sinnung, und wahrhafte Tugenden der Geselligkeit. Er hatte Zeiten der tiefsten Schwermuth, in denen er sich aber nicht sehen ließ, sondern einsame Spaziergänge machte, oder sich auf sein Zimmer verschloß. Als seine Einkünfte schwächer wurden, schränkte er sich mit vielem Gleichmuth ein, ging zum Beispiel in das gröbste Tuch gekleidet, und zeigte sich so mit Behagen in den Sälen der Reichen und Vornehmen, von denen er jede Geld¬ hülfe stolz verschmähte. Bei den Eindrücken, die ich von dem Manne so lange Jahre in der Seele trug, war es mir keine geringe Freude, als ich vor einiger Zeit seinen Namen unerwartet in des Architekten Wein¬ brenner Selbstbiographie vorkommen fand, begleitet von Erzählungen und Zügen, worin ich ihn ganz wieder¬ erkenne. Auch freut es mich, in Weinbrenners Buche die guten Eigenschaften des Mannes, bei anfangs zwei¬ deutiger Erscheinung, durch den Verfolg in helles Licht gesetzt zu sehen.
Dieser Mann ersuchte mich eines Nachmittags in Charlottenburg, wo er einige Zeit wohnte, ihm auf sein Zimmer zu folgen, wo er geheim und vertraut mit mir zu reden habe. Wir setzten uns auf das Sopha, den Thüren gegenüber, die er weit offen stehen ließ, denn so, sagte er, nicht durch Zuschließen, sichre man sich am besten gegen alles Lauschen, indem man die Thüren des Vorzimmers im Auge habe, und jeden Kommenden gleich in der Ferne wahrnehme. "Sie
ſinnung, und wahrhafte Tugenden der Geſelligkeit. Er hatte Zeiten der tiefſten Schwermuth, in denen er ſich aber nicht ſehen ließ, ſondern einſame Spaziergaͤnge machte, oder ſich auf ſein Zimmer verſchloß. Als ſeine Einkuͤnfte ſchwaͤcher wurden, ſchraͤnkte er ſich mit vielem Gleichmuth ein, ging zum Beiſpiel in das groͤbſte Tuch gekleidet, und zeigte ſich ſo mit Behagen in den Saͤlen der Reichen und Vornehmen, von denen er jede Geld¬ huͤlfe ſtolz verſchmaͤhte. Bei den Eindruͤcken, die ich von dem Manne ſo lange Jahre in der Seele trug, war es mir keine geringe Freude, als ich vor einiger Zeit ſeinen Namen unerwartet in des Architekten Wein¬ brenner Selbſtbiographie vorkommen fand, begleitet von Erzaͤhlungen und Zuͤgen, worin ich ihn ganz wieder¬ erkenne. Auch freut es mich, in Weinbrenners Buche die guten Eigenſchaften des Mannes, bei anfangs zwei¬ deutiger Erſcheinung, durch den Verfolg in helles Licht geſetzt zu ſehen.
Dieſer Mann erſuchte mich eines Nachmittags in Charlottenburg, wo er einige Zeit wohnte, ihm auf ſein Zimmer zu folgen, wo er geheim und vertraut mit mir zu reden habe. Wir ſetzten uns auf das Sopha, den Thuͤren gegenuͤber, die er weit offen ſtehen ließ, denn ſo, ſagte er, nicht durch Zuſchließen, ſichre man ſich am beſten gegen alles Lauſchen, indem man die Thuͤren des Vorzimmers im Auge habe, und jeden Kommenden gleich in der Ferne wahrnehme. „Sie
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ſinnung, und wahrhafte Tugenden der Geſelligkeit. Er
hatte Zeiten der tiefſten Schwermuth, in denen er ſich
aber nicht ſehen ließ, ſondern einſame Spaziergaͤnge
machte, oder ſich auf ſein Zimmer verſchloß. Als ſeine
Einkuͤnfte ſchwaͤcher wurden, ſchraͤnkte er ſich mit vielem
Gleichmuth ein, ging zum Beiſpiel in das groͤbſte Tuch
gekleidet, und zeigte ſich ſo mit Behagen in den Saͤlen
der Reichen und Vornehmen, von denen er jede Geld¬
huͤlfe ſtolz verſchmaͤhte. Bei den Eindruͤcken, die ich
von dem Manne ſo lange Jahre in der Seele trug,
war es mir keine geringe Freude, als ich vor einiger
Zeit ſeinen Namen unerwartet in des Architekten Wein¬
brenner Selbſtbiographie vorkommen fand, begleitet von
Erzaͤhlungen und Zuͤgen, worin ich ihn ganz wieder¬
erkenne. Auch freut es mich, in Weinbrenners Buche
die guten Eigenſchaften des Mannes, bei anfangs zwei¬
deutiger Erſcheinung, durch den Verfolg in helles Licht
geſetzt zu ſehen.
Dieſer Mann erſuchte mich eines Nachmittags in
Charlottenburg, wo er einige Zeit wohnte, ihm auf
ſein Zimmer zu folgen, wo er geheim und vertraut
mit mir zu reden habe. Wir ſetzten uns auf das
Sopha, den Thuͤren gegenuͤber, die er weit offen ſtehen
ließ, denn ſo, ſagte er, nicht durch Zuſchließen, ſichre
man ſich am beſten gegen alles Lauſchen, indem man
die Thuͤren des Vorzimmers im Auge habe, und jeden
Kommenden gleich in der Ferne wahrnehme. „Sie
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/54>, abgerufen am 23.11.2024.
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