Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

krank marterte: ich verabscheue Fragen, von denen ich
glaube, daß man sie sich selbst beantworten sollte: und Pau-
line ist ganz kindisch im Wiederholen jeder Art. Mein
Tod! --

Wenn ich "kleinen Kreis" sagte, so meine ich damit die
große Welt. Von Tilly, D --, Casa-Valencia kann ich nicht
reden wollen.

Ihr heutiges Billet zeig' ich Paulinen nicht. Was sie
wissen sollte, weiß sie. -- Griechisch find' ich sie gar nicht:
Sie wissen, daß sie mir lieb ist. Aber nichts drückt mir so
Berlin auf! Und ich behaupte sogar, nur ein eingefleischter
Berliner vermag sie ganz aufzufassen, obgleich es nicht
drei thun. Dies hab' ich ihr oft selbst gesagt: manches an-
dere aber nicht. --



An David Veit, in Hamburg.

Mit dem man sein Leben verleben möchte, dem kann
man nicht schreiben! Welchen Gedanken, welches Anfath-
men, möchte man ihm nicht sagen, nicht zeigen? der könnte
unser Zeuge sein, unsere Existenz bekräftigen! Und in zurück-
gescheuchter, trüber, fast unerkannter Angst verschwenden
wir artig die Tage, lassen uns frisch darauf los vernünftig
nennen, und sind wahnsinnig aus Zagheit. Das Staaten-
leben -- Leben ist zu umfassend -- ist aber so angethan,
daß auch das ganz recht ist; man kommt zu seinen Resultaten,
aber in lauter Entbehren, ausgeschlossen aus dem Paradiese,

krank marterte: ich verabſcheue Fragen, von denen ich
glaube, daß man ſie ſich ſelbſt beantworten ſollte: und Pau-
line iſt ganz kindiſch im Wiederholen jeder Art. Mein
Tod! —

Wenn ich „kleinen Kreis“ ſagte, ſo meine ich damit die
große Welt. Von Tilly, D —, Caſa-Valencia kann ich nicht
reden wollen.

Ihr heutiges Billet zeig’ ich Paulinen nicht. Was ſie
wiſſen ſollte, weiß ſie. — Griechiſch find’ ich ſie gar nicht:
Sie wiſſen, daß ſie mir lieb iſt. Aber nichts drückt mir ſo
Berlin auf! Und ich behaupte ſogar, nur ein eingefleiſchter
Berliner vermag ſie ganz aufzufaſſen, obgleich es nicht
drei thun. Dies hab’ ich ihr oft ſelbſt geſagt: manches an-
dere aber nicht. —



An David Veit, in Hamburg.

Mit dem man ſein Leben verleben möchte, dem kann
man nicht ſchreiben! Welchen Gedanken, welches Anfath-
men, möchte man ihm nicht ſagen, nicht zeigen? der könnte
unſer Zeuge ſein, unſere Exiſtenz bekräftigen! Und in zurück-
geſcheuchter, trüber, faſt unerkannter Angſt verſchwenden
wir artig die Tage, laſſen uns friſch darauf los vernünftig
nennen, und ſind wahnſinnig aus Zagheit. Das Staaten-
leben — Leben iſt zu umfaſſend — iſt aber ſo angethan,
daß auch das ganz recht iſt; man kommt zu ſeinen Reſultaten,
aber in lauter Entbehren, ausgeſchloſſen aus dem Paradieſe,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0278" n="264"/>
krank marterte: ich <hi rendition="#g">verab&#x017F;cheue</hi> Fragen, von denen ich<lb/>
glaube, daß man &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t beantworten &#x017F;ollte: und Pau-<lb/>
line i&#x017F;t <hi rendition="#g">ganz</hi> kindi&#x017F;ch im Wiederholen jeder Art. Mein<lb/>
Tod! &#x2014;</p><lb/>
          <p>Wenn ich &#x201E;kleinen Kreis&#x201C; &#x017F;agte, &#x017F;o meine ich damit die<lb/>
große Welt. Von Tilly, D &#x2014;, Ca&#x017F;a-Valencia kann ich nicht<lb/>
reden wollen.</p><lb/>
          <p>Ihr heutiges Billet zeig&#x2019; ich Paulinen nicht. Was &#x017F;ie<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ollte, weiß &#x017F;ie. &#x2014; Griechi&#x017F;ch find&#x2019; ich &#x017F;ie gar nicht:<lb/>
Sie wi&#x017F;&#x017F;en, daß &#x017F;ie mir lieb i&#x017F;t. Aber nichts drückt mir &#x017F;o<lb/>
Berlin auf! Und ich <hi rendition="#g">behaupte</hi> &#x017F;ogar, nur ein eingeflei&#x017F;chter<lb/><hi rendition="#g">Berliner</hi> vermag &#x017F;ie ganz aufzufa&#x017F;&#x017F;en, obgleich es nicht<lb/>
drei thun. Dies hab&#x2019; ich ihr oft &#x017F;elb&#x017F;t ge&#x017F;agt: manches an-<lb/>
dere aber nicht. &#x2014;</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>An David Veit, in Hamburg.</head><lb/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Dienstag, den 16. Februar 1805.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Mit dem man &#x017F;ein Leben verleben möchte, dem kann<lb/>
man nicht &#x017F;chreiben! <hi rendition="#g">Welchen</hi> Gedanken, welches Anfath-<lb/>
men, möchte man ihm <hi rendition="#g">nicht</hi> &#x017F;agen, <hi rendition="#g">nicht</hi> zeigen? der könnte<lb/>
un&#x017F;er Zeuge &#x017F;ein, un&#x017F;ere Exi&#x017F;tenz bekräftigen! Und in zurück-<lb/>
ge&#x017F;cheuchter, trüber, fa&#x017F;t unerkannter Ang&#x017F;t <hi rendition="#g">ver&#x017F;chwenden</hi><lb/>
wir artig die Tage, la&#x017F;&#x017F;en uns fri&#x017F;ch darauf los vernünftig<lb/>
nennen, und &#x017F;ind wahn&#x017F;innig aus Zagheit. Das Staaten-<lb/>
leben &#x2014; <hi rendition="#g">Leben</hi> i&#x017F;t zu umfa&#x017F;&#x017F;end &#x2014; i&#x017F;t aber &#x017F;o angethan,<lb/>
daß auch das ganz recht i&#x017F;t; man kommt zu &#x017F;einen Re&#x017F;ultaten,<lb/>
aber in lauter Entbehren, ausge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en aus dem Paradie&#x017F;e,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[264/0278] krank marterte: ich verabſcheue Fragen, von denen ich glaube, daß man ſie ſich ſelbſt beantworten ſollte: und Pau- line iſt ganz kindiſch im Wiederholen jeder Art. Mein Tod! — Wenn ich „kleinen Kreis“ ſagte, ſo meine ich damit die große Welt. Von Tilly, D —, Caſa-Valencia kann ich nicht reden wollen. Ihr heutiges Billet zeig’ ich Paulinen nicht. Was ſie wiſſen ſollte, weiß ſie. — Griechiſch find’ ich ſie gar nicht: Sie wiſſen, daß ſie mir lieb iſt. Aber nichts drückt mir ſo Berlin auf! Und ich behaupte ſogar, nur ein eingefleiſchter Berliner vermag ſie ganz aufzufaſſen, obgleich es nicht drei thun. Dies hab’ ich ihr oft ſelbſt geſagt: manches an- dere aber nicht. — An David Veit, in Hamburg. Dienstag, den 16. Februar 1805. Mit dem man ſein Leben verleben möchte, dem kann man nicht ſchreiben! Welchen Gedanken, welches Anfath- men, möchte man ihm nicht ſagen, nicht zeigen? der könnte unſer Zeuge ſein, unſere Exiſtenz bekräftigen! Und in zurück- geſcheuchter, trüber, faſt unerkannter Angſt verſchwenden wir artig die Tage, laſſen uns friſch darauf los vernünftig nennen, und ſind wahnſinnig aus Zagheit. Das Staaten- leben — Leben iſt zu umfaſſend — iſt aber ſo angethan, daß auch das ganz recht iſt; man kommt zu ſeinen Reſultaten, aber in lauter Entbehren, ausgeſchloſſen aus dem Paradieſe,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/278
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/278>, abgerufen am 23.12.2024.