entwickeln hat, alles dies hat hier eine würdige, mit den Gegenständen vertraute, in beiden Sphären, jenes äußeren und dieses inneren Lebens, einheimische Feder gefunden. Frau von Helvig, an Stärke und Schönheit des Talents wie an Reinheit und Sicherheit der Rich¬ tung gewiß eine der ersten unserer jetztlebenden deutschen Dichterinnen, hat ihre reiche Gabe der Darstellung wie im lyrischen Fache, so auch im epischen schon früh be¬ währt. Schiller selbst war es, der die Erstlinge ihrer zarten Jugendmuse, das liebliche Epos: "Die Schwe¬ stern von Lesbos" in die Litteratur einführte. "Die Sagen vom Wolfsbrunnen", ein späteres Erzeugniß, in welchem nordische Dichtung an die Oertlichkeit von Heidelberg glücklich angeschlossen worden, bewies, daß die Dichterin nicht minder in schöner Prosa als in wohl¬ lautenden Hexametern zu schalten vermag. In gegen¬ wärtiger Novelle aber zeigt sie sich als Meisterin von mehr als einer Kunst. Viele der schönen dichterischen Züge verrathen zugleich das Auge und die Hand, die mit der Kunst der Mahlerei innig befreundet sind. Mit Leichtigkeit stellen sich die einzelnen Auftritte ihrer Er¬ zählung dem Leser sichtbar vor Augen, und wie die Einbildungskraft kann auch sogleich der Griffel ihrem Vortrage folgen. Dabei weiß sie die beschreibende Aus¬ mahlung todter Einzelheiten, welche Walter Scott's Romane so sehr dehnen und belasten, zu vermeiden, viel¬ mehr ist alles hier fortschreitend und lebendig, und nir¬
entwickeln hat, alles dies hat hier eine wuͤrdige, mit den Gegenſtaͤnden vertraute, in beiden Sphaͤren, jenes aͤußeren und dieſes inneren Lebens, einheimiſche Feder gefunden. Frau von Helvig, an Staͤrke und Schoͤnheit des Talents wie an Reinheit und Sicherheit der Rich¬ tung gewiß eine der erſten unſerer jetztlebenden deutſchen Dichterinnen, hat ihre reiche Gabe der Darſtellung wie im lyriſchen Fache, ſo auch im epiſchen ſchon fruͤh be¬ waͤhrt. Schiller ſelbſt war es, der die Erſtlinge ihrer zarten Jugendmuſe, das liebliche Epos: „Die Schwe¬ ſtern von Lesbos“ in die Litteratur einfuͤhrte. „Die Sagen vom Wolfsbrunnen“, ein ſpaͤteres Erzeugniß, in welchem nordiſche Dichtung an die Oertlichkeit von Heidelberg gluͤcklich angeſchloſſen worden, bewies, daß die Dichterin nicht minder in ſchoͤner Proſa als in wohl¬ lautenden Hexametern zu ſchalten vermag. In gegen¬ waͤrtiger Novelle aber zeigt ſie ſich als Meiſterin von mehr als einer Kunſt. Viele der ſchoͤnen dichteriſchen Zuͤge verrathen zugleich das Auge und die Hand, die mit der Kunſt der Mahlerei innig befreundet ſind. Mit Leichtigkeit ſtellen ſich die einzelnen Auftritte ihrer Er¬ zaͤhlung dem Leſer ſichtbar vor Augen, und wie die Einbildungskraft kann auch ſogleich der Griffel ihrem Vortrage folgen. Dabei weiß ſie die beſchreibende Aus¬ mahlung todter Einzelheiten, welche Walter Scott's Romane ſo ſehr dehnen und belaſten, zu vermeiden, viel¬ mehr iſt alles hier fortſchreitend und lebendig, und nir¬
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entwickeln hat, alles dies hat hier eine wuͤrdige, mit
den Gegenſtaͤnden vertraute, in beiden Sphaͤren, jenes
aͤußeren und dieſes inneren Lebens, einheimiſche Feder
gefunden. Frau von Helvig, an Staͤrke und Schoͤnheit
des Talents wie an Reinheit und Sicherheit der Rich¬
tung gewiß eine der erſten unſerer jetztlebenden deutſchen
Dichterinnen, hat ihre reiche Gabe der Darſtellung wie
im lyriſchen Fache, ſo auch im epiſchen ſchon fruͤh be¬
waͤhrt. Schiller ſelbſt war es, der die Erſtlinge ihrer
zarten Jugendmuſe, das liebliche Epos: „Die Schwe¬
ſtern von Lesbos“ in die Litteratur einfuͤhrte. „Die
Sagen vom Wolfsbrunnen“, ein ſpaͤteres Erzeugniß,
in welchem nordiſche Dichtung an die Oertlichkeit von
Heidelberg gluͤcklich angeſchloſſen worden, bewies, daß
die Dichterin nicht minder in ſchoͤner Proſa als in wohl¬
lautenden Hexametern zu ſchalten vermag. In gegen¬
waͤrtiger Novelle aber zeigt ſie ſich als Meiſterin von
mehr als einer Kunſt. Viele der ſchoͤnen dichteriſchen
Zuͤge verrathen zugleich das Auge und die Hand, die
mit der Kunſt der Mahlerei innig befreundet ſind. Mit
Leichtigkeit ſtellen ſich die einzelnen Auftritte ihrer Er¬
zaͤhlung dem Leſer ſichtbar vor Augen, und wie die
Einbildungskraft kann auch ſogleich der Griffel ihrem
Vortrage folgen. Dabei weiß ſie die beſchreibende Aus¬
mahlung todter Einzelheiten, welche Walter Scott's
Romane ſo ſehr dehnen und belaſten, zu vermeiden, viel¬
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/370>, abgerufen am 24.11.2024.
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