Königreiche Westphalen gehörigen, und ganz verwaiseten Stadt so viel als möglich zu entgehen. Harscher zeigte die größte Anhänglichkeit an den hallischen Kreis, und erklärte geradezu, daß er keine andre Heimath habe noch haben wolle, und bei Versetzung jenes Kreises nach Berlin nicht zurückbleiben werde. Jedoch wurden schon damals die Spuren eines Widerstreites merkbar, in welchem er die vertraulichste Innigkeit und die ge¬ spannteste Entfernung wechseln ließ, und beide fast zu gleicher Zeit hegen konnte. Seine krankhaften Zustände stimmten ihn sehr reizbar, er machte übertriebene For¬ derungen, und lauerte und rechnete argwöhnisch, ob und wie sie erfüllt würden, dann warf ihn der Mi߬ muth fast ganz auf sich selber zurück, und seine Vor¬ sätze und Zusagen vernichteten und erneuerten sich nach den kleinsten Zufällen. Es war durchaus zweifelhaft, ob er, einmal nach Halle zurückgekehrt, nicht dort blei¬ ben, und anstatt den lebensmuthigen Menschen auf neue Bahn zu folgen, nicht der düstern, abgestorbenen Oert¬ lichkeit sich treu erweisen würde.
Im Anfange des Oktobers wanderten Neumann und ich nach Nennhausen, wo wir, ungeachtet franzö¬ sische Einquartierung das Schloß wie das Dorf be¬ lästigte, die beste Aufnahme fanden. Ich hatte bei Frau von Fouque in der Zwischenzeit sehr gewonnen, und sie bezeigte mir gern die dankbare Neigung, die
Koͤnigreiche Weſtphalen gehoͤrigen, und ganz verwaiſeten Stadt ſo viel als moͤglich zu entgehen. Harſcher zeigte die groͤßte Anhaͤnglichkeit an den halliſchen Kreis, und erklaͤrte geradezu, daß er keine andre Heimath habe noch haben wolle, und bei Verſetzung jenes Kreiſes nach Berlin nicht zuruͤckbleiben werde. Jedoch wurden ſchon damals die Spuren eines Widerſtreites merkbar, in welchem er die vertraulichſte Innigkeit und die ge¬ ſpannteſte Entfernung wechſeln ließ, und beide faſt zu gleicher Zeit hegen konnte. Seine krankhaften Zuſtaͤnde ſtimmten ihn ſehr reizbar, er machte uͤbertriebene For¬ derungen, und lauerte und rechnete argwoͤhniſch, ob und wie ſie erfuͤllt wuͤrden, dann warf ihn der Mi߬ muth faſt ganz auf ſich ſelber zuruͤck, und ſeine Vor¬ ſaͤtze und Zuſagen vernichteten und erneuerten ſich nach den kleinſten Zufaͤllen. Es war durchaus zweifelhaft, ob er, einmal nach Halle zuruͤckgekehrt, nicht dort blei¬ ben, und anſtatt den lebensmuthigen Menſchen auf neue Bahn zu folgen, nicht der duͤſtern, abgeſtorbenen Oert¬ lichkeit ſich treu erweiſen wuͤrde.
Im Anfange des Oktobers wanderten Neumann und ich nach Nennhauſen, wo wir, ungeachtet franzoͤ¬ ſiſche Einquartierung das Schloß wie das Dorf be¬ laͤſtigte, die beſte Aufnahme fanden. Ich hatte bei Frau von Fouqué in der Zwiſchenzeit ſehr gewonnen, und ſie bezeigte mir gern die dankbare Neigung, die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0052"n="40"/>
Koͤnigreiche Weſtphalen gehoͤrigen, und ganz verwaiſeten<lb/>
Stadt ſo viel als moͤglich zu entgehen. Harſcher zeigte<lb/>
die groͤßte Anhaͤnglichkeit an den halliſchen Kreis, und<lb/>
erklaͤrte geradezu, daß er keine andre Heimath habe<lb/>
noch haben wolle, und bei Verſetzung jenes Kreiſes<lb/>
nach Berlin nicht zuruͤckbleiben werde. Jedoch wurden<lb/>ſchon damals die Spuren eines Widerſtreites merkbar,<lb/>
in welchem er die vertraulichſte Innigkeit und die ge¬<lb/>ſpannteſte Entfernung wechſeln ließ, und beide faſt zu<lb/>
gleicher Zeit hegen konnte. Seine krankhaften Zuſtaͤnde<lb/>ſtimmten ihn ſehr reizbar, er machte uͤbertriebene For¬<lb/>
derungen, und lauerte und rechnete argwoͤhniſch, ob<lb/>
und wie ſie erfuͤllt wuͤrden, dann warf ihn der Mi߬<lb/>
muth faſt ganz auf ſich ſelber zuruͤck, und ſeine Vor¬<lb/>ſaͤtze und Zuſagen vernichteten und erneuerten ſich nach<lb/>
den kleinſten Zufaͤllen. Es war durchaus zweifelhaft,<lb/>
ob er, einmal nach Halle zuruͤckgekehrt, nicht dort blei¬<lb/>
ben, und anſtatt den lebensmuthigen Menſchen auf neue<lb/>
Bahn zu folgen, nicht der duͤſtern, abgeſtorbenen Oert¬<lb/>
lichkeit ſich treu erweiſen wuͤrde.</p><lb/><p>Im Anfange des Oktobers wanderten Neumann<lb/>
und ich nach Nennhauſen, wo wir, ungeachtet franzoͤ¬<lb/>ſiſche Einquartierung das Schloß wie das Dorf be¬<lb/>
laͤſtigte, die beſte Aufnahme fanden. Ich hatte bei<lb/>
Frau von Fouqu<hirendition="#aq">é</hi> in der Zwiſchenzeit ſehr gewonnen,<lb/>
und ſie bezeigte mir gern die dankbare Neigung, die<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[40/0052]
Koͤnigreiche Weſtphalen gehoͤrigen, und ganz verwaiſeten
Stadt ſo viel als moͤglich zu entgehen. Harſcher zeigte
die groͤßte Anhaͤnglichkeit an den halliſchen Kreis, und
erklaͤrte geradezu, daß er keine andre Heimath habe
noch haben wolle, und bei Verſetzung jenes Kreiſes
nach Berlin nicht zuruͤckbleiben werde. Jedoch wurden
ſchon damals die Spuren eines Widerſtreites merkbar,
in welchem er die vertraulichſte Innigkeit und die ge¬
ſpannteſte Entfernung wechſeln ließ, und beide faſt zu
gleicher Zeit hegen konnte. Seine krankhaften Zuſtaͤnde
ſtimmten ihn ſehr reizbar, er machte uͤbertriebene For¬
derungen, und lauerte und rechnete argwoͤhniſch, ob
und wie ſie erfuͤllt wuͤrden, dann warf ihn der Mi߬
muth faſt ganz auf ſich ſelber zuruͤck, und ſeine Vor¬
ſaͤtze und Zuſagen vernichteten und erneuerten ſich nach
den kleinſten Zufaͤllen. Es war durchaus zweifelhaft,
ob er, einmal nach Halle zuruͤckgekehrt, nicht dort blei¬
ben, und anſtatt den lebensmuthigen Menſchen auf neue
Bahn zu folgen, nicht der duͤſtern, abgeſtorbenen Oert¬
lichkeit ſich treu erweiſen wuͤrde.
Im Anfange des Oktobers wanderten Neumann
und ich nach Nennhauſen, wo wir, ungeachtet franzoͤ¬
ſiſche Einquartierung das Schloß wie das Dorf be¬
laͤſtigte, die beſte Aufnahme fanden. Ich hatte bei
Frau von Fouqué in der Zwiſchenzeit ſehr gewonnen,
und ſie bezeigte mir gern die dankbare Neigung, die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/52>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.