Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

französischen Gewalt bezwecke, doch nahmen sie die
aufgedrungenen Waffen meist in der Hoffnung an, sie
bald auch nach eignem Sinne und wider den nicht
zweifelhaften wahren Feind zu gebrauchen. Einstweilen
aber mußten sie dessen Macht und Ansehn verstärken
helfen; dies geschah in solchem Maße, und Mißtrauen
und Zweifel hatten so zugenommen, daß die Franzosen
sogar wagen durften, eine Anzahl von Schlachtopfern,
welche als Rädelsführer des Aufruhrs gelten mußten,
aus der untersten Volksklasse herauszugreifen, und nach
kurzem Verfahren sogleich erschießen zu lassen. Hiedurch
aber wurde das Volk aus der Betäubung, in die es
verfallen war, wieder aufgeschreckt, und einen Tag
später hätte keine Hinrichtung wiederholt werden kön¬
nen. Eine furchtbare Gährung braus'te nun immer¬
fort, bald lauter, bald dumpfer; die Lage der Fran¬
zosen wurde täglich bedrängter und angstvoller, sie fühl¬
ten, daß sie weder auf die dänischen Hülfstruppen,
noch auf die hamburgische Bürgerbewaffnung sonderlich
rechnen durften; französische Truppen waren nirgends
in der Nähe, und aus der Ferne nicht zu hoffen.
Ueberzeugt, dem Kaiser diesen wichtigen Platz nicht
erhalten zu können, und doch wieder voll Furcht, ihn
zu früh aufzugeben, schwankten sie in wechselnden Ein¬
drücken des Schreckens, des Grimms, der Hoffnung
und des Zagens, und durften zuletzt nicht einmal Fort¬
sendungen wagen, die dem Volke das Bild eines na¬

franzoͤſiſchen Gewalt bezwecke, doch nahmen ſie die
aufgedrungenen Waffen meiſt in der Hoffnung an, ſie
bald auch nach eignem Sinne und wider den nicht
zweifelhaften wahren Feind zu gebrauchen. Einſtweilen
aber mußten ſie deſſen Macht und Anſehn verſtaͤrken
helfen; dies geſchah in ſolchem Maße, und Mißtrauen
und Zweifel hatten ſo zugenommen, daß die Franzoſen
ſogar wagen durften, eine Anzahl von Schlachtopfern,
welche als Raͤdelsfuͤhrer des Aufruhrs gelten mußten,
aus der unterſten Volksklaſſe herauszugreifen, und nach
kurzem Verfahren ſogleich erſchießen zu laſſen. Hiedurch
aber wurde das Volk aus der Betaͤubung, in die es
verfallen war, wieder aufgeſchreckt, und einen Tag
ſpaͤter haͤtte keine Hinrichtung wiederholt werden koͤn¬
nen. Eine furchtbare Gaͤhrung brauſ'te nun immer¬
fort, bald lauter, bald dumpfer; die Lage der Fran¬
zoſen wurde taͤglich bedraͤngter und angſtvoller, ſie fuͤhl¬
ten, daß ſie weder auf die daͤniſchen Huͤlfstruppen,
noch auf die hamburgiſche Buͤrgerbewaffnung ſonderlich
rechnen durften; franzoͤſiſche Truppen waren nirgends
in der Naͤhe, und aus der Ferne nicht zu hoffen.
Ueberzeugt, dem Kaiſer dieſen wichtigen Platz nicht
erhalten zu koͤnnen, und doch wieder voll Furcht, ihn
zu fruͤh aufzugeben, ſchwankten ſie in wechſelnden Ein¬
druͤcken des Schreckens, des Grimms, der Hoffnung
und des Zagens, und durften zuletzt nicht einmal Fort¬
ſendungen wagen, die dem Volke das Bild eines na¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0267" n="255"/>
franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Gewalt bezwecke, doch nahmen &#x017F;ie die<lb/>
aufgedrungenen Waffen mei&#x017F;t in der Hoffnung an, &#x017F;ie<lb/>
bald auch nach eignem Sinne und wider den nicht<lb/>
zweifelhaften wahren Feind zu gebrauchen. Ein&#x017F;tweilen<lb/>
aber mußten &#x017F;ie de&#x017F;&#x017F;en Macht und An&#x017F;ehn ver&#x017F;ta&#x0364;rken<lb/>
helfen; dies ge&#x017F;chah in &#x017F;olchem Maße, und Mißtrauen<lb/>
und Zweifel hatten &#x017F;o zugenommen, daß die Franzo&#x017F;en<lb/>
&#x017F;ogar wagen durften, eine Anzahl von Schlachtopfern,<lb/>
welche als Ra&#x0364;delsfu&#x0364;hrer des Aufruhrs gelten mußten,<lb/>
aus der unter&#x017F;ten Volkskla&#x017F;&#x017F;e herauszugreifen, und nach<lb/>
kurzem Verfahren &#x017F;ogleich er&#x017F;chießen zu la&#x017F;&#x017F;en. Hiedurch<lb/>
aber wurde das Volk aus der Beta&#x0364;ubung, in die es<lb/>
verfallen war, wieder aufge&#x017F;chreckt, und einen Tag<lb/>
&#x017F;pa&#x0364;ter ha&#x0364;tte keine Hinrichtung wiederholt werden ko&#x0364;<lb/>
nen. Eine furchtbare Ga&#x0364;hrung brau&#x017F;'te nun immer¬<lb/>
fort, bald lauter, bald dumpfer; die Lage der Fran¬<lb/>
zo&#x017F;en wurde ta&#x0364;glich bedra&#x0364;ngter und ang&#x017F;tvoller, &#x017F;ie fu&#x0364;hl¬<lb/>
ten, daß &#x017F;ie weder auf die da&#x0364;ni&#x017F;chen Hu&#x0364;lfstruppen,<lb/>
noch auf die hamburgi&#x017F;che Bu&#x0364;rgerbewaffnung &#x017F;onderlich<lb/>
rechnen durften; franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;che Truppen waren nirgends<lb/>
in der Na&#x0364;he, und aus der Ferne nicht zu hoffen.<lb/>
Ueberzeugt, dem Kai&#x017F;er die&#x017F;en wichtigen Platz nicht<lb/>
erhalten zu ko&#x0364;nnen, und doch wieder voll Furcht, ihn<lb/>
zu fru&#x0364;h aufzugeben, &#x017F;chwankten &#x017F;ie in wech&#x017F;elnden Ein¬<lb/>
dru&#x0364;cken des Schreckens, des Grimms, der Hoffnung<lb/>
und des Zagens, und durften zuletzt nicht einmal Fort¬<lb/>
&#x017F;endungen wagen, die dem Volke das Bild eines na¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[255/0267] franzoͤſiſchen Gewalt bezwecke, doch nahmen ſie die aufgedrungenen Waffen meiſt in der Hoffnung an, ſie bald auch nach eignem Sinne und wider den nicht zweifelhaften wahren Feind zu gebrauchen. Einſtweilen aber mußten ſie deſſen Macht und Anſehn verſtaͤrken helfen; dies geſchah in ſolchem Maße, und Mißtrauen und Zweifel hatten ſo zugenommen, daß die Franzoſen ſogar wagen durften, eine Anzahl von Schlachtopfern, welche als Raͤdelsfuͤhrer des Aufruhrs gelten mußten, aus der unterſten Volksklaſſe herauszugreifen, und nach kurzem Verfahren ſogleich erſchießen zu laſſen. Hiedurch aber wurde das Volk aus der Betaͤubung, in die es verfallen war, wieder aufgeſchreckt, und einen Tag ſpaͤter haͤtte keine Hinrichtung wiederholt werden koͤn¬ nen. Eine furchtbare Gaͤhrung brauſ'te nun immer¬ fort, bald lauter, bald dumpfer; die Lage der Fran¬ zoſen wurde taͤglich bedraͤngter und angſtvoller, ſie fuͤhl¬ ten, daß ſie weder auf die daͤniſchen Huͤlfstruppen, noch auf die hamburgiſche Buͤrgerbewaffnung ſonderlich rechnen durften; franzoͤſiſche Truppen waren nirgends in der Naͤhe, und aus der Ferne nicht zu hoffen. Ueberzeugt, dem Kaiſer dieſen wichtigen Platz nicht erhalten zu koͤnnen, und doch wieder voll Furcht, ihn zu fruͤh aufzugeben, ſchwankten ſie in wechſelnden Ein¬ druͤcken des Schreckens, des Grimms, der Hoffnung und des Zagens, und durften zuletzt nicht einmal Fort¬ ſendungen wagen, die dem Volke das Bild eines na¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/267
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/267>, abgerufen am 24.11.2024.