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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838.

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Mehr als diese Ungewißheit aber bekümmerte mich
die allgemeine, in welche mein eignes Loos so tief ver¬
flochten war. Daß ein großer Strich des nördlichen
Deutschlands, und darin die bisher zu dem Großherzog¬
thum Berg gerechneten Grafschaften Steinfurt und Bent¬
heim, so wie die noch mit einem Schatten von Freiheit
bestandenen Hansestädte, nun unmittelbar mit Frankreich
vereinigt, und in französische Departements umgewandelt
wurden, raubte mir die letzte Heimath, welche mir in
Hamburg noch geschimmert hatte. Die Nachrichten aus
Berlin, die ich nach langem Harren erhielt, waren spär¬
lich und traurig, doppelt traurig für mich, da sich darin
auch eine Unzufriedenheit kund gab, die ich zu verschul¬
den schien, ohne daß ich diesen Schein abwenden, noch
die Wirklichkeit genügend aufhellen konnte. Je weniger
ich Mittel und Freiheit hatte, für den Augenblick nach
außen handelnd hervorzutreten, um so mehr befestigte
sich mein Inneres, und ich wußte und empfand, daß
meine Hoffnungen und Vorsätze nicht zu zerstören waren.

Der Frost und Schnee des Winters eröffneten neue
Vergnügungen; das Bagno wurde fleißig besucht, und
die Eisdecke des See's zum Schrittschuhlaufen benutzt,
woran auch die Damen mit größtem Erfolg Theil
nahmen, und wobei man bekennen mußte, daß für die
Schönheit und Grazie der Erscheinung wohl keine andre
Uebung diesem schwebenden Wandeln den Preis streitig
machen kann. Dem Winterleben durften einige Bälle,

Mehr als dieſe Ungewißheit aber bekuͤmmerte mich
die allgemeine, in welche mein eignes Loos ſo tief ver¬
flochten war. Daß ein großer Strich des noͤrdlichen
Deutſchlands, und darin die bisher zu dem Großherzog¬
thum Berg gerechneten Grafſchaften Steinfurt und Bent¬
heim, ſo wie die noch mit einem Schatten von Freiheit
beſtandenen Hanſeſtaͤdte, nun unmittelbar mit Frankreich
vereinigt, und in franzoͤſiſche Departements umgewandelt
wurden, raubte mir die letzte Heimath, welche mir in
Hamburg noch geſchimmert hatte. Die Nachrichten aus
Berlin, die ich nach langem Harren erhielt, waren ſpaͤr¬
lich und traurig, doppelt traurig fuͤr mich, da ſich darin
auch eine Unzufriedenheit kund gab, die ich zu verſchul¬
den ſchien, ohne daß ich dieſen Schein abwenden, noch
die Wirklichkeit genuͤgend aufhellen konnte. Je weniger
ich Mittel und Freiheit hatte, fuͤr den Augenblick nach
außen handelnd hervorzutreten, um ſo mehr befeſtigte
ſich mein Inneres, und ich wußte und empfand, daß
meine Hoffnungen und Vorſaͤtze nicht zu zerſtoͤren waren.

Der Froſt und Schnee des Winters eroͤffneten neue
Vergnuͤgungen; das Bagno wurde fleißig beſucht, und
die Eisdecke des See's zum Schrittſchuhlaufen benutzt,
woran auch die Damen mit groͤßtem Erfolg Theil
nahmen, und wobei man bekennen mußte, daß fuͤr die
Schoͤnheit und Grazie der Erſcheinung wohl keine andre
Uebung dieſem ſchwebenden Wandeln den Preis ſtreitig
machen kann. Dem Winterleben durften einige Baͤlle,

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[152/0164] Mehr als dieſe Ungewißheit aber bekuͤmmerte mich die allgemeine, in welche mein eignes Loos ſo tief ver¬ flochten war. Daß ein großer Strich des noͤrdlichen Deutſchlands, und darin die bisher zu dem Großherzog¬ thum Berg gerechneten Grafſchaften Steinfurt und Bent¬ heim, ſo wie die noch mit einem Schatten von Freiheit beſtandenen Hanſeſtaͤdte, nun unmittelbar mit Frankreich vereinigt, und in franzoͤſiſche Departements umgewandelt wurden, raubte mir die letzte Heimath, welche mir in Hamburg noch geſchimmert hatte. Die Nachrichten aus Berlin, die ich nach langem Harren erhielt, waren ſpaͤr¬ lich und traurig, doppelt traurig fuͤr mich, da ſich darin auch eine Unzufriedenheit kund gab, die ich zu verſchul¬ den ſchien, ohne daß ich dieſen Schein abwenden, noch die Wirklichkeit genuͤgend aufhellen konnte. Je weniger ich Mittel und Freiheit hatte, fuͤr den Augenblick nach außen handelnd hervorzutreten, um ſo mehr befeſtigte ſich mein Inneres, und ich wußte und empfand, daß meine Hoffnungen und Vorſaͤtze nicht zu zerſtoͤren waren. Der Froſt und Schnee des Winters eroͤffneten neue Vergnuͤgungen; das Bagno wurde fleißig beſucht, und die Eisdecke des See's zum Schrittſchuhlaufen benutzt, woran auch die Damen mit groͤßtem Erfolg Theil nahmen, und wobei man bekennen mußte, daß fuͤr die Schoͤnheit und Grazie der Erſcheinung wohl keine andre Uebung dieſem ſchwebenden Wandeln den Preis ſtreitig machen kann. Dem Winterleben durften einige Baͤlle,

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/164>, abgerufen am 14.05.2024.