Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

vermochte. Mit seinem Reichthum machte ich Kompagnie,
er war ewig mein einzigster, gewissester Freund, mein Bürge,
daß ich mich nicht nur unter weichenden Gespenstern ängstige;
mein superiorer Meister, mein rührendster Freund, von dem
ich wußte, welche Höllen er kannte! -- kurz, mit ihm bin ich
erwachsen, und nach tausend Trennungen fand ich ihn immer
wieder, er war mir unfehlbar; und ich, da ich kein Dichter
bin, werde es nie aussprechen, was er mir war! Noch muß
ich weinen, so rührt es mich! -- Nun hast du gesehen, wie
ich nach dem Buche nicht fragte; und eine Art von Furcht,
die meine Nachlässigkeit unterstützte, hielt mich ab von dem
Buche; ich fürchtete, ihn und mich nicht mehr darin zu finden.
Dies auch als Zeichen meines Absterbens, meines Grams, mei-
nes Hinseins, wollte ich dir schreiben, und ich verging vor
Schreck und Erstarren und Weh darüber! aber dumpf blieb
es, und unfruchtbar der Schmerz! Mein Freund, mein einzi-
ger Freund neben mir, und wir beide todt, todt! Mein Früh-
stück blieb ein wenig lange, und einen Augenblick ließ es die
Angst doch zu, daß ich das Buch nahm. So lese ich auch
ohne Muth und Hoffnung -- und finde -- grade was mir
ist! Lies das Vorspiel! Seite 14. sagt die lustige Person vie-
les, und am Ende:

Noch sind sie gleich bereit zu weinen und zu lachen,
Sie ehren noch den Schwung, erfreuen sich am Schein;
Wer fertig ist, dem ist nichts recht zu machen,
Ein Werdender wird immer dankbar sein.

Dichter.

So gieb mir auch die Zeiten wieder,
Da ich noch selbst im Werden war.
22 *

vermochte. Mit ſeinem Reichthum machte ich Kompagnie,
er war ewig mein einzigſter, gewiſſeſter Freund, mein Bürge,
daß ich mich nicht nur unter weichenden Geſpenſtern ängſtige;
mein ſuperiorer Meiſter, mein rührendſter Freund, von dem
ich wußte, welche Höllen er kannte! — kurz, mit ihm bin ich
erwachſen, und nach tauſend Trennungen fand ich ihn immer
wieder, er war mir unfehlbar; und ich, da ich kein Dichter
bin, werde es nie ausſprechen, was er mir war! Noch muß
ich weinen, ſo rührt es mich! — Nun haſt du geſehen, wie
ich nach dem Buche nicht fragte; und eine Art von Furcht,
die meine Nachläſſigkeit unterſtützte, hielt mich ab von dem
Buche; ich fürchtete, ihn und mich nicht mehr darin zu finden.
Dies auch als Zeichen meines Abſterbens, meines Grams, mei-
nes Hinſeins, wollte ich dir ſchreiben, und ich verging vor
Schreck und Erſtarren und Weh darüber! aber dumpf blieb
es, und unfruchtbar der Schmerz! Mein Freund, mein einzi-
ger Freund neben mir, und wir beide todt, todt! Mein Früh-
ſtück blieb ein wenig lange, und einen Augenblick ließ es die
Angſt doch zu, daß ich das Buch nahm. So leſe ich auch
ohne Muth und Hoffnung — und finde — grade was mir
iſt! Lies das Vorſpiel! Seite 14. ſagt die luſtige Perſon vie-
les, und am Ende:

Noch ſind ſie gleich bereit zu weinen und zu lachen,
Sie ehren noch den Schwung, erfreuen ſich am Schein;
Wer fertig iſt, dem iſt nichts recht zu machen,
Ein Werdender wird immer dankbar ſein.

Dichter.

So gieb mir auch die Zeiten wieder,
Da ich noch ſelbſt im Werden war.
22 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0353" n="339"/>
vermochte. Mit &#x017F;einem Reichthum machte ich Kompagnie,<lb/>
er war ewig mein einzig&#x017F;ter, gewi&#x017F;&#x017F;e&#x017F;ter Freund, mein Bürge,<lb/>
daß ich mich nicht nur unter weichenden Ge&#x017F;pen&#x017F;tern äng&#x017F;tige;<lb/>
mein &#x017F;uperiorer Mei&#x017F;ter, mein rührend&#x017F;ter Freund, von dem<lb/>
ich wußte, welche Höllen er kannte! &#x2014; kurz, mit ihm bin ich<lb/>
erwach&#x017F;en, und nach tau&#x017F;end Trennungen fand ich ihn immer<lb/>
wieder, er war mir unfehlbar; und ich, da ich kein Dichter<lb/>
bin, werde es nie aus&#x017F;prechen, was er mir war! Noch muß<lb/>
ich weinen, &#x017F;o rührt es mich! &#x2014; Nun ha&#x017F;t du ge&#x017F;ehen, wie<lb/>
ich nach dem Buche nicht fragte; und eine Art von Furcht,<lb/>
die meine Nachlä&#x017F;&#x017F;igkeit unter&#x017F;tützte, hielt mich ab von dem<lb/>
Buche; ich fürchtete, ihn und mich nicht mehr darin zu finden.<lb/>
Dies auch als Zeichen meines Ab&#x017F;terbens, meines Grams, mei-<lb/>
nes Hin&#x017F;eins, wollte ich dir &#x017F;chreiben, und ich verging vor<lb/>
Schreck und Er&#x017F;tarren und Weh darüber! aber dumpf blieb<lb/>
es, und unfruchtbar der Schmerz! Mein Freund, mein einzi-<lb/>
ger Freund neben mir, und wir beide todt, todt! Mein Früh-<lb/>
&#x017F;tück blieb ein wenig lange, und einen Augenblick ließ es die<lb/>
Ang&#x017F;t doch zu, daß ich das Buch nahm. So le&#x017F;e ich auch<lb/>
ohne Muth und Hoffnung &#x2014; und finde &#x2014; grade was mir<lb/>
i&#x017F;t! Lies das Vor&#x017F;piel! Seite 14. &#x017F;agt die lu&#x017F;tige Per&#x017F;on vie-<lb/>
les, und am Ende:</p><lb/>
            <lg type="poem">
              <l>Noch &#x017F;ind &#x017F;ie gleich bereit zu weinen und zu lachen,</l><lb/>
              <l>Sie ehren noch den Schwung, erfreuen &#x017F;ich am Schein;</l><lb/>
              <l> <hi rendition="#g">Wer fertig i&#x017F;t, dem i&#x017F;t nichts recht zu machen,</hi> </l><lb/>
              <l><hi rendition="#g">Ein Werdender wird immer dankbar &#x017F;ein</hi>.</l>
            </lg><lb/>
            <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Dichter</hi>.</hi> </p><lb/>
            <lg type="poem">
              <l>So gieb mir auch die Zeiten wieder,</l><lb/>
              <l>Da ich noch &#x017F;elb&#x017F;t im Werden war.</l><lb/>
              <fw place="bottom" type="sig">22 *</fw><lb/>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[339/0353] vermochte. Mit ſeinem Reichthum machte ich Kompagnie, er war ewig mein einzigſter, gewiſſeſter Freund, mein Bürge, daß ich mich nicht nur unter weichenden Geſpenſtern ängſtige; mein ſuperiorer Meiſter, mein rührendſter Freund, von dem ich wußte, welche Höllen er kannte! — kurz, mit ihm bin ich erwachſen, und nach tauſend Trennungen fand ich ihn immer wieder, er war mir unfehlbar; und ich, da ich kein Dichter bin, werde es nie ausſprechen, was er mir war! Noch muß ich weinen, ſo rührt es mich! — Nun haſt du geſehen, wie ich nach dem Buche nicht fragte; und eine Art von Furcht, die meine Nachläſſigkeit unterſtützte, hielt mich ab von dem Buche; ich fürchtete, ihn und mich nicht mehr darin zu finden. Dies auch als Zeichen meines Abſterbens, meines Grams, mei- nes Hinſeins, wollte ich dir ſchreiben, und ich verging vor Schreck und Erſtarren und Weh darüber! aber dumpf blieb es, und unfruchtbar der Schmerz! Mein Freund, mein einzi- ger Freund neben mir, und wir beide todt, todt! Mein Früh- ſtück blieb ein wenig lange, und einen Augenblick ließ es die Angſt doch zu, daß ich das Buch nahm. So leſe ich auch ohne Muth und Hoffnung — und finde — grade was mir iſt! Lies das Vorſpiel! Seite 14. ſagt die luſtige Perſon vie- les, und am Ende: Noch ſind ſie gleich bereit zu weinen und zu lachen, Sie ehren noch den Schwung, erfreuen ſich am Schein; Wer fertig iſt, dem iſt nichts recht zu machen, Ein Werdender wird immer dankbar ſein. Dichter. So gieb mir auch die Zeiten wieder, Da ich noch ſelbſt im Werden war. 22 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/353
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/353>, abgerufen am 23.12.2024.