Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

Kräfte reichten. Er ließ mich freundlich gewähren, und
beschied mich wohlwollend in seine Wohnung. Hier sah
ich einen Weisen, dessen Handlungen mit seinen Worten
und Lehren Eins waren, und der vom Lichte der Ge¬
danken wie von sittlicher Würde strahlte. Willig gab
er mir Bedürftigen seine leitenden Rathschläge, ließ sich
auf das Einzelne meiner Lage und meiner Studien mit
mir ein, empfahl mir dringend das klassische Alterthum,
sagte mir gradezu, ich müsse vollständiger die Römer
und gründlich die Griechen kennen lernen, zeigte mir
Ziel und Weg, gebot strengen Wandel und eisernen
Fleiß, und wies mich dagegen für jetzt noch von aller
Bemühung mit eigentlicher Philosophie entschieden zurück.
Ich glaubte einen göttlichen Mann vor mir zu sehen,
wenn er so sprach, die Gradheit und Redlichkeit leuch¬
teten ihm aus den Augen, und liebevolle Güte beglei¬
tete seinen erhabenen Ernst. Wenn seinen Ermahnungen
ganz nachzuleben auch weder mein Sinn noch selbst die
Gelegenheit erlaubte, so blieb doch dies Vorbild tief in
meiner Seele, und ich nahm von Zeit zu Zeit immer
meine Zuflucht zu dem herrlichen Mann, der dann
jedesmal mit Nachsicht und Kräftigung meinem guten
Willen beistand. Auch Chamisso machte seine Bekannt¬
schaft und erfuhr gleiche Einwirkung von ihm, die andern
Freunde nicht minder, und für uns Alle blieb fortan
über allem trüben irren Gewoge des Lebens dieser Stern
in hellem Glanze leuchtend und leitend, zu dem wir

Kraͤfte reichten. Er ließ mich freundlich gewaͤhren, und
beſchied mich wohlwollend in ſeine Wohnung. Hier ſah
ich einen Weiſen, deſſen Handlungen mit ſeinen Worten
und Lehren Eins waren, und der vom Lichte der Ge¬
danken wie von ſittlicher Wuͤrde ſtrahlte. Willig gab
er mir Beduͤrftigen ſeine leitenden Rathſchlaͤge, ließ ſich
auf das Einzelne meiner Lage und meiner Studien mit
mir ein, empfahl mir dringend das klaſſiſche Alterthum,
ſagte mir gradezu, ich muͤſſe vollſtaͤndiger die Roͤmer
und gruͤndlich die Griechen kennen lernen, zeigte mir
Ziel und Weg, gebot ſtrengen Wandel und eiſernen
Fleiß, und wies mich dagegen fuͤr jetzt noch von aller
Bemuͤhung mit eigentlicher Philoſophie entſchieden zuruͤck.
Ich glaubte einen goͤttlichen Mann vor mir zu ſehen,
wenn er ſo ſprach, die Gradheit und Redlichkeit leuch¬
teten ihm aus den Augen, und liebevolle Guͤte beglei¬
tete ſeinen erhabenen Ernſt. Wenn ſeinen Ermahnungen
ganz nachzuleben auch weder mein Sinn noch ſelbſt die
Gelegenheit erlaubte, ſo blieb doch dies Vorbild tief in
meiner Seele, und ich nahm von Zeit zu Zeit immer
meine Zuflucht zu dem herrlichen Mann, der dann
jedesmal mit Nachſicht und Kraͤftigung meinem guten
Willen beiſtand. Auch Chamiſſo machte ſeine Bekannt¬
ſchaft und erfuhr gleiche Einwirkung von ihm, die andern
Freunde nicht minder, und fuͤr uns Alle blieb fortan
uͤber allem truͤben irren Gewoge des Lebens dieſer Stern
in hellem Glanze leuchtend und leitend, zu dem wir

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0048" n="34"/>
Kra&#x0364;fte reichten. Er ließ mich freundlich gewa&#x0364;hren, und<lb/>
be&#x017F;chied mich wohlwollend in &#x017F;eine Wohnung. Hier &#x017F;ah<lb/>
ich einen Wei&#x017F;en, de&#x017F;&#x017F;en Handlungen mit &#x017F;einen Worten<lb/>
und Lehren Eins waren, und der vom Lichte der Ge¬<lb/>
danken wie von &#x017F;ittlicher Wu&#x0364;rde &#x017F;trahlte. Willig gab<lb/>
er mir Bedu&#x0364;rftigen &#x017F;eine leitenden Rath&#x017F;chla&#x0364;ge, ließ &#x017F;ich<lb/>
auf das Einzelne meiner Lage und meiner Studien mit<lb/>
mir ein, empfahl mir dringend das kla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che Alterthum,<lb/>
&#x017F;agte mir gradezu, ich mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e voll&#x017F;ta&#x0364;ndiger die Ro&#x0364;mer<lb/>
und gru&#x0364;ndlich die Griechen kennen lernen, zeigte mir<lb/>
Ziel und Weg, gebot &#x017F;trengen Wandel und ei&#x017F;ernen<lb/>
Fleiß, und wies mich dagegen fu&#x0364;r jetzt noch von aller<lb/>
Bemu&#x0364;hung mit eigentlicher Philo&#x017F;ophie ent&#x017F;chieden zuru&#x0364;ck.<lb/>
Ich glaubte einen go&#x0364;ttlichen Mann vor mir zu &#x017F;ehen,<lb/>
wenn er &#x017F;o &#x017F;prach, die Gradheit und Redlichkeit leuch¬<lb/>
teten ihm aus den Augen, und liebevolle Gu&#x0364;te beglei¬<lb/>
tete &#x017F;einen erhabenen Ern&#x017F;t. Wenn &#x017F;einen Ermahnungen<lb/>
ganz nachzuleben auch weder mein Sinn noch &#x017F;elb&#x017F;t die<lb/>
Gelegenheit erlaubte, &#x017F;o blieb doch dies Vorbild tief in<lb/>
meiner Seele, und ich nahm von Zeit zu Zeit immer<lb/>
meine Zuflucht zu dem herrlichen Mann, der dann<lb/>
jedesmal mit Nach&#x017F;icht und Kra&#x0364;ftigung meinem guten<lb/>
Willen bei&#x017F;tand. Auch Chami&#x017F;&#x017F;o machte &#x017F;eine Bekannt¬<lb/>
&#x017F;chaft und erfuhr gleiche Einwirkung von ihm, die andern<lb/>
Freunde nicht minder, und fu&#x0364;r uns Alle blieb fortan<lb/>
u&#x0364;ber allem tru&#x0364;ben irren Gewoge des Lebens die&#x017F;er Stern<lb/>
in hellem Glanze leuchtend und leitend, zu dem wir<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[34/0048] Kraͤfte reichten. Er ließ mich freundlich gewaͤhren, und beſchied mich wohlwollend in ſeine Wohnung. Hier ſah ich einen Weiſen, deſſen Handlungen mit ſeinen Worten und Lehren Eins waren, und der vom Lichte der Ge¬ danken wie von ſittlicher Wuͤrde ſtrahlte. Willig gab er mir Beduͤrftigen ſeine leitenden Rathſchlaͤge, ließ ſich auf das Einzelne meiner Lage und meiner Studien mit mir ein, empfahl mir dringend das klaſſiſche Alterthum, ſagte mir gradezu, ich muͤſſe vollſtaͤndiger die Roͤmer und gruͤndlich die Griechen kennen lernen, zeigte mir Ziel und Weg, gebot ſtrengen Wandel und eiſernen Fleiß, und wies mich dagegen fuͤr jetzt noch von aller Bemuͤhung mit eigentlicher Philoſophie entſchieden zuruͤck. Ich glaubte einen goͤttlichen Mann vor mir zu ſehen, wenn er ſo ſprach, die Gradheit und Redlichkeit leuch¬ teten ihm aus den Augen, und liebevolle Guͤte beglei¬ tete ſeinen erhabenen Ernſt. Wenn ſeinen Ermahnungen ganz nachzuleben auch weder mein Sinn noch ſelbſt die Gelegenheit erlaubte, ſo blieb doch dies Vorbild tief in meiner Seele, und ich nahm von Zeit zu Zeit immer meine Zuflucht zu dem herrlichen Mann, der dann jedesmal mit Nachſicht und Kraͤftigung meinem guten Willen beiſtand. Auch Chamiſſo machte ſeine Bekannt¬ ſchaft und erfuhr gleiche Einwirkung von ihm, die andern Freunde nicht minder, und fuͤr uns Alle blieb fortan uͤber allem truͤben irren Gewoge des Lebens dieſer Stern in hellem Glanze leuchtend und leitend, zu dem wir

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/48
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/48>, abgerufen am 03.12.2024.