Kind und die Mutter endlich sicher der Noth und der ewigen Sorge, und dem schändlich prekairen und abhängigen Zu- stand entreißt. Es bleibt der Schmach, des Jammers, des Ertragens genug! Er glaubt sich -- der vielfach verflochtene, der vierfache Vater -- frei und leicht --! -- und jungherzig genug, edles Liebesglück zu bereiten und zu genießen, ein jun- ges Fräulein will er sich zugesellen, und der endlich Gemahl und Beschützer sein, und Kinder und keine Bastarde!! mit ihr zeugen; deren Jugend in jedem Sinn will er saugen. Und sie -- soll ewig ignoriren, was er, seine Geschichten, und die Welt sei. Ich schweige! Sie kennen das Greuelgebäude, welches Gesetz und Sitte Europa's schützen! welches ganze Vegetationen von Liebe und Treue verheert und schändlich gebraucht; und das Beste, die Bessern unter seinem Schutt erstickt. Ich füge kein Wort hinzu: und weiß, Sie reden die- sen Mann für die beiden Geschöpfe an! Für jetzt empfindet nur die Mutter die Schmach und Angst: an seine eigne Toch- ter wird die Reihe kommen. Daß er nur nicht denkt, sie von Cäcilien zu trennen! dem größten Skandal setzt sie sich lieber aus; und es gehen mehr bettlende Weiber mit Kindern um- her. Ich wenigstens rathe ihr im schlimmsten Fall diesen Schritt nicht ab. Haben Sie doch die Gnade mich mit einer Antwort zu erfreuen! Sie wissen aus meinem letzten Brief, aus diesem, aus meinem Wandel und meinem Sein, wie sehr ich Sie schätzen muß; ich füge nur noch hinzu, daß mich meine wahre Hochachtung Ihnen ergeben macht.
Rahel.
Cäcilie wird ihm nicht schreiben.
Anmerk. Der Brief that seine Wirkung; vollkommen.
Kind und die Mutter endlich ſicher der Noth und der ewigen Sorge, und dem ſchändlich prekairen und abhängigen Zu- ſtand entreißt. Es bleibt der Schmach, des Jammers, des Ertragens genug! Er glaubt ſich — der vielfach verflochtene, der vierfache Vater — frei und leicht —! — und jungherzig genug, edles Liebesglück zu bereiten und zu genießen, ein jun- ges Fräulein will er ſich zugeſellen, und der endlich Gemahl und Beſchützer ſein, und Kinder und keine Baſtarde!! mit ihr zeugen; deren Jugend in jedem Sinn will er ſaugen. Und ſie — ſoll ewig ignoriren, was er, ſeine Geſchichten, und die Welt ſei. Ich ſchweige! Sie kennen das Greuelgebäude, welches Geſetz und Sitte Europa’s ſchützen! welches ganze Vegetationen von Liebe und Treue verheert und ſchändlich gebraucht; und das Beſte, die Beſſern unter ſeinem Schutt erſtickt. Ich füge kein Wort hinzu: und weiß, Sie reden die- ſen Mann für die beiden Geſchöpfe an! Für jetzt empfindet nur die Mutter die Schmach und Angſt: an ſeine eigne Toch- ter wird die Reihe kommen. Daß er nur nicht denkt, ſie von Cäcilien zu trennen! dem größten Skandal ſetzt ſie ſich lieber aus; und es gehen mehr bettlende Weiber mit Kindern um- her. Ich wenigſtens rathe ihr im ſchlimmſten Fall dieſen Schritt nicht ab. Haben Sie doch die Gnade mich mit einer Antwort zu erfreuen! Sie wiſſen aus meinem letzten Brief, aus dieſem, aus meinem Wandel und meinem Sein, wie ſehr ich Sie ſchätzen muß; ich füge nur noch hinzu, daß mich meine wahre Hochachtung Ihnen ergeben macht.
Rahel.
Cäcilie wird ihm nicht ſchreiben.
Anmerk. Der Brief that ſeine Wirkung; vollkommen.
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Kind und die Mutter endlich ſicher der Noth und der ewigen
Sorge, und dem ſchändlich prekairen und abhängigen Zu-
ſtand entreißt. Es bleibt der Schmach, des Jammers, des
Ertragens genug! Er glaubt ſich — der vielfach verflochtene,
der vierfache Vater — frei und leicht —! — und jungherzig
genug, edles Liebesglück zu bereiten und zu genießen, ein jun-
ges Fräulein will er ſich zugeſellen, und der endlich Gemahl
und Beſchützer ſein, und Kinder und keine Baſtarde!! mit
ihr zeugen; deren Jugend in jedem Sinn will er ſaugen. Und
ſie — ſoll ewig ignoriren, was er, ſeine Geſchichten, und die
Welt ſei. Ich ſchweige! Sie kennen das Greuelgebäude,
welches Geſetz und Sitte Europa’s ſchützen! welches ganze
Vegetationen von Liebe und Treue verheert und ſchändlich
gebraucht; und das Beſte, die Beſſern unter ſeinem Schutt
erſtickt. Ich füge kein Wort hinzu: und weiß, Sie reden die-
ſen Mann für die beiden Geſchöpfe an! Für jetzt empfindet
nur die Mutter die Schmach und Angſt: an ſeine eigne Toch-
ter wird die Reihe kommen. Daß er nur nicht denkt, ſie von
Cäcilien zu trennen! dem größten Skandal ſetzt ſie ſich lieber
aus; und es gehen mehr bettlende Weiber mit Kindern um-
her. Ich wenigſtens rathe ihr im ſchlimmſten Fall dieſen
Schritt nicht ab. Haben Sie doch die Gnade mich mit einer
Antwort zu erfreuen! Sie wiſſen aus meinem letzten Brief,
aus dieſem, aus meinem Wandel und meinem Sein, wie ſehr
ich Sie ſchätzen muß; ich füge nur noch hinzu, daß mich meine
wahre Hochachtung Ihnen ergeben macht.
Rahel.
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/368>, abgerufen am 23.12.2024.
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