wurde. Der Reimer'sche Kreis war ganz von ihm ein¬ genommen; Marwitz, der vom Lande hereinkam, staunte den schnell Emporgestiegenen an, und knüpfte innigere Freundschaft mit ihm, Theremin, Wilhelm von Schütz, Bernhardi, wer ihn nur kennen lernte, bewiesen ihm achtungsvolle Aufmerksamkeit. Einige Schärfe und Strenge, die bisweilen aus seiner ursprünglich milden, aber durch Frühling und Glück aufgeregten Gemüthsart hervorbrachen, verletzten wohl tief, aber nicht lange, da weder Absicht noch Folge dabei zu spüren war. Wenig¬ stens verzieh ich ihm gern und leicht, wenn er in solcher Art gegen mich bisweilen sich übernehmen wollte.
Bald kam auch Schleiermacher mit seiner Schwester, und kurz darauf Wolf an, so daß der hallische Kreis in Berlin sich gleichsam neu anbaute. Nur Harscher und Bekker fehlten noch, aber auch sie wollten kommen, und aus Frankreich erwartete ich Chamisso'n. Die fort¬ dauernden Kriegsunfälle und die steigende Verarmung störten den Drang und Sinn geistiger Thätigkeit nicht, sie belebten ihn vielmehr. Wolf bereitete seine Zeitschrift der Alterthumswissenschaft in heitrer, mittheilungsfroher Geschäftigkeit vor; Schleiermacher las einer ansehnlichen Zuhörerschaft von Jünglingen und Männern die Ge¬ schichte der griechischen Philosophie, ein geistreiches Kol¬ legium, noch besonders merkwürdig, durch den freien, rednerischen Vortrag, der ohne Stocken in schönem Eben¬ maße gebildeter Sprache klar dahinfloß, ohne daß der
wurde. Der Reimer'ſche Kreis war ganz von ihm ein¬ genommen; Marwitz, der vom Lande hereinkam, ſtaunte den ſchnell Emporgeſtiegenen an, und knuͤpfte innigere Freundſchaft mit ihm, Theremin, Wilhelm von Schuͤtz, Bernhardi, wer ihn nur kennen lernte, bewieſen ihm achtungsvolle Aufmerkſamkeit. Einige Schaͤrfe und Strenge, die bisweilen aus ſeiner urſpruͤnglich milden, aber durch Fruͤhling und Gluͤck aufgeregten Gemuͤthsart hervorbrachen, verletzten wohl tief, aber nicht lange, da weder Abſicht noch Folge dabei zu ſpuͤren war. Wenig¬ ſtens verzieh ich ihm gern und leicht, wenn er in ſolcher Art gegen mich bisweilen ſich uͤbernehmen wollte.
Bald kam auch Schleiermacher mit ſeiner Schweſter, und kurz darauf Wolf an, ſo daß der halliſche Kreis in Berlin ſich gleichſam neu anbaute. Nur Harſcher und Bekker fehlten noch, aber auch ſie wollten kommen, und aus Frankreich erwartete ich Chamiſſo'n. Die fort¬ dauernden Kriegsunfaͤlle und die ſteigende Verarmung ſtoͤrten den Drang und Sinn geiſtiger Thaͤtigkeit nicht, ſie belebten ihn vielmehr. Wolf bereitete ſeine Zeitſchrift der Alterthumswiſſenſchaft in heitrer, mittheilungsfroher Geſchaͤftigkeit vor; Schleiermacher las einer anſehnlichen Zuhoͤrerſchaft von Juͤnglingen und Maͤnnern die Ge¬ ſchichte der griechiſchen Philoſophie, ein geiſtreiches Kol¬ legium, noch beſonders merkwuͤrdig, durch den freien, redneriſchen Vortrag, der ohne Stocken in ſchoͤnem Eben¬ maße gebildeter Sprache klar dahinfloß, ohne daß der
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0023"n="11"/>
wurde. Der Reimer'ſche Kreis war ganz von ihm ein¬<lb/>
genommen; Marwitz, der vom Lande hereinkam, ſtaunte<lb/>
den ſchnell Emporgeſtiegenen an, und knuͤpfte innigere<lb/>
Freundſchaft mit ihm, Theremin, Wilhelm von Schuͤtz,<lb/>
Bernhardi, wer ihn nur kennen lernte, bewieſen ihm<lb/>
achtungsvolle Aufmerkſamkeit. Einige Schaͤrfe und<lb/>
Strenge, die bisweilen aus ſeiner urſpruͤnglich milden,<lb/>
aber durch Fruͤhling und Gluͤck aufgeregten Gemuͤthsart<lb/>
hervorbrachen, verletzten wohl tief, aber nicht lange, da<lb/>
weder Abſicht noch Folge dabei zu ſpuͤren war. Wenig¬<lb/>ſtens verzieh ich ihm gern und leicht, wenn er in ſolcher<lb/>
Art gegen mich bisweilen ſich uͤbernehmen wollte.</p><lb/><p>Bald kam auch Schleiermacher mit ſeiner Schweſter,<lb/>
und kurz darauf Wolf an, ſo daß der halliſche Kreis<lb/>
in Berlin ſich gleichſam neu anbaute. Nur Harſcher<lb/>
und Bekker fehlten noch, aber auch ſie wollten kommen,<lb/>
und aus Frankreich erwartete ich Chamiſſo'n. Die fort¬<lb/>
dauernden Kriegsunfaͤlle und die ſteigende Verarmung<lb/>ſtoͤrten den Drang und Sinn geiſtiger Thaͤtigkeit nicht,<lb/>ſie belebten ihn vielmehr. Wolf bereitete ſeine Zeitſchrift<lb/>
der Alterthumswiſſenſchaft in heitrer, mittheilungsfroher<lb/>
Geſchaͤftigkeit vor; Schleiermacher las einer anſehnlichen<lb/>
Zuhoͤrerſchaft von Juͤnglingen und Maͤnnern die Ge¬<lb/>ſchichte der griechiſchen Philoſophie, ein geiſtreiches Kol¬<lb/>
legium, noch beſonders merkwuͤrdig, durch den freien,<lb/>
redneriſchen Vortrag, der ohne Stocken in ſchoͤnem Eben¬<lb/>
maße gebildeter Sprache klar dahinfloß, ohne daß der<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[11/0023]
wurde. Der Reimer'ſche Kreis war ganz von ihm ein¬
genommen; Marwitz, der vom Lande hereinkam, ſtaunte
den ſchnell Emporgeſtiegenen an, und knuͤpfte innigere
Freundſchaft mit ihm, Theremin, Wilhelm von Schuͤtz,
Bernhardi, wer ihn nur kennen lernte, bewieſen ihm
achtungsvolle Aufmerkſamkeit. Einige Schaͤrfe und
Strenge, die bisweilen aus ſeiner urſpruͤnglich milden,
aber durch Fruͤhling und Gluͤck aufgeregten Gemuͤthsart
hervorbrachen, verletzten wohl tief, aber nicht lange, da
weder Abſicht noch Folge dabei zu ſpuͤren war. Wenig¬
ſtens verzieh ich ihm gern und leicht, wenn er in ſolcher
Art gegen mich bisweilen ſich uͤbernehmen wollte.
Bald kam auch Schleiermacher mit ſeiner Schweſter,
und kurz darauf Wolf an, ſo daß der halliſche Kreis
in Berlin ſich gleichſam neu anbaute. Nur Harſcher
und Bekker fehlten noch, aber auch ſie wollten kommen,
und aus Frankreich erwartete ich Chamiſſo'n. Die fort¬
dauernden Kriegsunfaͤlle und die ſteigende Verarmung
ſtoͤrten den Drang und Sinn geiſtiger Thaͤtigkeit nicht,
ſie belebten ihn vielmehr. Wolf bereitete ſeine Zeitſchrift
der Alterthumswiſſenſchaft in heitrer, mittheilungsfroher
Geſchaͤftigkeit vor; Schleiermacher las einer anſehnlichen
Zuhoͤrerſchaft von Juͤnglingen und Maͤnnern die Ge¬
ſchichte der griechiſchen Philoſophie, ein geiſtreiches Kol¬
legium, noch beſonders merkwuͤrdig, durch den freien,
redneriſchen Vortrag, der ohne Stocken in ſchoͤnem Eben¬
maße gebildeter Sprache klar dahinfloß, ohne daß der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/23>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.