Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

wurden, und in denen neben seinen wohlbesoldeten, aus
Italien mit großen Kosten verschriebenen Kammersän¬
gern, auch er selbst bisweilen sich auf der Flöte hören
ließ, die ihm zu solchem Behuf ein Edeldiener auf seid¬
nem Kissen darzubieten hatte; es fehlte nicht an ge¬
räumigen Tanz- und Speisesälen, nicht an schicklichen
Räumen, wo ein Hofzirkel gehalten und die Vorstellung
anwesender Fremden mit gehöriger Feierlichkeit geschehen
konnte; in einer Bucht des See's lagen geschmückte
Prachtschiffe bereit, um sowohl die Herrschaft und etwa¬
nige vornehme Gäste, als auch begleitende Janitscharen¬
musik, in langsamer Prunkfahrt umherzuführen; an
andrer Stelle stieß man auf ein ungeheures Schachbrett
im Freien, wo die Spieler zwei entgegengesetzte Bühnen
bestiegen, und von da aus die bestellten Diener anwiesen,
die mächtigen Figuren auf die bestimmten Felder hinzu¬
rücken; an hohen Tagen, wo die Wasserfälle stürzten,
und die Springbrunnen ihre Strahlen bis über hundert
Fuß hoch trieben, durften die Einwohner von Steinfurt
und der Umgegend denen von Versailles kaum nachzu¬
stehen glauben. Der regierende Graf liebte nach alter
Weise, durch solche Außerordentlichkeiten einen hohen
Begriff von der Stellung und Macht zu geben, denen
so Staunenswerthes möglich war, und er selber fühlte
sich so sehr als Mittelpunkt eigner Selbstständigkeit, daß
er darüber den wirklichen Umfang derselben fast zu ver¬
gessen schien. Nicht nur, daß er Hofstaat und Leib¬

wurden, und in denen neben ſeinen wohlbeſoldeten, aus
Italien mit großen Koſten verſchriebenen Kammerſaͤn¬
gern, auch er ſelbſt bisweilen ſich auf der Floͤte hoͤren
ließ, die ihm zu ſolchem Behuf ein Edeldiener auf ſeid¬
nem Kiſſen darzubieten hatte; es fehlte nicht an ge¬
raͤumigen Tanz- und Speiſeſaͤlen, nicht an ſchicklichen
Raͤumen, wo ein Hofzirkel gehalten und die Vorſtellung
anweſender Fremden mit gehoͤriger Feierlichkeit geſchehen
konnte; in einer Bucht des See's lagen geſchmuͤckte
Prachtſchiffe bereit, um ſowohl die Herrſchaft und etwa¬
nige vornehme Gaͤſte, als auch begleitende Janitſcharen¬
muſik, in langſamer Prunkfahrt umherzufuͤhren; an
andrer Stelle ſtieß man auf ein ungeheures Schachbrett
im Freien, wo die Spieler zwei entgegengeſetzte Buͤhnen
beſtiegen, und von da aus die beſtellten Diener anwieſen,
die maͤchtigen Figuren auf die beſtimmten Felder hinzu¬
ruͤcken; an hohen Tagen, wo die Waſſerfaͤlle ſtuͤrzten,
und die Springbrunnen ihre Strahlen bis uͤber hundert
Fuß hoch trieben, durften die Einwohner von Steinfurt
und der Umgegend denen von Verſailles kaum nachzu¬
ſtehen glauben. Der regierende Graf liebte nach alter
Weiſe, durch ſolche Außerordentlichkeiten einen hohen
Begriff von der Stellung und Macht zu geben, denen
ſo Staunenswerthes moͤglich war, und er ſelber fuͤhlte
ſich ſo ſehr als Mittelpunkt eigner Selbſtſtaͤndigkeit, daß
er daruͤber den wirklichen Umfang derſelben faſt zu ver¬
geſſen ſchien. Nicht nur, daß er Hofſtaat und Leib¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0142" n="130"/>
wurden, und in denen neben &#x017F;einen wohlbe&#x017F;oldeten, aus<lb/>
Italien mit großen Ko&#x017F;ten ver&#x017F;chriebenen Kammer&#x017F;a&#x0364;<lb/>
gern, auch er &#x017F;elb&#x017F;t bisweilen &#x017F;ich auf der Flo&#x0364;te ho&#x0364;ren<lb/>
ließ, die ihm zu &#x017F;olchem Behuf ein Edeldiener auf &#x017F;eid¬<lb/>
nem Ki&#x017F;&#x017F;en darzubieten hatte; es fehlte nicht an ge¬<lb/>
ra&#x0364;umigen Tanz- und Spei&#x017F;e&#x017F;a&#x0364;len, nicht an &#x017F;chicklichen<lb/>
Ra&#x0364;umen, wo ein Hofzirkel gehalten und die Vor&#x017F;tellung<lb/>
anwe&#x017F;ender Fremden mit geho&#x0364;riger Feierlichkeit ge&#x017F;chehen<lb/>
konnte; in einer Bucht des See's lagen ge&#x017F;chmu&#x0364;ckte<lb/>
Pracht&#x017F;chiffe bereit, um &#x017F;owohl die Herr&#x017F;chaft und etwa¬<lb/>
nige vornehme Ga&#x0364;&#x017F;te, als auch begleitende Janit&#x017F;charen¬<lb/>
mu&#x017F;ik, in lang&#x017F;amer Prunkfahrt umherzufu&#x0364;hren; an<lb/>
andrer Stelle &#x017F;tieß man auf ein ungeheures Schachbrett<lb/>
im Freien, wo die Spieler zwei entgegenge&#x017F;etzte Bu&#x0364;hnen<lb/>
be&#x017F;tiegen, und von da aus die be&#x017F;tellten Diener anwie&#x017F;en,<lb/>
die ma&#x0364;chtigen Figuren auf die be&#x017F;timmten Felder hinzu¬<lb/>
ru&#x0364;cken; an hohen Tagen, wo die Wa&#x017F;&#x017F;erfa&#x0364;lle &#x017F;tu&#x0364;rzten,<lb/>
und die Springbrunnen ihre Strahlen bis u&#x0364;ber hundert<lb/>
Fuß hoch trieben, durften die Einwohner von Steinfurt<lb/>
und der Umgegend denen von Ver&#x017F;ailles kaum nachzu¬<lb/>
&#x017F;tehen glauben. Der regierende Graf liebte nach alter<lb/>
Wei&#x017F;e, durch &#x017F;olche Außerordentlichkeiten einen hohen<lb/>
Begriff von der Stellung und Macht zu geben, denen<lb/>
&#x017F;o Staunenswerthes mo&#x0364;glich war, und er &#x017F;elber fu&#x0364;hlte<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;o &#x017F;ehr als Mittelpunkt eigner Selb&#x017F;t&#x017F;ta&#x0364;ndigkeit, daß<lb/>
er daru&#x0364;ber den wirklichen Umfang der&#x017F;elben fa&#x017F;t zu ver¬<lb/>
ge&#x017F;&#x017F;en &#x017F;chien. Nicht nur, daß er Hof&#x017F;taat und Leib¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[130/0142] wurden, und in denen neben ſeinen wohlbeſoldeten, aus Italien mit großen Koſten verſchriebenen Kammerſaͤn¬ gern, auch er ſelbſt bisweilen ſich auf der Floͤte hoͤren ließ, die ihm zu ſolchem Behuf ein Edeldiener auf ſeid¬ nem Kiſſen darzubieten hatte; es fehlte nicht an ge¬ raͤumigen Tanz- und Speiſeſaͤlen, nicht an ſchicklichen Raͤumen, wo ein Hofzirkel gehalten und die Vorſtellung anweſender Fremden mit gehoͤriger Feierlichkeit geſchehen konnte; in einer Bucht des See's lagen geſchmuͤckte Prachtſchiffe bereit, um ſowohl die Herrſchaft und etwa¬ nige vornehme Gaͤſte, als auch begleitende Janitſcharen¬ muſik, in langſamer Prunkfahrt umherzufuͤhren; an andrer Stelle ſtieß man auf ein ungeheures Schachbrett im Freien, wo die Spieler zwei entgegengeſetzte Buͤhnen beſtiegen, und von da aus die beſtellten Diener anwieſen, die maͤchtigen Figuren auf die beſtimmten Felder hinzu¬ ruͤcken; an hohen Tagen, wo die Waſſerfaͤlle ſtuͤrzten, und die Springbrunnen ihre Strahlen bis uͤber hundert Fuß hoch trieben, durften die Einwohner von Steinfurt und der Umgegend denen von Verſailles kaum nachzu¬ ſtehen glauben. Der regierende Graf liebte nach alter Weiſe, durch ſolche Außerordentlichkeiten einen hohen Begriff von der Stellung und Macht zu geben, denen ſo Staunenswerthes moͤglich war, und er ſelber fuͤhlte ſich ſo ſehr als Mittelpunkt eigner Selbſtſtaͤndigkeit, daß er daruͤber den wirklichen Umfang derſelben faſt zu ver¬ geſſen ſchien. Nicht nur, daß er Hofſtaat und Leib¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/142
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/142>, abgerufen am 14.05.2024.