Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

Freundschaft und Denkart nicht ohne Einfluß auf
Goethe bleibt. Sehr wäre zu wünschen, daß die zer¬
streuten Blätter und Nachrichten, welche von diesem
Manne noch übrig sind, zu rechter Zeit gesammelt
würden, da es doch immer denkwürdig sein wird, die
wirklichen Züge näher zu betrachten, von welchen einige
dem Faustischen Mephistopheles verglichen werden konnten.
Nächst diesem alten Bekannten finden wir in diesem
Theile auch Goethe's Schwester wieder, und zwar nicht
mehr im älterlichen Hause, sondern als Schlossers
Gattin. Ihr Zustand in Emmendingen, das Verhältniß
ihrer äußern und innern Bildung, die Wirksamkeit ihrer
Eigenschaften, und besonders ihr Einfluß und ihre Macht
über den Bruder, dem sie die Trennung von Lilli als
unerläßlich einleuchten läßt, werden mit außerordent¬
lichen Meisterstrichen hingezeichnet, und während der
Autor fast verzichtet, das schwierige Bild zu vollbringen,
so ist es ihm unter dem Zweifel schon fertig geworden.
In solchen Zeichnungen offenbart sich der wahre Seher,
dessen Auge die tiefsten und absonderlichsten Kombina¬
tionen, die sich zu dem Wesen eines Menschen ver¬
einigen, durch sein Hinblicken auch sogleich für Andre
sichtbar macht. Eben so vollendet sich uns auch das
Bild Lavaters, der, allerdings schon ein andrer, als
in dem dritten Theile, doch noch genug derselbe ist,
um nicht einer ganz neuen Schilderung zu bedürfen.
Liebenswürdig und ehrenwerth bleibt seine Person, da¬

Freundſchaft und Denkart nicht ohne Einfluß auf
Goethe bleibt. Sehr waͤre zu wuͤnſchen, daß die zer¬
ſtreuten Blaͤtter und Nachrichten, welche von dieſem
Manne noch uͤbrig ſind, zu rechter Zeit geſammelt
wuͤrden, da es doch immer denkwuͤrdig ſein wird, die
wirklichen Zuͤge naͤher zu betrachten, von welchen einige
dem Fauſtiſchen Mephiſtopheles verglichen werden konnten.
Naͤchſt dieſem alten Bekannten finden wir in dieſem
Theile auch Goethe’s Schweſter wieder, und zwar nicht
mehr im aͤlterlichen Hauſe, ſondern als Schloſſers
Gattin. Ihr Zuſtand in Emmendingen, das Verhaͤltniß
ihrer aͤußern und innern Bildung, die Wirkſamkeit ihrer
Eigenſchaften, und beſonders ihr Einfluß und ihre Macht
uͤber den Bruder, dem ſie die Trennung von Lilli als
unerlaͤßlich einleuchten laͤßt, werden mit außerordent¬
lichen Meiſterſtrichen hingezeichnet, und waͤhrend der
Autor faſt verzichtet, das ſchwierige Bild zu vollbringen,
ſo iſt es ihm unter dem Zweifel ſchon fertig geworden.
In ſolchen Zeichnungen offenbart ſich der wahre Seher,
deſſen Auge die tiefſten und abſonderlichſten Kombina¬
tionen, die ſich zu dem Weſen eines Menſchen ver¬
einigen, durch ſein Hinblicken auch ſogleich fuͤr Andre
ſichtbar macht. Eben ſo vollendet ſich uns auch das
Bild Lavaters, der, allerdings ſchon ein andrer, als
in dem dritten Theile, doch noch genug derſelbe iſt,
um nicht einer ganz neuen Schilderung zu beduͤrfen.
Liebenswuͤrdig und ehrenwerth bleibt ſeine Perſon, da¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0340" n="326"/>
Freund&#x017F;chaft und Denkart nicht ohne Einfluß auf<lb/>
Goethe bleibt. Sehr wa&#x0364;re zu wu&#x0364;n&#x017F;chen, daß die zer¬<lb/>
&#x017F;treuten Bla&#x0364;tter und Nachrichten, welche von die&#x017F;em<lb/>
Manne noch u&#x0364;brig &#x017F;ind, zu rechter Zeit ge&#x017F;ammelt<lb/>
wu&#x0364;rden, da es doch immer denkwu&#x0364;rdig &#x017F;ein wird, die<lb/>
wirklichen Zu&#x0364;ge na&#x0364;her zu betrachten, von welchen einige<lb/>
dem Fau&#x017F;ti&#x017F;chen Mephi&#x017F;topheles verglichen werden konnten.<lb/>
Na&#x0364;ch&#x017F;t die&#x017F;em alten Bekannten finden wir in die&#x017F;em<lb/>
Theile auch Goethe&#x2019;s Schwe&#x017F;ter wieder, und zwar nicht<lb/>
mehr im a&#x0364;lterlichen Hau&#x017F;e, &#x017F;ondern als Schlo&#x017F;&#x017F;ers<lb/>
Gattin. Ihr Zu&#x017F;tand in Emmendingen, das Verha&#x0364;ltniß<lb/>
ihrer a&#x0364;ußern und innern Bildung, die Wirk&#x017F;amkeit ihrer<lb/>
Eigen&#x017F;chaften, und be&#x017F;onders ihr Einfluß und ihre Macht<lb/>
u&#x0364;ber den Bruder, dem &#x017F;ie die Trennung von Lilli als<lb/>
unerla&#x0364;ßlich einleuchten la&#x0364;ßt, werden mit außerordent¬<lb/>
lichen Mei&#x017F;ter&#x017F;trichen hingezeichnet, und wa&#x0364;hrend der<lb/>
Autor fa&#x017F;t verzichtet, das &#x017F;chwierige Bild zu vollbringen,<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t es ihm unter dem Zweifel &#x017F;chon fertig geworden.<lb/>
In &#x017F;olchen Zeichnungen offenbart &#x017F;ich der wahre Seher,<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Auge die tief&#x017F;ten und ab&#x017F;onderlich&#x017F;ten Kombina¬<lb/>
tionen, die &#x017F;ich zu dem We&#x017F;en eines Men&#x017F;chen ver¬<lb/>
einigen, durch &#x017F;ein Hinblicken auch &#x017F;ogleich fu&#x0364;r Andre<lb/>
&#x017F;ichtbar macht. Eben &#x017F;o vollendet &#x017F;ich uns auch das<lb/>
Bild Lavaters, der, allerdings &#x017F;chon ein andrer, als<lb/>
in dem dritten Theile, doch noch genug der&#x017F;elbe i&#x017F;t,<lb/>
um nicht einer ganz neuen Schilderung zu bedu&#x0364;rfen.<lb/>
Liebenswu&#x0364;rdig und ehrenwerth bleibt &#x017F;eine Per&#x017F;on, da¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[326/0340] Freundſchaft und Denkart nicht ohne Einfluß auf Goethe bleibt. Sehr waͤre zu wuͤnſchen, daß die zer¬ ſtreuten Blaͤtter und Nachrichten, welche von dieſem Manne noch uͤbrig ſind, zu rechter Zeit geſammelt wuͤrden, da es doch immer denkwuͤrdig ſein wird, die wirklichen Zuͤge naͤher zu betrachten, von welchen einige dem Fauſtiſchen Mephiſtopheles verglichen werden konnten. Naͤchſt dieſem alten Bekannten finden wir in dieſem Theile auch Goethe’s Schweſter wieder, und zwar nicht mehr im aͤlterlichen Hauſe, ſondern als Schloſſers Gattin. Ihr Zuſtand in Emmendingen, das Verhaͤltniß ihrer aͤußern und innern Bildung, die Wirkſamkeit ihrer Eigenſchaften, und beſonders ihr Einfluß und ihre Macht uͤber den Bruder, dem ſie die Trennung von Lilli als unerlaͤßlich einleuchten laͤßt, werden mit außerordent¬ lichen Meiſterſtrichen hingezeichnet, und waͤhrend der Autor faſt verzichtet, das ſchwierige Bild zu vollbringen, ſo iſt es ihm unter dem Zweifel ſchon fertig geworden. In ſolchen Zeichnungen offenbart ſich der wahre Seher, deſſen Auge die tiefſten und abſonderlichſten Kombina¬ tionen, die ſich zu dem Weſen eines Menſchen ver¬ einigen, durch ſein Hinblicken auch ſogleich fuͤr Andre ſichtbar macht. Eben ſo vollendet ſich uns auch das Bild Lavaters, der, allerdings ſchon ein andrer, als in dem dritten Theile, doch noch genug derſelbe iſt, um nicht einer ganz neuen Schilderung zu beduͤrfen. Liebenswuͤrdig und ehrenwerth bleibt ſeine Perſon, da¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/340
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/340>, abgerufen am 25.11.2024.