zur Mitreiſe bereden. Ein lebendiges Bild wird uns von dieſen in der Geſchichte deutſcher Geiſtesbildung hoͤchſt bedeutenden Maͤnnern gegeben; wenige Auftritte, kurz und ſchlicht erzaͤhlt, ſtellen uns ohne Muͤhe auf den Standpunkt, wo uns ſo viele ſpaͤtere Verwirrungen und Mißverſtaͤndniſſe voͤllig begreiflich werden, mehr ſagen uns ganze Buͤcher nicht, als dieſe wenigen Seiten klar machen. Goethe berichtigt und ergaͤnzt die An¬ klageſchriften von Voß, ohne daß er ihm eigentlich widerſpraͤche. Wer die Zeiten und Zuſtaͤnde vergleichen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0338"n="324"/>
Andeutungen noch fortlebt, oder wenigſtens fuͤr jetzt<lb/>
nicht mitgetheilt werden ſoll. Wir duͤrfen nicht ver¬<lb/>
kennen, daß auch das Grundgedicht des Goethe’ſchen<lb/>
Genius, welches keinem ſeiner Jahre und keiner der<lb/>
Epochen ſeiner Dichtung, ſondern gradezu allen ange¬<lb/>
hoͤrt und ſie alle umfaßt, daß der Fauſt, wenigſtens<lb/>
in ſeinen Anfaͤngen, aus jenem Element hervorgeht.<lb/>
Mit dieſem großen Gegenſtande finden wir den Dichter<lb/>
auch in jener Zeit erfuͤllt, indem er lebhaft vermißt,<lb/>
daß die Gegenwart ihm weder die Stoffe noch die<lb/>
Formen anbietet, deren er bedarf, und die erſt eine<lb/>ſpaͤtere Entwicklungsſtufe bringen ſollte.</p><lb/><p>Mitten in die mannigfachen Bewegungen jener Her¬<lb/>
zensunruhen und dieſer dichteriſchen Angelegenheiten<lb/>
trifft der Beſuch der beiden Grafen zu Stolberg, die<lb/>
mit dem Grafen von Haugwitz auf einem Ausfluge<lb/>
nach der Schweiz begriffen ſind, und Goethe’n leicht<lb/>
zur Mitreiſe bereden. Ein lebendiges Bild wird uns<lb/>
von dieſen in der Geſchichte deutſcher Geiſtesbildung<lb/>
hoͤchſt bedeutenden Maͤnnern gegeben; wenige Auftritte,<lb/>
kurz und ſchlicht erzaͤhlt, ſtellen uns ohne Muͤhe auf<lb/>
den Standpunkt, wo uns ſo viele ſpaͤtere Verwirrungen<lb/>
und Mißverſtaͤndniſſe voͤllig begreiflich werden, mehr<lb/>ſagen uns ganze Buͤcher nicht, als dieſe wenigen Seiten<lb/>
klar machen. Goethe berichtigt und ergaͤnzt die An¬<lb/>
klageſchriften von Voß, ohne daß er ihm eigentlich<lb/>
widerſpraͤche. Wer die Zeiten und Zuſtaͤnde vergleichen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[324/0338]
Andeutungen noch fortlebt, oder wenigſtens fuͤr jetzt
nicht mitgetheilt werden ſoll. Wir duͤrfen nicht ver¬
kennen, daß auch das Grundgedicht des Goethe’ſchen
Genius, welches keinem ſeiner Jahre und keiner der
Epochen ſeiner Dichtung, ſondern gradezu allen ange¬
hoͤrt und ſie alle umfaßt, daß der Fauſt, wenigſtens
in ſeinen Anfaͤngen, aus jenem Element hervorgeht.
Mit dieſem großen Gegenſtande finden wir den Dichter
auch in jener Zeit erfuͤllt, indem er lebhaft vermißt,
daß die Gegenwart ihm weder die Stoffe noch die
Formen anbietet, deren er bedarf, und die erſt eine
ſpaͤtere Entwicklungsſtufe bringen ſollte.
Mitten in die mannigfachen Bewegungen jener Her¬
zensunruhen und dieſer dichteriſchen Angelegenheiten
trifft der Beſuch der beiden Grafen zu Stolberg, die
mit dem Grafen von Haugwitz auf einem Ausfluge
nach der Schweiz begriffen ſind, und Goethe’n leicht
zur Mitreiſe bereden. Ein lebendiges Bild wird uns
von dieſen in der Geſchichte deutſcher Geiſtesbildung
hoͤchſt bedeutenden Maͤnnern gegeben; wenige Auftritte,
kurz und ſchlicht erzaͤhlt, ſtellen uns ohne Muͤhe auf
den Standpunkt, wo uns ſo viele ſpaͤtere Verwirrungen
und Mißverſtaͤndniſſe voͤllig begreiflich werden, mehr
ſagen uns ganze Buͤcher nicht, als dieſe wenigen Seiten
klar machen. Goethe berichtigt und ergaͤnzt die An¬
klageſchriften von Voß, ohne daß er ihm eigentlich
widerſpraͤche. Wer die Zeiten und Zuſtaͤnde vergleichen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/338>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.