Andre dann nicht wenig quälte, bis man ihn wieder, was nicht schwer wurde, auf Scherz und Laune zurück¬ brachte. In erhabenen Freundschaften lebte er mit edlen Frauen; einen abwesenden Freund, Herrn von Brockes, führte er bei jeder Gelegenheit zärtlichst im Munde; auch mit mir tauschte er jetzt Händedruck und Ver¬ trauensworte, und durchflocht meine Neigungen und seine; die Leidenschaft, zu welcher eine jugendliche Schöne ihn entflammt hatte, verbarg er keineswegs, wenn auch die letztere selbst als ein zartes Geheimniß verschwiegen blieb.
Einen neuen Mitstrebenden entdeckte und gewann ich in einem jungen Manne, der in diesem Hause von Kind¬ heit an lebte, wie ein Sohn gehalten wurde, und auf dem Komtoir beschäftigt war, aber sich außer den be¬ stimmten Zeiten wenig sehen ließ, und überhaupt in seiner schweigsamen Stille sich kaum bemerkbar machte, obgleich er für durchaus klug und kundig galt. Eines Tages führte zufälliges Gespräch uns näher zusammen, wir vertieften uns in Betrachtungen des Lebens und der Poesie, seine Verschlossenheit hielt gegen meine an¬ dringende Wärme nicht aus, er bekannte mir, daß auch er dichte, und wollte mir seine Erzeugnisse nicht vor¬ enthalten. Seine Gedichte waren klar und empfindungs¬ voll; sie entzückten mich; und als ich den Andern meine gemachte Entdeckung mittheilen, ihnen die Verse wieder¬ holt vorlesen durfte, wollte man das Wunder kaum
Andre dann nicht wenig quaͤlte, bis man ihn wieder, was nicht ſchwer wurde, auf Scherz und Laune zuruͤck¬ brachte. In erhabenen Freundſchaften lebte er mit edlen Frauen; einen abweſenden Freund, Herrn von Brockes, fuͤhrte er bei jeder Gelegenheit zaͤrtlichſt im Munde; auch mit mir tauſchte er jetzt Haͤndedruck und Ver¬ trauensworte, und durchflocht meine Neigungen und ſeine; die Leidenſchaft, zu welcher eine jugendliche Schoͤne ihn entflammt hatte, verbarg er keineswegs, wenn auch die letztere ſelbſt als ein zartes Geheimniß verſchwiegen blieb.
Einen neuen Mitſtrebenden entdeckte und gewann ich in einem jungen Manne, der in dieſem Hauſe von Kind¬ heit an lebte, wie ein Sohn gehalten wurde, und auf dem Komtoir beſchaͤftigt war, aber ſich außer den be¬ ſtimmten Zeiten wenig ſehen ließ, und uͤberhaupt in ſeiner ſchweigſamen Stille ſich kaum bemerkbar machte, obgleich er fuͤr durchaus klug und kundig galt. Eines Tages fuͤhrte zufaͤlliges Geſpraͤch uns naͤher zuſammen, wir vertieften uns in Betrachtungen des Lebens und der Poeſie, ſeine Verſchloſſenheit hielt gegen meine an¬ dringende Waͤrme nicht aus, er bekannte mir, daß auch er dichte, und wollte mir ſeine Erzeugniſſe nicht vor¬ enthalten. Seine Gedichte waren klar und empfindungs¬ voll; ſie entzuͤckten mich; und als ich den Andern meine gemachte Entdeckung mittheilen, ihnen die Verſe wieder¬ holt vorleſen durfte, wollte man das Wunder kaum
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0042"n="28"/>
Andre dann nicht wenig quaͤlte, bis man ihn wieder,<lb/>
was nicht ſchwer wurde, auf Scherz und Laune zuruͤck¬<lb/>
brachte. In erhabenen Freundſchaften lebte er mit edlen<lb/>
Frauen; einen abweſenden Freund, Herrn von Brockes,<lb/>
fuͤhrte er bei jeder Gelegenheit zaͤrtlichſt im Munde;<lb/>
auch mit mir tauſchte er jetzt Haͤndedruck und Ver¬<lb/>
trauensworte, und durchflocht meine Neigungen und<lb/>ſeine; die Leidenſchaft, zu welcher eine jugendliche Schoͤne<lb/>
ihn entflammt hatte, verbarg er keineswegs, wenn auch<lb/>
die letztere ſelbſt als ein zartes Geheimniß verſchwiegen<lb/>
blieb.</p><lb/><p>Einen neuen Mitſtrebenden entdeckte und gewann ich<lb/>
in einem jungen Manne, der in dieſem Hauſe von Kind¬<lb/>
heit an lebte, wie ein Sohn gehalten wurde, und auf<lb/>
dem Komtoir beſchaͤftigt war, aber ſich außer den be¬<lb/>ſtimmten Zeiten wenig ſehen ließ, und uͤberhaupt in<lb/>ſeiner ſchweigſamen Stille ſich kaum bemerkbar machte,<lb/>
obgleich er fuͤr durchaus klug und kundig galt. Eines<lb/>
Tages fuͤhrte zufaͤlliges Geſpraͤch uns naͤher zuſammen,<lb/>
wir vertieften uns in Betrachtungen des Lebens und<lb/>
der Poeſie, ſeine Verſchloſſenheit hielt gegen meine an¬<lb/>
dringende Waͤrme nicht aus, er bekannte mir, daß auch<lb/>
er dichte, und wollte mir ſeine Erzeugniſſe nicht vor¬<lb/>
enthalten. Seine Gedichte waren klar und empfindungs¬<lb/>
voll; ſie entzuͤckten mich; und als ich den Andern meine<lb/>
gemachte Entdeckung mittheilen, ihnen die Verſe wieder¬<lb/>
holt vorleſen durfte, wollte man das Wunder kaum<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[28/0042]
Andre dann nicht wenig quaͤlte, bis man ihn wieder,
was nicht ſchwer wurde, auf Scherz und Laune zuruͤck¬
brachte. In erhabenen Freundſchaften lebte er mit edlen
Frauen; einen abweſenden Freund, Herrn von Brockes,
fuͤhrte er bei jeder Gelegenheit zaͤrtlichſt im Munde;
auch mit mir tauſchte er jetzt Haͤndedruck und Ver¬
trauensworte, und durchflocht meine Neigungen und
ſeine; die Leidenſchaft, zu welcher eine jugendliche Schoͤne
ihn entflammt hatte, verbarg er keineswegs, wenn auch
die letztere ſelbſt als ein zartes Geheimniß verſchwiegen
blieb.
Einen neuen Mitſtrebenden entdeckte und gewann ich
in einem jungen Manne, der in dieſem Hauſe von Kind¬
heit an lebte, wie ein Sohn gehalten wurde, und auf
dem Komtoir beſchaͤftigt war, aber ſich außer den be¬
ſtimmten Zeiten wenig ſehen ließ, und uͤberhaupt in
ſeiner ſchweigſamen Stille ſich kaum bemerkbar machte,
obgleich er fuͤr durchaus klug und kundig galt. Eines
Tages fuͤhrte zufaͤlliges Geſpraͤch uns naͤher zuſammen,
wir vertieften uns in Betrachtungen des Lebens und
der Poeſie, ſeine Verſchloſſenheit hielt gegen meine an¬
dringende Waͤrme nicht aus, er bekannte mir, daß auch
er dichte, und wollte mir ſeine Erzeugniſſe nicht vor¬
enthalten. Seine Gedichte waren klar und empfindungs¬
voll; ſie entzuͤckten mich; und als ich den Andern meine
gemachte Entdeckung mittheilen, ihnen die Verſe wieder¬
holt vorleſen durfte, wollte man das Wunder kaum
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/42>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.