Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Roman oder in einer Komödie gefallen lassen, für mich ist sie
nicht, ich finde sie unerträglich, so recht wie vom Boccaccio.
Weiter hab' ich darüber nichts zu sagen; außer daß der Leser
immer verliert, wenn man ihm ein Werk bissenweise zu-
steckt. Vor der Geschichte war's hübsch in derselben Hore.
Sie wissen, im Bürgergeneral erkannt' ich Goethen an Einem
Worte. Über Meister werd' ich mich wohl hüten etwas zu
sagen: weil ich nicht kann. Wenn wir ihn zusammen läsen,
sollten Sie ihn gewiß anders finden als jetzt. Noch hab' ich
kein Wort darüber gesagt -- ich kann nun fast gar nicht
mehr reden, -- denn die Leute verstehen ihn einem immer in
die Ohren hinein. Auch ich finde die Ähnlichkeit mit Aurelien;
und zuletzt nicht. Mit Jettchen aber noch weit weniger. Von
der ihrem Karakter liegt die wilde Handlung mit dem Dolche
zu weit, und auch von ihrem Geiste, denn sie setzt Phantasie
voraus, mich trennt aber nichts davon als meine Denkungs-
art. Wenn ich einmal ganz glücklich gewesen wäre, wie
Aurelie, und mich in diesem Glück bis zu einem Kinde ver-
gessen hätte, so könnt' ich nie wieder so unglücklich werden.
Was will man denn? Der Augenblick der Reife kann nicht
dauern; und ganz könnt' ich mich nie in dem Menschen ge-
irrt haben, dem ich mich schenkte. So sicher fahr' ich Jason
in meinem Wolkenwagen. Sollt' ich ihn aber für schmelzbar
halten, so ist auch kein Freund vor einem solchen Riß mit dem
Dolche sicher. Ich wette, der Gesichtspunkt ist Ihnen neu.
Er ist es auch, denn ich lege den Kopf unter die Guillotine,
wenn ihn Ihnen noch Eine zeigt, Einer unmöglich! So
denk' ich aber überhaupt über weiblich Glück; drum sagt' ich's.

Roman oder in einer Komödie gefallen laſſen, für mich iſt ſie
nicht, ich finde ſie unerträglich, ſo recht wie vom Boccaccio.
Weiter hab’ ich darüber nichts zu ſagen; außer daß der Leſer
immer verliert, wenn man ihm ein Werk biſſenweiſe zu-
ſteckt. Vor der Geſchichte war’s hübſch in derſelben Hore.
Sie wiſſen, im Bürgergeneral erkannt’ ich Goethen an Einem
Worte. Über Meiſter werd’ ich mich wohl hüten etwas zu
ſagen: weil ich nicht kann. Wenn wir ihn zuſammen läſen,
ſollten Sie ihn gewiß anders finden als jetzt. Noch hab’ ich
kein Wort darüber geſagt — ich kann nun faſt gar nicht
mehr reden, — denn die Leute verſtehen ihn einem immer in
die Ohren hinein. Auch ich finde die Ähnlichkeit mit Aurelien;
und zuletzt nicht. Mit Jettchen aber noch weit weniger. Von
der ihrem Karakter liegt die wilde Handlung mit dem Dolche
zu weit, und auch von ihrem Geiſte, denn ſie ſetzt Phantaſie
voraus, mich trennt aber nichts davon als meine Denkungs-
art. Wenn ich einmal ganz glücklich geweſen wäre, wie
Aurelie, und mich in dieſem Glück bis zu einem Kinde ver-
geſſen hätte, ſo könnt’ ich nie wieder ſo unglücklich werden.
Was will man denn? Der Augenblick der Reife kann nicht
dauern; und ganz könnt’ ich mich nie in dem Menſchen ge-
irrt haben, dem ich mich ſchenkte. So ſicher fahr’ ich Jaſon
in meinem Wolkenwagen. Sollt’ ich ihn aber für ſchmelzbar
halten, ſo iſt auch kein Freund vor einem ſolchen Riß mit dem
Dolche ſicher. Ich wette, der Geſichtspunkt iſt Ihnen neu.
Er iſt es auch, denn ich lege den Kopf unter die Guillotine,
wenn ihn Ihnen noch Eine zeigt, Einer unmöglich! So
denk’ ich aber überhaupt über weiblich Glück; drum ſagt’ ich’s.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0153" n="139"/>
Roman oder in einer Komödie gefallen la&#x017F;&#x017F;en, für mich i&#x017F;t &#x017F;ie<lb/>
nicht, ich finde &#x017F;ie unerträglich, &#x017F;o recht wie vom Boccaccio.<lb/>
Weiter hab&#x2019; ich darüber nichts zu &#x017F;agen; außer daß der Le&#x017F;er<lb/><hi rendition="#g">immer verliert</hi>, wenn man ihm ein Werk bi&#x017F;&#x017F;enwei&#x017F;e zu-<lb/>
&#x017F;teckt. Vor der Ge&#x017F;chichte war&#x2019;s hüb&#x017F;ch in der&#x017F;elben Hore.<lb/>
Sie wi&#x017F;&#x017F;en, im Bürgergeneral erkannt&#x2019; ich Goethen an Einem<lb/>
Worte. Über Mei&#x017F;ter werd&#x2019; ich mich wohl hüten etwas zu<lb/>
&#x017F;agen: weil ich nicht kann. Wenn wir ihn zu&#x017F;ammen lä&#x017F;en,<lb/>
&#x017F;ollten Sie ihn gewiß anders finden als jetzt. Noch hab&#x2019; ich<lb/>
kein Wort darüber ge&#x017F;agt &#x2014; ich kann <hi rendition="#g">nun</hi> fa&#x017F;t gar nicht<lb/>
mehr reden, &#x2014; denn die Leute ver&#x017F;tehen ihn einem immer in<lb/>
die Ohren hinein. Auch ich finde die Ähnlichkeit mit Aurelien;<lb/>
und zuletzt nicht. Mit Jettchen aber noch weit weniger. Von<lb/>
der ihrem Karakter liegt die wilde Handlung mit dem Dolche<lb/>
zu weit, und auch von ihrem Gei&#x017F;te, denn &#x017F;ie &#x017F;etzt Phanta&#x017F;ie<lb/>
voraus, mich trennt aber nichts davon als meine Denkungs-<lb/>
art. Wenn ich einmal <hi rendition="#g">ganz</hi> glücklich gewe&#x017F;en wäre, wie<lb/>
Aurelie, und mich in die&#x017F;em Glück bis zu einem Kinde ver-<lb/>
ge&#x017F;&#x017F;en hätte, &#x017F;o könnt&#x2019; ich nie wieder &#x017F;o unglücklich werden.<lb/>
Was will man denn? Der Augenblick der Reife kann nicht<lb/>
dauern; und <hi rendition="#g">ganz</hi> könnt&#x2019; ich mich nie in dem Men&#x017F;chen ge-<lb/>
irrt haben, dem ich mich &#x017F;chenkte. <hi rendition="#g">So</hi> &#x017F;icher fahr&#x2019; ich Ja&#x017F;on<lb/>
in meinem Wolkenwagen. Sollt&#x2019; ich ihn aber für &#x017F;chmelzbar<lb/>
halten, &#x017F;o i&#x017F;t auch kein Freund vor einem &#x017F;olchen Riß mit dem<lb/>
Dolche &#x017F;icher. Ich wette, der Ge&#x017F;ichtspunkt i&#x017F;t Ihnen neu.<lb/>
Er i&#x017F;t es auch, denn ich lege den Kopf unter die Guillotine,<lb/>
wenn ihn Ihnen noch Eine zeigt, <hi rendition="#g">Einer</hi> unmöglich! So<lb/>
denk&#x2019; ich aber überhaupt über weiblich Glück; drum &#x017F;agt&#x2019; ich&#x2019;s.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[139/0153] Roman oder in einer Komödie gefallen laſſen, für mich iſt ſie nicht, ich finde ſie unerträglich, ſo recht wie vom Boccaccio. Weiter hab’ ich darüber nichts zu ſagen; außer daß der Leſer immer verliert, wenn man ihm ein Werk biſſenweiſe zu- ſteckt. Vor der Geſchichte war’s hübſch in derſelben Hore. Sie wiſſen, im Bürgergeneral erkannt’ ich Goethen an Einem Worte. Über Meiſter werd’ ich mich wohl hüten etwas zu ſagen: weil ich nicht kann. Wenn wir ihn zuſammen läſen, ſollten Sie ihn gewiß anders finden als jetzt. Noch hab’ ich kein Wort darüber geſagt — ich kann nun faſt gar nicht mehr reden, — denn die Leute verſtehen ihn einem immer in die Ohren hinein. Auch ich finde die Ähnlichkeit mit Aurelien; und zuletzt nicht. Mit Jettchen aber noch weit weniger. Von der ihrem Karakter liegt die wilde Handlung mit dem Dolche zu weit, und auch von ihrem Geiſte, denn ſie ſetzt Phantaſie voraus, mich trennt aber nichts davon als meine Denkungs- art. Wenn ich einmal ganz glücklich geweſen wäre, wie Aurelie, und mich in dieſem Glück bis zu einem Kinde ver- geſſen hätte, ſo könnt’ ich nie wieder ſo unglücklich werden. Was will man denn? Der Augenblick der Reife kann nicht dauern; und ganz könnt’ ich mich nie in dem Menſchen ge- irrt haben, dem ich mich ſchenkte. So ſicher fahr’ ich Jaſon in meinem Wolkenwagen. Sollt’ ich ihn aber für ſchmelzbar halten, ſo iſt auch kein Freund vor einem ſolchen Riß mit dem Dolche ſicher. Ich wette, der Geſichtspunkt iſt Ihnen neu. Er iſt es auch, denn ich lege den Kopf unter die Guillotine, wenn ihn Ihnen noch Eine zeigt, Einer unmöglich! So denk’ ich aber überhaupt über weiblich Glück; drum ſagt’ ich’s.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/153
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/153>, abgerufen am 22.12.2024.