Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

spiele der traurigsten Verirrung aufgestellt, gänzlich ver¬
worfen, und zuletzt noch durch ein Spottsonett grimmig
verhöhnt! Das war mehr, als wir verdient hatten;
in manchen Beschuldigungen war die Ungerechtigkeit
offenbar, der Tadel auf äußern Schein begründet, z. B.
die Bezeichnung einiger Gedichte in unsrem Almanache
durch Sternchen wurde für eine schlechte Nachäfferei des
Schlegel-Tieck'schen Musenalmanachs ausgegeben, wo
auch solche Sternchen vorkämen, wobei der Rezensent
freilich nicht ahndete, daß jene wie diese grade ein- und
dieselbe Person verdeckten, nämlich Fichte'n. Ich hielt
die Litteraturzeitung selbst, und bekam die Blätter ganz
frisch von der Post. In solcher Lage befindet man sich
wohl selten, wir sahen einander an, zergliederten das
Gesagte, und jemehr wir Stoff darin zum Widerspruche
fanden, um desto schlimmer stellte sich die Thatsache,
daß wir gerade von dorther so arg mißhandelt waren.
Unter den entfernten Freunden richtete diese geplatzte
Bombe nicht geringe Verwüstung an, der Eine war
höchst unwillig, der Andre konnnte nach Jahren noch
seine schmerzliche Empfindlichkeit nicht verläugnen, Ro¬
bert verschwor in seiner Unlust alles fernere Drucken¬
lassen. Was mich über die Mißempfindung schneller
hinweg hob, war der Eindruck, welchen die Sache nach
außen machen wollte. Ein Uebelwollender hatte sich die
einzelnen Blätter am Tage ihrer Ankunft verschafft, und
sie in unsrem Hause anonym abgegeben. Man verstand

ſpiele der traurigſten Verirrung aufgeſtellt, gaͤnzlich ver¬
worfen, und zuletzt noch durch ein Spottſonett grimmig
verhoͤhnt! Das war mehr, als wir verdient hatten;
in manchen Beſchuldigungen war die Ungerechtigkeit
offenbar, der Tadel auf aͤußern Schein begruͤndet, z. B.
die Bezeichnung einiger Gedichte in unſrem Almanache
durch Sternchen wurde fuͤr eine ſchlechte Nachaͤfferei des
Schlegel-Tieck’ſchen Muſenalmanachs ausgegeben, wo
auch ſolche Sternchen vorkaͤmen, wobei der Rezenſent
freilich nicht ahndete, daß jene wie dieſe grade ein- und
dieſelbe Perſon verdeckten, naͤmlich Fichte’n. Ich hielt
die Litteraturzeitung ſelbſt, und bekam die Blaͤtter ganz
friſch von der Poſt. In ſolcher Lage befindet man ſich
wohl ſelten, wir ſahen einander an, zergliederten das
Geſagte, und jemehr wir Stoff darin zum Widerſpruche
fanden, um deſto ſchlimmer ſtellte ſich die Thatſache,
daß wir gerade von dorther ſo arg mißhandelt waren.
Unter den entfernten Freunden richtete dieſe geplatzte
Bombe nicht geringe Verwuͤſtung an, der Eine war
hoͤchſt unwillig, der Andre konnnte nach Jahren noch
ſeine ſchmerzliche Empfindlichkeit nicht verlaͤugnen, Ro¬
bert verſchwor in ſeiner Unluſt alles fernere Drucken¬
laſſen. Was mich uͤber die Mißempfindung ſchneller
hinweg hob, war der Eindruck, welchen die Sache nach
außen machen wollte. Ein Uebelwollender hatte ſich die
einzelnen Blaͤtter am Tage ihrer Ankunft verſchafft, und
ſie in unſrem Hauſe anonym abgegeben. Man verſtand

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0091" n="77"/>
&#x017F;piele der traurig&#x017F;ten Verirrung aufge&#x017F;tellt, ga&#x0364;nzlich ver¬<lb/>
worfen, und zuletzt noch durch ein Spott&#x017F;onett grimmig<lb/>
verho&#x0364;hnt! Das war mehr, als wir verdient hatten;<lb/>
in manchen Be&#x017F;chuldigungen war die Ungerechtigkeit<lb/>
offenbar, der Tadel auf a&#x0364;ußern Schein begru&#x0364;ndet, z. B.<lb/>
die Bezeichnung einiger Gedichte in un&#x017F;rem Almanache<lb/>
durch Sternchen wurde fu&#x0364;r eine &#x017F;chlechte Nacha&#x0364;fferei des<lb/>
Schlegel-Tieck&#x2019;&#x017F;chen Mu&#x017F;enalmanachs ausgegeben, wo<lb/>
auch &#x017F;olche Sternchen vorka&#x0364;men, wobei der Rezen&#x017F;ent<lb/>
freilich nicht ahndete, daß jene wie die&#x017F;e grade ein- und<lb/>
die&#x017F;elbe Per&#x017F;on verdeckten, na&#x0364;mlich Fichte&#x2019;n. Ich hielt<lb/>
die Litteraturzeitung &#x017F;elb&#x017F;t, und bekam die Bla&#x0364;tter ganz<lb/>
fri&#x017F;ch von der Po&#x017F;t. In &#x017F;olcher Lage befindet man &#x017F;ich<lb/>
wohl &#x017F;elten, wir &#x017F;ahen einander an, zergliederten das<lb/>
Ge&#x017F;agte, und jemehr wir Stoff darin zum Wider&#x017F;pruche<lb/>
fanden, um de&#x017F;to &#x017F;chlimmer &#x017F;tellte &#x017F;ich die That&#x017F;ache,<lb/>
daß wir gerade von dorther &#x017F;o arg mißhandelt waren.<lb/>
Unter den entfernten Freunden richtete die&#x017F;e geplatzte<lb/>
Bombe nicht geringe Verwu&#x0364;&#x017F;tung an, der Eine war<lb/>
ho&#x0364;ch&#x017F;t unwillig, der Andre konnnte nach Jahren noch<lb/>
&#x017F;eine &#x017F;chmerzliche Empfindlichkeit nicht verla&#x0364;ugnen, Ro¬<lb/>
bert ver&#x017F;chwor in &#x017F;einer Unlu&#x017F;t alles fernere Drucken¬<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en. Was mich u&#x0364;ber die Mißempfindung &#x017F;chneller<lb/>
hinweg hob, war der Eindruck, welchen die Sache nach<lb/>
außen machen wollte. Ein Uebelwollender hatte &#x017F;ich die<lb/>
einzelnen Bla&#x0364;tter am Tage ihrer Ankunft ver&#x017F;chafft, und<lb/>
&#x017F;ie in un&#x017F;rem Hau&#x017F;e anonym abgegeben. Man ver&#x017F;tand<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[77/0091] ſpiele der traurigſten Verirrung aufgeſtellt, gaͤnzlich ver¬ worfen, und zuletzt noch durch ein Spottſonett grimmig verhoͤhnt! Das war mehr, als wir verdient hatten; in manchen Beſchuldigungen war die Ungerechtigkeit offenbar, der Tadel auf aͤußern Schein begruͤndet, z. B. die Bezeichnung einiger Gedichte in unſrem Almanache durch Sternchen wurde fuͤr eine ſchlechte Nachaͤfferei des Schlegel-Tieck’ſchen Muſenalmanachs ausgegeben, wo auch ſolche Sternchen vorkaͤmen, wobei der Rezenſent freilich nicht ahndete, daß jene wie dieſe grade ein- und dieſelbe Perſon verdeckten, naͤmlich Fichte’n. Ich hielt die Litteraturzeitung ſelbſt, und bekam die Blaͤtter ganz friſch von der Poſt. In ſolcher Lage befindet man ſich wohl ſelten, wir ſahen einander an, zergliederten das Geſagte, und jemehr wir Stoff darin zum Widerſpruche fanden, um deſto ſchlimmer ſtellte ſich die Thatſache, daß wir gerade von dorther ſo arg mißhandelt waren. Unter den entfernten Freunden richtete dieſe geplatzte Bombe nicht geringe Verwuͤſtung an, der Eine war hoͤchſt unwillig, der Andre konnnte nach Jahren noch ſeine ſchmerzliche Empfindlichkeit nicht verlaͤugnen, Ro¬ bert verſchwor in ſeiner Unluſt alles fernere Drucken¬ laſſen. Was mich uͤber die Mißempfindung ſchneller hinweg hob, war der Eindruck, welchen die Sache nach außen machen wollte. Ein Uebelwollender hatte ſich die einzelnen Blaͤtter am Tage ihrer Ankunft verſchafft, und ſie in unſrem Hauſe anonym abgegeben. Man verſtand

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/91
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/91>, abgerufen am 23.11.2024.