dies stark beim bloßen Lesen deines Briefes; -- das Tragische, Hochtraurige dabei ist; daß ein Einzelner -- so lange er dies bleibt -- particulier -- an diesem Schwindeltanz Theil neh- men muß: er ist mittendrin, nicht drüber, er athmet die Luft, sie drehen ihn: und das Höchste, wozu er kommt, ist, sich zu sagen: ich athme infame Luft, und sie drehen mich! Darum mein hoher Drang, meine anbetende Liebe für die sparsam der Erde Abgelassene, für die Wenige, die durch eine reine bornirte Ansicht so viel Kraft in sich erhalten: durch einen ungestörten Willen, und Wollen, der Welt ihre Ge- schichte auf Jahrhunderte vorzuschreiben. Dieser Wille mag Irrthum sein; vom Geist erleuchtet oder nicht! -- dies bringt mich auf Luther; und Luther, und alles, was geschieht, was ich lebe und athme, auf dies. Vorgestern sah ich das Stück. Den Anfang versäumte ich. Ich bin über dieses Stück kei- nes Menschen Meinung. Die ganze Welt hat es vor mir gesehen, und wieder durchaus nicht gefaßt. Zeitungen lese ich nicht. Bogenvoll sah ich aber gedruckt darüber liegen. Die werd' ich dir schicken: denn die Berliner Zeitung ist voll davon. Julius von Voß soll uns ein Lessing sein! Mich zwingt kei- ner durch drucken lassen zum Umgang mit ihm. Warum du die Bogen lesen willst, ist mir unbegreiflich. Elegante Zeitun- gen, weißt du, lese ich auch nicht! Habe ich die Mode gesehen so ist das alles. Doch werd' ich sie dir zu schicken suchen. Gott, wie kannst du das lesen wollen! Sobald es gedruckt ist, schicke ich es dir; und sollte es mir der Post sein! Heute ist mir das Herz zugeschnappt: und dann habe ich zu nichts Ver- stand. Ich erlebte dieser Tage Kränkungen; und will durch-
19 *
dies ſtark beim bloßen Leſen deines Briefes; — das Tragiſche, Hochtraurige dabei iſt; daß ein Einzelner — ſo lange er dies bleibt — particulier — an dieſem Schwindeltanz Theil neh- men muß: er iſt mittendrin, nicht drüber, er athmet die Luft, ſie drehen ihn: und das Höchſte, wozu er kommt, iſt, ſich zu ſagen: ich athme infame Luft, und ſie drehen mich! Darum mein hoher Drang, meine anbetende Liebe für die ſparſam der Erde Abgelaſſene, für die Wenige, die durch eine reine bornirte Anſicht ſo viel Kraft in ſich erhalten: durch einen ungeſtörten Willen, und Wollen, der Welt ihre Ge- ſchichte auf Jahrhunderte vorzuſchreiben. Dieſer Wille mag Irrthum ſein; vom Geiſt erleuchtet oder nicht! — dies bringt mich auf Luther; und Luther, und alles, was geſchieht, was ich lebe und athme, auf dies. Vorgeſtern ſah ich das Stück. Den Anfang verſäumte ich. Ich bin über dieſes Stück kei- nes Menſchen Meinung. Die ganze Welt hat es vor mir geſehen, und wieder durchaus nicht gefaßt. Zeitungen leſe ich nicht. Bogenvoll ſah ich aber gedruckt darüber liegen. Die werd’ ich dir ſchicken: denn die Berliner Zeitung iſt voll davon. Julius von Voß ſoll uns ein Leſſing ſein! Mich zwingt kei- ner durch drucken laſſen zum Umgang mit ihm. Warum du die Bogen leſen willſt, iſt mir unbegreiflich. Elegante Zeitun- gen, weißt du, leſe ich auch nicht! Habe ich die Mode geſehen ſo iſt das alles. Doch werd’ ich ſie dir zu ſchicken ſuchen. Gott, wie kannſt du das leſen wollen! Sobald es gedruckt iſt, ſchicke ich es dir; und ſollte es mir der Poſt ſein! Heute iſt mir das Herz zugeſchnappt: und dann habe ich zu nichts Ver- ſtand. Ich erlebte dieſer Tage Kränkungen; und will durch-
19 *
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0305"n="291"/>
dies ſtark beim bloßen Leſen deines Briefes; — das Tragiſche,<lb/>
Hochtraurige dabei iſt; daß ein Einzelner —ſo lange er dies<lb/><hirendition="#g">bleibt</hi>—<hirendition="#aq">particulier</hi>— an dieſem Schwindeltanz Theil neh-<lb/>
men muß: er iſt mittendrin, nicht <hirendition="#g">drüber</hi>, er athmet <hirendition="#g">die<lb/>
Luft</hi>, ſie drehen ihn: und das Höchſte, wozu er kommt, iſt,<lb/>ſich zu ſagen: ich athme infame Luft, <hirendition="#g">und ſie</hi> drehen mich!<lb/>
Darum mein hoher Drang, meine <hirendition="#g">anbetende</hi> Liebe für die<lb/>ſparſam der Erde Abgelaſſene, für die Wenige, die durch eine<lb/>
reine bornirte Anſicht ſo viel Kraft in ſich erhalten: durch<lb/>
einen ungeſtörten Willen, und Wollen, der Welt ihre Ge-<lb/>ſchichte auf Jahrhunderte vorzuſchreiben. Dieſer Wille mag<lb/>
Irrthum ſein; vom Geiſt erleuchtet oder nicht! — dies bringt<lb/>
mich auf Luther; und Luther, und alles, was geſchieht, was<lb/>
ich lebe und athme, auf dies. Vorgeſtern ſah ich das Stück.<lb/>
Den Anfang verſäumte ich. Ich bin über dieſes Stück <hirendition="#g">kei-<lb/>
nes Menſchen</hi> Meinung. Die ganze Welt hat es vor mir<lb/>
geſehen, und wieder durchaus nicht gefaßt. Zeitungen leſe ich<lb/>
nicht. <hirendition="#g">Bogenvoll</hi>ſah ich aber gedruckt darüber liegen. Die<lb/>
werd’ ich dir ſchicken: denn die Berliner Zeitung iſt voll davon.<lb/>
Julius von Voß ſoll uns ein Leſſing ſein! Mich zwingt kei-<lb/>
ner durch drucken laſſen zum Umgang mit ihm. Warum du<lb/>
die Bogen leſen willſt, iſt mir unbegreiflich. Elegante <choice><sic>Zeituu-<lb/>
gen</sic><corr>Zeitun-<lb/>
gen</corr></choice>, weißt du, leſe ich auch nicht! Habe ich die Mode geſehen<lb/>ſo iſt das alles. Doch werd’ ich ſie dir zu ſchicken ſuchen.<lb/>
Gott, wie kannſt du das leſen wollen! Sobald es gedruckt iſt,<lb/>ſchicke ich es dir; und ſollte es mir der Poſt ſein! Heute iſt<lb/>
mir das Herz zugeſchnappt: und dann habe ich zu nichts Ver-<lb/>ſtand. Ich erlebte dieſer Tage Kränkungen; und will durch-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">19 *</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[291/0305]
dies ſtark beim bloßen Leſen deines Briefes; — das Tragiſche,
Hochtraurige dabei iſt; daß ein Einzelner — ſo lange er dies
bleibt — particulier — an dieſem Schwindeltanz Theil neh-
men muß: er iſt mittendrin, nicht drüber, er athmet die
Luft, ſie drehen ihn: und das Höchſte, wozu er kommt, iſt,
ſich zu ſagen: ich athme infame Luft, und ſie drehen mich!
Darum mein hoher Drang, meine anbetende Liebe für die
ſparſam der Erde Abgelaſſene, für die Wenige, die durch eine
reine bornirte Anſicht ſo viel Kraft in ſich erhalten: durch
einen ungeſtörten Willen, und Wollen, der Welt ihre Ge-
ſchichte auf Jahrhunderte vorzuſchreiben. Dieſer Wille mag
Irrthum ſein; vom Geiſt erleuchtet oder nicht! — dies bringt
mich auf Luther; und Luther, und alles, was geſchieht, was
ich lebe und athme, auf dies. Vorgeſtern ſah ich das Stück.
Den Anfang verſäumte ich. Ich bin über dieſes Stück kei-
nes Menſchen Meinung. Die ganze Welt hat es vor mir
geſehen, und wieder durchaus nicht gefaßt. Zeitungen leſe ich
nicht. Bogenvoll ſah ich aber gedruckt darüber liegen. Die
werd’ ich dir ſchicken: denn die Berliner Zeitung iſt voll davon.
Julius von Voß ſoll uns ein Leſſing ſein! Mich zwingt kei-
ner durch drucken laſſen zum Umgang mit ihm. Warum du
die Bogen leſen willſt, iſt mir unbegreiflich. Elegante Zeitun-
gen, weißt du, leſe ich auch nicht! Habe ich die Mode geſehen
ſo iſt das alles. Doch werd’ ich ſie dir zu ſchicken ſuchen.
Gott, wie kannſt du das leſen wollen! Sobald es gedruckt iſt,
ſchicke ich es dir; und ſollte es mir der Poſt ſein! Heute iſt
mir das Herz zugeſchnappt: und dann habe ich zu nichts Ver-
ſtand. Ich erlebte dieſer Tage Kränkungen; und will durch-
19 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/305>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.