welches ich schreibe: O! schrecklicher Zustand! den kannt' ich bis jetzt nur aus Büchern. Alles, alles soll ich kennen lernen. -- Lieber! bester! Freund, lassen Sie sich nicht von meinen Brie- fen affiziren! -- Ich bin selbst in der Brust -- wie es Jean Paul neunt -- so! krank, daß ich nicht anders sprechen kann. Auch ich war viel medizinisch krank und bin so zerrissen, daß nur Thränen kommen und Thränen-Worte, sein Sie gefaß- ter, lassen Sie sich -- ich beschwöre Sie! -- nicht so sehr durch mich rühren. Sehen Sie mich zu Ihren Füßen, und mit der größten physischen Gewalt nicht leiden, daß Sie reisen. Müssen?!! -- welche Gewalt, welche politische Rücksicht kann Sie, wenn Sie sich so fühlen, noch zurückhal- ten. Sterben Sie nicht an Pflicht; die nicht anerkannt wird. Sein Sie nicht so eitel-grausam gegen Ihre Freunde, ge- gen mich. O! könnt' ich Sie bewegen! Haben Sie kein Geld? auf den Augenblick? Ich will es gleich schaffen. Nehmen Sie die Summe indeß von Mad. Sieveking. Ich will hoffen -- und bin überzeugt, Sie sehen hierin nicht mehr etwa, als einen guten Morgengruß -- und nicht einmal rühren darf es Sie; sonst bin ich gar verloren. Markus Herz kurirt alle Brüste, und eben jetzt wieder den jungen Gilly, den alle andere Ärzte ver- loren gaben. Und ich kurire Sie gewiß. Und schon in so schwachen, abgespannten Stunden mich bei sich zu haben, muß Ihnen alles sein. Nur wenn die Humboldt um Sie wäre, das könnte mich trösten; und so als wenn ich es wäre, wäre es doch lange nicht. Ich schreibe meiner Schwägrin: die soll Sie zwingen, und wenn Sie sich nicht zwingen lassen, Mad. Sieveking, die wird Sie doch nicht behalten wollen, um daß
welches ich ſchreibe: O! ſchrecklicher Zuſtand! den kannt’ ich bis jetzt nur aus Büchern. Alles, alles ſoll ich kennen lernen. — Lieber! beſter! Freund, laſſen Sie ſich nicht von meinen Brie- fen affiziren! — Ich bin ſelbſt in der Bruſt — wie es Jean Paul neunt — ſo! krank, daß ich nicht anders ſprechen kann. Auch ich war viel mediziniſch krank und bin ſo zerriſſen, daß nur Thränen kommen und Thränen-Worte, ſein Sie gefaß- ter, laſſen Sie ſich — ich beſchwöre Sie! — nicht ſo ſehr durch mich rühren. Sehen Sie mich zu Ihren Füßen, und mit der größten phyſiſchen Gewalt nicht leiden, daß Sie reiſen. Müſſen?!! — welche Gewalt, welche politiſche Rückſicht kann Sie, wenn Sie ſich ſo fühlen, noch zurückhal- ten. Sterben Sie nicht an Pflicht; die nicht anerkannt wird. Sein Sie nicht ſo eitel-grauſam gegen Ihre Freunde, ge- gen mich. O! könnt’ ich Sie bewegen! Haben Sie kein Geld? auf den Augenblick? Ich will es gleich ſchaffen. Nehmen Sie die Summe indeß von Mad. Sieveking. Ich will hoffen — und bin überzeugt, Sie ſehen hierin nicht mehr etwa, als einen guten Morgengruß — und nicht einmal rühren darf es Sie; ſonſt bin ich gar verloren. Markus Herz kurirt alle Brüſte, und eben jetzt wieder den jungen Gilly, den alle andere Ärzte ver- loren gaben. Und ich kurire Sie gewiß. Und ſchon in ſo ſchwachen, abgeſpannten Stunden mich bei ſich zu haben, muß Ihnen alles ſein. Nur wenn die Humboldt um Sie wäre, das könnte mich tröſten; und ſo als wenn ich es wäre, wäre es doch lange nicht. Ich ſchreibe meiner Schwägrin: die ſoll Sie zwingen, und wenn Sie ſich nicht zwingen laſſen, Mad. Sieveking, die wird Sie doch nicht behalten wollen, um daß
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welches ich ſchreibe: O! ſchrecklicher Zuſtand! den kannt’ ich
bis jetzt nur aus Büchern. Alles, alles ſoll ich kennen lernen. —
Lieber! beſter! Freund, laſſen Sie ſich nicht von meinen Brie-
fen affiziren! — Ich bin ſelbſt in der Bruſt — wie es Jean
Paul neunt — ſo! krank, daß ich nicht anders ſprechen kann.
Auch ich war viel mediziniſch krank und bin ſo zerriſſen, daß
nur Thränen kommen und Thränen-Worte, ſein Sie gefaß-
ter, laſſen Sie ſich — ich beſchwöre Sie! — nicht ſo ſehr
durch mich rühren. Sehen Sie mich zu Ihren Füßen, und
mit der größten phyſiſchen Gewalt nicht leiden, daß Sie
reiſen. Müſſen?!! — welche Gewalt, welche politiſche
Rückſicht kann Sie, wenn Sie ſich ſo fühlen, noch zurückhal-
ten. Sterben Sie nicht an Pflicht; die nicht anerkannt wird.
Sein Sie nicht ſo eitel-grauſam gegen Ihre Freunde, ge-
gen mich. O! könnt’ ich Sie bewegen! Haben Sie kein Geld?
auf den Augenblick? Ich will es gleich ſchaffen. Nehmen
Sie die Summe indeß von Mad. Sieveking. Ich will hoffen —
und bin überzeugt, Sie ſehen hierin nicht mehr etwa, als einen
guten Morgengruß — und nicht einmal rühren darf es Sie;
ſonſt bin ich gar verloren. Markus Herz kurirt alle Brüſte, und
eben jetzt wieder den jungen Gilly, den alle andere Ärzte ver-
loren gaben. Und ich kurire Sie gewiß. Und ſchon in ſo
ſchwachen, abgeſpannten Stunden mich bei ſich zu haben, muß
Ihnen alles ſein. Nur wenn die Humboldt um Sie wäre,
das könnte mich tröſten; und ſo als wenn ich es wäre, wäre
es doch lange nicht. Ich ſchreibe meiner Schwägrin: die ſoll
Sie zwingen, und wenn Sie ſich nicht zwingen laſſen, Mad.
Sieveking, die wird Sie doch nicht behalten wollen, um daß
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/211>, abgerufen am 22.12.2024.
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