son'schen Rezension nicht reines Gemüths war: denn man hatte mir vorher so viel gesagt, und besonders sie so enorm schwer ausgegeben, daß ich in Ärger verfiel sie zu finden wie sie ist. Ich weiß selbst, daß sie Hr. von Humboldt so sehr gut fand, und die eine Idee so besonders, "daß der Mensch dahin zurückkommen müsse, aber nicht stehen bleiben, von wo aus ihn die Natur schickt;" das alles hat mich anstatt ein- zunehmen, nur noch krippscher gemacht. Kennen Sie gar kei- nen ordentlichen Menschen in Jena? Reden Sie doch einmal mit einem von der Rezension, und als ob Sie meiner Mei- nung wären (den Hals wird's Ihnen doch nicht kosten), und hören Sie, ob alle Menschen Sie für unsinnig halten, und ob ich's auch thun muß! Denn zu denken, vielleicht bist du verrückt, ist schrecklich; weiß ich's gewiß, so reformir' ich mich. -- --
Ich soll Ihnen ein Wort über den Hrn. von Humboldt schreiben; ich weiß keins, das werden sie doch deutlich aus den vorigen Blättern sehen. Und wenn ich sagte, verlassen Sie sich nicht zu sehr auf ihn, so meint' ich, verlassen Sie sich nicht zu sehr auf sich und das Verhältniß, das zwischen Ihnen beiden sein kann, und sein Sie immer fein, zurückhal- tend, artig (im Systemsinne, lieber Jünger), und was er sich erlaubt (im Urtheil hauptsächlich), erlauben Sie sich nicht: und diesmal war es zu "sorgliche Freundschaft", was aus mir sprach. --
Ich fühle mit Ihnen; das heißt, ich nehme Antheil und bedaure Sie, daß Sie ungesellig leben müssen. -- Ich be- schwöre Sie aber auch, bei allen Seelen aller seligen größten
ſon’ſchen Rezenſion nicht reines Gemüths war: denn man hatte mir vorher ſo viel geſagt, und beſonders ſie ſo enorm ſchwer ausgegeben, daß ich in Ärger verfiel ſie zu finden wie ſie iſt. Ich weiß ſelbſt, daß ſie Hr. von Humboldt ſo ſehr gut fand, und die eine Idee ſo beſonders, „daß der Menſch dahin zurückkommen müſſe, aber nicht ſtehen bleiben, von wo aus ihn die Natur ſchickt;“ das alles hat mich anſtatt ein- zunehmen, nur noch krippſcher gemacht. Kennen Sie gar kei- nen ordentlichen Menſchen in Jena? Reden Sie doch einmal mit einem von der Rezenſion, und als ob Sie meiner Mei- nung wären (den Hals wird’s Ihnen doch nicht koſten), und hören Sie, ob alle Menſchen Sie für unſinnig halten, und ob ich’s auch thun muß! Denn zu denken, vielleicht biſt du verrückt, iſt ſchrecklich; weiß ich’s gewiß, ſo reformir’ ich mich. — —
Ich ſoll Ihnen ein Wort über den Hrn. von Humboldt ſchreiben; ich weiß keins, das werden ſie doch deutlich aus den vorigen Blättern ſehen. Und wenn ich ſagte, verlaſſen Sie ſich nicht zu ſehr auf ihn, ſo meint’ ich, verlaſſen Sie ſich nicht zu ſehr auf ſich und das Verhältniß, das zwiſchen Ihnen beiden ſein kann, und ſein Sie immer fein, zurückhal- tend, artig (im Syſtemſinne, lieber Jünger), und was er ſich erlaubt (im Urtheil hauptſächlich), erlauben Sie ſich nicht: und diesmal war es zu „ſorgliche Freundſchaft“, was aus mir ſprach. —
Ich fühle mit Ihnen; das heißt, ich nehme Antheil und bedaure Sie, daß Sie ungeſellig leben müſſen. — Ich be- ſchwöre Sie aber auch, bei allen Seelen aller ſeligen größten
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0125"n="111"/>ſon’ſchen Rezenſion nicht reines Gemüths war: denn man<lb/>
hatte mir vorher ſo viel geſagt, und beſonders ſie ſo enorm<lb/>ſchwer ausgegeben, daß ich in Ärger verfiel ſie zu finden wie<lb/>ſie iſt. Ich weiß ſelbſt, daß ſie Hr. von Humboldt ſo ſehr<lb/>
gut fand, und die eine Idee ſo beſonders, „daß der Menſch<lb/>
dahin zurückkommen müſſe, aber nicht ſtehen bleiben, von wo<lb/>
aus ihn die Natur ſchickt;“ das alles hat mich anſtatt ein-<lb/>
zunehmen, nur noch krippſcher gemacht. Kennen Sie gar kei-<lb/>
nen ordentlichen Menſchen in Jena? Reden Sie doch einmal<lb/>
mit einem von der Rezenſion, und als ob Sie meiner Mei-<lb/>
nung wären (den Hals wird’s Ihnen doch nicht koſten), und<lb/>
hören Sie, ob alle Menſchen Sie für unſinnig halten, und<lb/>
ob ich’s auch thun muß! Denn <hirendition="#g">zu denken, vielleicht</hi> biſt<lb/>
du verrückt, iſt ſchrecklich; weiß ich’s gewiß, ſo reformir’ ich<lb/>
mich. ——</p><lb/><p>Ich ſoll Ihnen ein Wort über den Hrn. von Humboldt<lb/>ſchreiben; ich weiß keins, das werden ſie doch deutlich aus<lb/>
den vorigen Blättern ſehen. Und wenn ich ſagte, verlaſſen<lb/>
Sie ſich nicht zu ſehr auf ihn, ſo meint’ ich, verlaſſen Sie<lb/>ſich nicht zu ſehr auf ſich und das Verhältniß, das zwiſchen<lb/>
Ihnen beiden ſein kann, und ſein Sie immer fein, zurückhal-<lb/>
tend, artig (im Syſtemſinne, lieber Jünger), und was er ſich<lb/>
erlaubt (im Urtheil hauptſächlich), erlauben Sie ſich nicht:<lb/>
und <hirendition="#g">diesmal</hi> war es zu „ſorgliche Freundſchaft“, was aus<lb/>
mir ſprach. —</p><lb/><p>Ich fühle mit Ihnen; das heißt, ich nehme Antheil und<lb/>
bedaure Sie, daß Sie ungeſellig leben müſſen. — Ich be-<lb/>ſchwöre Sie aber auch, bei allen Seelen aller ſeligen größten<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[111/0125]
ſon’ſchen Rezenſion nicht reines Gemüths war: denn man
hatte mir vorher ſo viel geſagt, und beſonders ſie ſo enorm
ſchwer ausgegeben, daß ich in Ärger verfiel ſie zu finden wie
ſie iſt. Ich weiß ſelbſt, daß ſie Hr. von Humboldt ſo ſehr
gut fand, und die eine Idee ſo beſonders, „daß der Menſch
dahin zurückkommen müſſe, aber nicht ſtehen bleiben, von wo
aus ihn die Natur ſchickt;“ das alles hat mich anſtatt ein-
zunehmen, nur noch krippſcher gemacht. Kennen Sie gar kei-
nen ordentlichen Menſchen in Jena? Reden Sie doch einmal
mit einem von der Rezenſion, und als ob Sie meiner Mei-
nung wären (den Hals wird’s Ihnen doch nicht koſten), und
hören Sie, ob alle Menſchen Sie für unſinnig halten, und
ob ich’s auch thun muß! Denn zu denken, vielleicht biſt
du verrückt, iſt ſchrecklich; weiß ich’s gewiß, ſo reformir’ ich
mich. — —
Ich ſoll Ihnen ein Wort über den Hrn. von Humboldt
ſchreiben; ich weiß keins, das werden ſie doch deutlich aus
den vorigen Blättern ſehen. Und wenn ich ſagte, verlaſſen
Sie ſich nicht zu ſehr auf ihn, ſo meint’ ich, verlaſſen Sie
ſich nicht zu ſehr auf ſich und das Verhältniß, das zwiſchen
Ihnen beiden ſein kann, und ſein Sie immer fein, zurückhal-
tend, artig (im Syſtemſinne, lieber Jünger), und was er ſich
erlaubt (im Urtheil hauptſächlich), erlauben Sie ſich nicht:
und diesmal war es zu „ſorgliche Freundſchaft“, was aus
mir ſprach. —
Ich fühle mit Ihnen; das heißt, ich nehme Antheil und
bedaure Sie, daß Sie ungeſellig leben müſſen. — Ich be-
ſchwöre Sie aber auch, bei allen Seelen aller ſeligen größten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/125>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.