Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

schiedensten Kreisen und Standpunkten seit so langer Zeit mir
wohl hätte aufbürden mögen, hatte ich nicht, auch wäre das-
selbe an ihrer Gegenwart sogleich zerschellt; der schlichte, na-
türliche Empfang, die harmlose Klarheit und das anspruchs-
lose Wohlbehagen des anfänglich nur auf Gleichgültigkeiten
fallenden Gesprächs, mußten jede mitgebrachte Spannung auf-
lösen, und nach und nach erhob sich dagegen eine neue, die
ganz dem Augenblicke selber angehörte, und schon darin be-
gründet lag, daß jedes Wort, rein und lauter wie der frische
Quell aus dem Felsen, auch dem Gleichgültigsten einen Reiz
des Lebens, einen Karakter von Wahrheit und Ursprünglich-
keit gab, welche durch die bloße Berührung jedes Gewöhnliche
zu Ungewöhnlichem verwandelten. Ich empfand auf diese
Weise eine neue Atmosphäre, die mich wie Poesie anwehte,
und zwar durch das Gegentheil dessen, was gemeinhin so heißt,
durch Wirklichkeit anstatt der Täuschung, durch Ächtheit an-
statt des Scheins. Es konnte jedoch nicht fehlen, daß unser
Gespräch, dem nach allen Seiten so viele Wege vollkommen
vorbereitet waren, sehr bald auf bedeutendere Dinge überging-
und endlich ganz in Beziehungen des innern Lebens verweilte,
zu welchen Bücher, Personen und Verhältnisse, die jeder von
seiner Seite kannte, und auch dem andern bekannt wußte,
den ergiebigen Stoff nicht mangeln ließen. Wir sprachen
von Friedrich Schlegel, von Tieck, von Frau von Stael, von
Goethe, theils in litterarischer, theils in gesellschaftlicher Hin-
sicht, und unsre eigne Sinnesweise konnte sich an diesen be-
deutenden Anknüpfungspunkten sehr gut entfalten und un-

ſchiedenſten Kreiſen und Standpunkten ſeit ſo langer Zeit mir
wohl hätte aufbürden mögen, hatte ich nicht, auch wäre das-
ſelbe an ihrer Gegenwart ſogleich zerſchellt; der ſchlichte, na-
türliche Empfang, die harmloſe Klarheit und das anſpruchs-
loſe Wohlbehagen des anfänglich nur auf Gleichgültigkeiten
fallenden Geſprächs, mußten jede mitgebrachte Spannung auf-
löſen, und nach und nach erhob ſich dagegen eine neue, die
ganz dem Augenblicke ſelber angehörte, und ſchon darin be-
gründet lag, daß jedes Wort, rein und lauter wie der friſche
Quell aus dem Felſen, auch dem Gleichgültigſten einen Reiz
des Lebens, einen Karakter von Wahrheit und Urſprünglich-
keit gab, welche durch die bloße Berührung jedes Gewöhnliche
zu Ungewöhnlichem verwandelten. Ich empfand auf dieſe
Weiſe eine neue Atmoſphäre, die mich wie Poeſie anwehte,
und zwar durch das Gegentheil deſſen, was gemeinhin ſo heißt,
durch Wirklichkeit anſtatt der Täuſchung, durch Ächtheit an-
ſtatt des Scheins. Es konnte jedoch nicht fehlen, daß unſer
Geſpräch, dem nach allen Seiten ſo viele Wege vollkommen
vorbereitet waren, ſehr bald auf bedeutendere Dinge überging-
und endlich ganz in Beziehungen des innern Lebens verweilte,
zu welchen Bücher, Perſonen und Verhältniſſe, die jeder von
ſeiner Seite kannte, und auch dem andern bekannt wußte,
den ergiebigen Stoff nicht mangeln ließen. Wir ſprachen
von Friedrich Schlegel, von Tieck, von Frau von Staël, von
Goethe, theils in litterariſcher, theils in geſellſchaftlicher Hin-
ſicht, und unſre eigne Sinnesweiſe konnte ſich an dieſen be-
deutenden Anknüpfungspunkten ſehr gut entfalten und un-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0028" n="14"/>
&#x017F;chieden&#x017F;ten Krei&#x017F;en und Standpunkten &#x017F;eit &#x017F;o langer Zeit mir<lb/>
wohl hätte aufbürden mögen, hatte ich nicht, auch wäre das-<lb/>
&#x017F;elbe an ihrer Gegenwart &#x017F;ogleich zer&#x017F;chellt; der &#x017F;chlichte, na-<lb/>
türliche Empfang, die harmlo&#x017F;e Klarheit und das an&#x017F;pruchs-<lb/>
lo&#x017F;e Wohlbehagen des anfänglich nur auf Gleichgültigkeiten<lb/>
fallenden Ge&#x017F;prächs, mußten jede mitgebrachte Spannung auf-<lb/>&#x017F;en, und nach und nach erhob &#x017F;ich dagegen eine neue, die<lb/>
ganz dem Augenblicke &#x017F;elber angehörte, und &#x017F;chon darin be-<lb/>
gründet lag, daß jedes Wort, rein und lauter wie der fri&#x017F;che<lb/>
Quell aus dem Fel&#x017F;en, auch dem Gleichgültig&#x017F;ten einen Reiz<lb/>
des Lebens, einen Karakter von Wahrheit und Ur&#x017F;prünglich-<lb/>
keit gab, welche durch die bloße Berührung jedes Gewöhnliche<lb/>
zu Ungewöhnlichem verwandelten. Ich empfand auf die&#x017F;e<lb/>
Wei&#x017F;e eine neue Atmo&#x017F;phäre, die mich wie Poe&#x017F;ie anwehte,<lb/>
und zwar durch das Gegentheil de&#x017F;&#x017F;en, was gemeinhin &#x017F;o heißt,<lb/>
durch Wirklichkeit an&#x017F;tatt der Täu&#x017F;chung, durch Ächtheit an-<lb/>
&#x017F;tatt des Scheins. Es konnte jedoch nicht fehlen, daß un&#x017F;er<lb/>
Ge&#x017F;präch, dem nach allen Seiten &#x017F;o viele Wege vollkommen<lb/>
vorbereitet waren, &#x017F;ehr bald auf bedeutendere Dinge überging-<lb/>
und endlich ganz in Beziehungen des innern Lebens verweilte,<lb/>
zu welchen Bücher, Per&#x017F;onen und Verhältni&#x017F;&#x017F;e, die jeder von<lb/>
&#x017F;einer Seite kannte, und auch dem andern bekannt wußte,<lb/>
den ergiebigen Stoff nicht mangeln ließen. Wir &#x017F;prachen<lb/>
von Friedrich Schlegel, von Tieck, von Frau von Sta<hi rendition="#aq">ë</hi>l, von<lb/>
Goethe, theils in litterari&#x017F;cher, theils in ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlicher Hin-<lb/>
&#x017F;icht, und un&#x017F;re eigne Sinneswei&#x017F;e konnte &#x017F;ich an die&#x017F;en be-<lb/>
deutenden Anknüpfungspunkten &#x017F;ehr gut entfalten und un-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[14/0028] ſchiedenſten Kreiſen und Standpunkten ſeit ſo langer Zeit mir wohl hätte aufbürden mögen, hatte ich nicht, auch wäre das- ſelbe an ihrer Gegenwart ſogleich zerſchellt; der ſchlichte, na- türliche Empfang, die harmloſe Klarheit und das anſpruchs- loſe Wohlbehagen des anfänglich nur auf Gleichgültigkeiten fallenden Geſprächs, mußten jede mitgebrachte Spannung auf- löſen, und nach und nach erhob ſich dagegen eine neue, die ganz dem Augenblicke ſelber angehörte, und ſchon darin be- gründet lag, daß jedes Wort, rein und lauter wie der friſche Quell aus dem Felſen, auch dem Gleichgültigſten einen Reiz des Lebens, einen Karakter von Wahrheit und Urſprünglich- keit gab, welche durch die bloße Berührung jedes Gewöhnliche zu Ungewöhnlichem verwandelten. Ich empfand auf dieſe Weiſe eine neue Atmoſphäre, die mich wie Poeſie anwehte, und zwar durch das Gegentheil deſſen, was gemeinhin ſo heißt, durch Wirklichkeit anſtatt der Täuſchung, durch Ächtheit an- ſtatt des Scheins. Es konnte jedoch nicht fehlen, daß unſer Geſpräch, dem nach allen Seiten ſo viele Wege vollkommen vorbereitet waren, ſehr bald auf bedeutendere Dinge überging- und endlich ganz in Beziehungen des innern Lebens verweilte, zu welchen Bücher, Perſonen und Verhältniſſe, die jeder von ſeiner Seite kannte, und auch dem andern bekannt wußte, den ergiebigen Stoff nicht mangeln ließen. Wir ſprachen von Friedrich Schlegel, von Tieck, von Frau von Staël, von Goethe, theils in litterariſcher, theils in geſellſchaftlicher Hin- ſicht, und unſre eigne Sinnesweiſe konnte ſich an dieſen be- deutenden Anknüpfungspunkten ſehr gut entfalten und un-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/28
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/28>, abgerufen am 22.12.2024.