Es ist wahr, wie Sie es sagen, Ihr Geist ist krank. Der Benennung ausweichend sagte ich Ihnen dieses schon lange; setzte es Ihnen nach meinen Kräften auseinander. Und das Mittel zur Stärkung, der Verkehrtheit auszuwei- chen, ist eben, ein allgemeineres, für den Geist höheres, In- teresse zu umfassen.
Jetzt zwar ist alles wider Sie. Aber nichts muß Sie ab- halten, den Sommer als Sommer zu behandeln: Luft zu genießen, zu suchen. Und, auch im ärgsten Fall, nicht ein Grab für Lebendige in Ihrem Zimmer einzurichten. Prägen Sie sich den gerechten Haß und Ekel gegen Krankheit und Unglück ein, und sie weichen! Auch ich habe es versucht! man glaubt das Schicksal und die Menschen zn erweichen, wenn man sein tiefes Unglück recht eigenwillig hervorspinnt. Ver- gebens! beide haben kein Herz! In die frischen Reihen stellen Sie sich, als zu Empfangender, als im Nothfall Mitkämpfender, mit Einem Wort, als rüstiger Prätendent; und Schicksal und Menschen zählen Sie feigherzig mit. Sie -- genießen groß- herzig, was Sie denen auf ganz andere Dinge als wir rech- nend aus den Händen reißen können: und machen Sie einen Verlust; rasch ein anderes gegriffen! "Hart!" sagen Sie. "Unmöglich!" Nein! noch sind Sie jung. Verwinseln Sie die Jahre nicht. Es schreibt es niemand ein; einsam haben Sie Ihren Schmerz: einer reicht hin zum Stählen, wenn man gewiß weiß, niemand hört einem zu. Elende Resultätchen, die ich Ihnen auf einem Blättchen geben könnte! Glück er- weint man nicht. Man rührt auch nicht, weil man brav ist; sondern wenn man gefällt. Rasch! Menschen giebt es viel.
I. 22
Es iſt wahr, wie Sie es ſagen, Ihr Geiſt iſt krank. Der Benennung ausweichend ſagte ich Ihnen dieſes ſchon lange; ſetzte es Ihnen nach meinen Kräften auseinander. Und das Mittel zur Stärkung, der Verkehrtheit auszuwei- chen, iſt eben, ein allgemeineres, für den Geiſt höheres, In- tereſſe zu umfaſſen.
Jetzt zwar iſt alles wider Sie. Aber nichts muß Sie ab- halten, den Sommer als Sommer zu behandeln: Luft zu genießen, zu ſuchen. Und, auch im ärgſten Fall, nicht ein Grab für Lebendige in Ihrem Zimmer einzurichten. Prägen Sie ſich den gerechten Haß und Ekel gegen Krankheit und Unglück ein, und ſie weichen! Auch ich habe es verſucht! man glaubt das Schickſal und die Menſchen zn erweichen, wenn man ſein tiefes Unglück recht eigenwillig hervorſpinnt. Ver- gebens! beide haben kein Herz! In die friſchen Reihen ſtellen Sie ſich, als zu Empfangender, als im Nothfall Mitkämpfender, mit Einem Wort, als rüſtiger Prätendent; und Schickſal und Menſchen zählen Sie feigherzig mit. Sie — genießen groß- herzig, was Sie denen auf ganz andere Dinge als wir rech- nend aus den Händen reißen können: und machen Sie einen Verluſt; raſch ein anderes gegriffen! „Hart!“ ſagen Sie. „Unmöglich!“ Nein! noch ſind Sie jung. Verwinſeln Sie die Jahre nicht. Es ſchreibt es niemand ein; einſam haben Sie Ihren Schmerz: einer reicht hin zum Stählen, wenn man gewiß weiß, niemand hört einem zu. Elende Reſultätchen, die ich Ihnen auf einem Blättchen geben könnte! Glück er- weint man nicht. Man rührt auch nicht, weil man brav iſt; ſondern wenn man gefällt. Raſch! Menſchen giebt es viel.
I. 22
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0351"n="337"/><p>Es iſt wahr, wie Sie es ſagen, Ihr Geiſt iſt krank.<lb/>
Der Benennung ausweichend ſagte ich Ihnen dieſes ſchon<lb/>
lange; ſetzte es Ihnen nach meinen Kräften auseinander.<lb/>
Und das Mittel zur Stärkung, der Verkehrtheit auszuwei-<lb/>
chen, iſt eben, ein allgemeineres, für den <hirendition="#g">Geiſt</hi> höheres, In-<lb/>
tereſſe zu umfaſſen.</p><lb/><p>Jetzt zwar iſt alles wider Sie. Aber nichts muß Sie ab-<lb/>
halten, den Sommer als Sommer zu behandeln: Luft zu<lb/>
genießen, zu <hirendition="#g">ſuchen</hi>. Und, auch im ärgſten Fall, nicht ein<lb/>
Grab für Lebendige in Ihrem Zimmer einzurichten. Prägen<lb/>
Sie ſich den gerechten Haß und Ekel gegen Krankheit und<lb/>
Unglück ein, und ſie weichen! Auch ich habe es verſucht! man<lb/>
glaubt das Schickſal und die Menſchen zn erweichen, wenn<lb/>
man ſein tiefes Unglück recht eigenwillig hervorſpinnt. Ver-<lb/>
gebens! beide haben kein Herz! In die friſchen Reihen ſtellen<lb/>
Sie ſich, als zu Empfangender, als im Nothfall Mitkämpfender,<lb/>
mit Einem Wort, als rüſtiger Prätendent; und Schickſal und<lb/>
Menſchen zählen Sie feigherzig <hirendition="#g">mit. Sie</hi>— genießen groß-<lb/>
herzig, was Sie denen auf ganz andere Dinge als <hirendition="#g">wir</hi> rech-<lb/>
nend aus den Händen reißen können: und machen Sie einen<lb/>
Verluſt; raſch ein anderes gegriffen! „Hart!“ſagen Sie.<lb/>„Unmöglich!“ Nein! noch ſind Sie jung. Verwinſeln Sie die<lb/>
Jahre nicht. Es ſchreibt es niemand ein; einſam haben Sie<lb/>
Ihren Schmerz: <hirendition="#g">einer</hi> reicht hin zum Stählen, wenn man<lb/><hirendition="#g">gewiß</hi> weiß, niemand hört einem zu. Elende Reſultätchen,<lb/>
die ich Ihnen auf einem Blättchen geben könnte! Glück er-<lb/>
weint man nicht. Man rührt auch nicht, weil man brav iſt;<lb/>ſondern wenn man gefällt. Raſch! Menſchen giebt es viel.<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#aq">I.</hi> 22</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[337/0351]
Es iſt wahr, wie Sie es ſagen, Ihr Geiſt iſt krank.
Der Benennung ausweichend ſagte ich Ihnen dieſes ſchon
lange; ſetzte es Ihnen nach meinen Kräften auseinander.
Und das Mittel zur Stärkung, der Verkehrtheit auszuwei-
chen, iſt eben, ein allgemeineres, für den Geiſt höheres, In-
tereſſe zu umfaſſen.
Jetzt zwar iſt alles wider Sie. Aber nichts muß Sie ab-
halten, den Sommer als Sommer zu behandeln: Luft zu
genießen, zu ſuchen. Und, auch im ärgſten Fall, nicht ein
Grab für Lebendige in Ihrem Zimmer einzurichten. Prägen
Sie ſich den gerechten Haß und Ekel gegen Krankheit und
Unglück ein, und ſie weichen! Auch ich habe es verſucht! man
glaubt das Schickſal und die Menſchen zn erweichen, wenn
man ſein tiefes Unglück recht eigenwillig hervorſpinnt. Ver-
gebens! beide haben kein Herz! In die friſchen Reihen ſtellen
Sie ſich, als zu Empfangender, als im Nothfall Mitkämpfender,
mit Einem Wort, als rüſtiger Prätendent; und Schickſal und
Menſchen zählen Sie feigherzig mit. Sie — genießen groß-
herzig, was Sie denen auf ganz andere Dinge als wir rech-
nend aus den Händen reißen können: und machen Sie einen
Verluſt; raſch ein anderes gegriffen! „Hart!“ ſagen Sie.
„Unmöglich!“ Nein! noch ſind Sie jung. Verwinſeln Sie die
Jahre nicht. Es ſchreibt es niemand ein; einſam haben Sie
Ihren Schmerz: einer reicht hin zum Stählen, wenn man
gewiß weiß, niemand hört einem zu. Elende Reſultätchen,
die ich Ihnen auf einem Blättchen geben könnte! Glück er-
weint man nicht. Man rührt auch nicht, weil man brav iſt;
ſondern wenn man gefällt. Raſch! Menſchen giebt es viel.
I. 22
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/351>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.