und seitdem durch mehrere würdige Werke fortschreitend auszeichnete, hat in diesem neuesten einen abermaligen Fortschritt beurkundet, der ihn entschieden auf eine Stufe stellt, welche keiner der vielen gleichaltrigen Mitstreben¬ den in diesem dramatischen Fache bis jetzt erreicht hat. Diese Anpreisung geben wir um so zuversichtlicher und unpartheiischer, als gerade das gegenwärtige Trauerspiel, welches sie veranlaßt, uns auch zu nicht geringem Tadel nöthigt. Unser Dichter verbindet mit Kraft und Fülle der Dichtung eine Eigenthümlichkeit derselben, welche durch Annäherung an große Muster keinesweges gefähr¬ det ist in Nachahmung überzugehen. Im Gegentheil, sie hat sich mehr zu hüten, daß sie nicht, durch über¬ großes Festhalten an sich selber, ihre ursprünglich freie Gestalt veliere, und in Eigensinn ausarte. Der Dichter bedarf, wie jeder im Leben wahrhaft Thätige, zu seiner größeren Selbstständigkeit einer fortwährenden Hingebung derselben, und nur in dem steten Wechsel beider Rich¬ tungen wird in der Poesie wie im Leben wahrhaft Großes vollbracht. Wer nichts hinzugeben hat, als ganz und immer sich selbst, der ist zum Nachahmer verdammt, und gehört in aller Weise der Masse an; wer aber zu sehr zurückhält und beharrt, der vereinsamt; beide schei¬ den aus dem Kreise des eigenthümlichen Lebens und Wirkens ab. Die Eigenthümlichkeit muß sich hervor¬ tretend gleichsam mit der Welt ausgleichen, mit dem umgebenden Leben in Harmonie setzen, erst dann ist sie
und ſeitdem durch mehrere wuͤrdige Werke fortſchreitend auszeichnete, hat in dieſem neueſten einen abermaligen Fortſchritt beurkundet, der ihn entſchieden auf eine Stufe ſtellt, welche keiner der vielen gleichaltrigen Mitſtreben¬ den in dieſem dramatiſchen Fache bis jetzt erreicht hat. Dieſe Anpreiſung geben wir um ſo zuverſichtlicher und unpartheiiſcher, als gerade das gegenwaͤrtige Trauerſpiel, welches ſie veranlaßt, uns auch zu nicht geringem Tadel noͤthigt. Unſer Dichter verbindet mit Kraft und Fuͤlle der Dichtung eine Eigenthuͤmlichkeit derſelben, welche durch Annaͤherung an große Muſter keinesweges gefaͤhr¬ det iſt in Nachahmung uͤberzugehen. Im Gegentheil, ſie hat ſich mehr zu huͤten, daß ſie nicht, durch uͤber¬ großes Feſthalten an ſich ſelber, ihre urſpruͤnglich freie Geſtalt veliere, und in Eigenſinn ausarte. Der Dichter bedarf, wie jeder im Leben wahrhaft Thaͤtige, zu ſeiner groͤßeren Selbſtſtaͤndigkeit einer fortwaͤhrenden Hingebung derſelben, und nur in dem ſteten Wechſel beider Rich¬ tungen wird in der Poeſie wie im Leben wahrhaft Großes vollbracht. Wer nichts hinzugeben hat, als ganz und immer ſich ſelbſt, der iſt zum Nachahmer verdammt, und gehoͤrt in aller Weiſe der Maſſe an; wer aber zu ſehr zuruͤckhaͤlt und beharrt, der vereinſamt; beide ſchei¬ den aus dem Kreiſe des eigenthuͤmlichen Lebens und Wirkens ab. Die Eigenthuͤmlichkeit muß ſich hervor¬ tretend gleichſam mit der Welt ausgleichen, mit dem umgebenden Leben in Harmonie ſetzen, erſt dann iſt ſie
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und ſeitdem durch mehrere wuͤrdige Werke fortſchreitend
auszeichnete, hat in dieſem neueſten einen abermaligen
Fortſchritt beurkundet, der ihn entſchieden auf eine Stufe
ſtellt, welche keiner der vielen gleichaltrigen Mitſtreben¬
den in dieſem dramatiſchen Fache bis jetzt erreicht hat.
Dieſe Anpreiſung geben wir um ſo zuverſichtlicher und
unpartheiiſcher, als gerade das gegenwaͤrtige Trauerſpiel,
welches ſie veranlaßt, uns auch zu nicht geringem Tadel
noͤthigt. Unſer Dichter verbindet mit Kraft und Fuͤlle
der Dichtung eine Eigenthuͤmlichkeit derſelben, welche
durch Annaͤherung an große Muſter keinesweges gefaͤhr¬
det iſt in Nachahmung uͤberzugehen. Im Gegentheil,
ſie hat ſich mehr zu huͤten, daß ſie nicht, durch uͤber¬
großes Feſthalten an ſich ſelber, ihre urſpruͤnglich freie
Geſtalt veliere, und in Eigenſinn ausarte. Der Dichter
bedarf, wie jeder im Leben wahrhaft Thaͤtige, zu ſeiner
groͤßeren Selbſtſtaͤndigkeit einer fortwaͤhrenden Hingebung
derſelben, und nur in dem ſteten Wechſel beider Rich¬
tungen wird in der Poeſie wie im Leben wahrhaft Großes
vollbracht. Wer nichts hinzugeben hat, als ganz und
immer ſich ſelbſt, der iſt zum Nachahmer verdammt,
und gehoͤrt in aller Weiſe der Maſſe an; wer aber zu
ſehr zuruͤckhaͤlt und beharrt, der vereinſamt; beide ſchei¬
den aus dem Kreiſe des eigenthuͤmlichen Lebens und
Wirkens ab. Die Eigenthuͤmlichkeit muß ſich hervor¬
tretend gleichſam mit der Welt ausgleichen, mit dem
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/364>, abgerufen am 24.11.2024.
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