auf sie: denn ich weiß nichts von ihnen in diesem Augenblick. Heinse aber, und sein foyer in sich, macht mich natürlich an junge Schriftsteller denken; und an meinen liebsten. Seine wirklichste Gestaltung, und den Platz, den er einnimmt, als der Mensch, als welchen er sich zeigt, und da ist; und dadurch, als Schriftsteller: dies ist er doch nur, und verdankt er sich und wir ihm, dadurch, daß er sich selbst glaubt: und keinem Andern. Auf seine Kräfte und die Zusammenstellung seiner Gaben kommt es nicht an; dies macht ihn nur ärmer oder reicher. Aber jedes, was er aufnimmt, von der geringsten Sensation an in sich, bis zum größten Aufruhr; von der oberflächlichsten Wahrnehmung, bis zu seinem strengsten Denken; hat er sich selbst zusammen- getragen; und nichts Vorgefundenes von den größten Mei- stern nimmt er in sich auf, ohne es bis zu seinem Blute, mit neuer Insekten- oder Löwenarbeit, zu verwandeln. So scheint mir der Mensch aus seinen Briefen; seine Arbeiten kenne ich nicht. Das Eigene, Herz und inneres Leben Ansprechende, was er selbst hat, müssen sie immer haben. Dieser Mensch nun bringt mich wieder auf den Gedanken, den ich seit kur- zem für dich habe: seit deinen Klagen, deiner Angst über dein Talent; seit deinem Entschluß über dein Studium. Frei mußt du sein: und innerlich noch freier. Laß dich ganz gehen, wenn du arbeitest -- dichtest -- denk' an keinen Freund; an kein Muster, an die größten Meister nicht -- als um zu ver- meiden -- an kein Drucken; an nichts! Folge deinem inner- sten, süßesten Hange; stelle dich dar: alles was du siehst, und so wie du's siehst. Was dir das Liebste, das Schreck- lichste, das Peinlichste, das Heimlichste, das Verführerischeste
auf ſie: denn ich weiß nichts von ihnen in dieſem Augenblick. Heinſe aber, und ſein foyer in ſich, macht mich natürlich an junge Schriftſteller denken; und an meinen liebſten. Seine wirklichſte Geſtaltung, und den Platz, den er einnimmt, als der Menſch, als welchen er ſich zeigt, und da iſt; und dadurch, als Schriftſteller: dies iſt er doch nur, und verdankt er ſich und wir ihm, dadurch, daß er ſich ſelbſt glaubt: und keinem Andern. Auf ſeine Kräfte und die Zuſammenſtellung ſeiner Gaben kommt es nicht an; dies macht ihn nur ärmer oder reicher. Aber jedes, was er aufnimmt, von der geringſten Senſation an in ſich, bis zum größten Aufruhr; von der oberflächlichſten Wahrnehmung, bis zu ſeinem ſtrengſten Denken; hat er ſich ſelbſt zuſammen- getragen; und nichts Vorgefundenes von den größten Mei- ſtern nimmt er in ſich auf, ohne es bis zu ſeinem Blute, mit neuer Inſekten- oder Löwenarbeit, zu verwandeln. So ſcheint mir der Menſch aus ſeinen Briefen; ſeine Arbeiten kenne ich nicht. Das Eigene, Herz und inneres Leben Anſprechende, was er ſelbſt hat, müſſen ſie immer haben. Dieſer Menſch nun bringt mich wieder auf den Gedanken, den ich ſeit kur- zem für dich habe: ſeit deinen Klagen, deiner Angſt über dein Talent; ſeit deinem Entſchluß über dein Studium. Frei mußt du ſein: und innerlich noch freier. Laß dich ganz gehen, wenn du arbeiteſt — dichteſt — denk’ an keinen Freund; an kein Muſter, an die größten Meiſter nicht — als um zu ver- meiden — an kein Drucken; an nichts! Folge deinem inner- ſten, ſüßeſten Hange; ſtelle dich dar: alles was du ſiehſt, und ſo wie du’s ſiehſt. Was dir das Liebſte, das Schreck- lichſte, das Peinlichſte, das Heimlichſte, das Verführeriſcheſte
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0388"n="374"/>
auf ſie: denn ich weiß nichts von ihnen in dieſem Augenblick.<lb/>
Heinſe aber, und ſein <hirendition="#aq">foyer</hi> in ſich, macht mich natürlich an<lb/>
junge <choice><sic>Schriftſieller</sic><corr>Schriftſteller</corr></choice> denken; und an meinen liebſten. Seine<lb/>
wirklichſte Geſtaltung, und den Platz, den er einnimmt, als <hirendition="#g">der</hi><lb/>
Menſch, als welchen er ſich zeigt, und da iſt; und dadurch, als<lb/>
Schriftſteller: dies iſt er doch nur, und verdankt er ſich und wir<lb/>
ihm, dadurch, daß er ſich ſelbſt glaubt: und keinem Andern. Auf<lb/>ſeine Kräfte und die Zuſammenſtellung ſeiner Gaben kommt es<lb/>
nicht an; dies macht ihn nur ärmer oder reicher. Aber jedes,<lb/>
was er aufnimmt, von der geringſten Senſation an in ſich, bis<lb/>
zum größten Aufruhr; von der oberflächlichſten Wahrnehmung,<lb/>
bis zu ſeinem ſtrengſten Denken; hat er ſich ſelbſt zuſammen-<lb/>
getragen; und nichts Vorgefundenes von den größten Mei-<lb/>ſtern nimmt er in ſich auf, ohne es bis zu ſeinem Blute, mit<lb/>
neuer Inſekten- oder Löwenarbeit, zu verwandeln. So ſcheint<lb/>
mir der Menſch aus ſeinen Briefen; ſeine Arbeiten kenne ich<lb/>
nicht. Das Eigene, Herz und inneres Leben Anſprechende,<lb/>
was er ſelbſt hat, müſſen ſie immer haben. Dieſer Menſch<lb/>
nun bringt mich wieder auf den Gedanken, den ich ſeit kur-<lb/>
zem für dich habe: ſeit deinen Klagen, deiner Angſt über dein<lb/>
Talent; ſeit deinem Entſchluß über dein Studium. Frei mußt<lb/>
du ſein: und innerlich noch freier. Laß dich <hirendition="#g">ganz</hi> gehen,<lb/>
wenn du arbeiteſt — dichteſt — denk’ an keinen Freund; an<lb/>
kein Muſter, an die größten Meiſter nicht — als um zu ver-<lb/>
meiden — an kein Drucken; an nichts! Folge deinem inner-<lb/>ſten, ſüßeſten Hange; ſtelle <hirendition="#g">dich</hi> dar: alles was du ſiehſt,<lb/>
und ſo wie du’s ſiehſt. Was dir das Liebſte, das Schreck-<lb/>
lichſte, das Peinlichſte, das Heimlichſte, das Verführeriſcheſte<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[374/0388]
auf ſie: denn ich weiß nichts von ihnen in dieſem Augenblick.
Heinſe aber, und ſein foyer in ſich, macht mich natürlich an
junge Schriftſteller denken; und an meinen liebſten. Seine
wirklichſte Geſtaltung, und den Platz, den er einnimmt, als der
Menſch, als welchen er ſich zeigt, und da iſt; und dadurch, als
Schriftſteller: dies iſt er doch nur, und verdankt er ſich und wir
ihm, dadurch, daß er ſich ſelbſt glaubt: und keinem Andern. Auf
ſeine Kräfte und die Zuſammenſtellung ſeiner Gaben kommt es
nicht an; dies macht ihn nur ärmer oder reicher. Aber jedes,
was er aufnimmt, von der geringſten Senſation an in ſich, bis
zum größten Aufruhr; von der oberflächlichſten Wahrnehmung,
bis zu ſeinem ſtrengſten Denken; hat er ſich ſelbſt zuſammen-
getragen; und nichts Vorgefundenes von den größten Mei-
ſtern nimmt er in ſich auf, ohne es bis zu ſeinem Blute, mit
neuer Inſekten- oder Löwenarbeit, zu verwandeln. So ſcheint
mir der Menſch aus ſeinen Briefen; ſeine Arbeiten kenne ich
nicht. Das Eigene, Herz und inneres Leben Anſprechende,
was er ſelbſt hat, müſſen ſie immer haben. Dieſer Menſch
nun bringt mich wieder auf den Gedanken, den ich ſeit kur-
zem für dich habe: ſeit deinen Klagen, deiner Angſt über dein
Talent; ſeit deinem Entſchluß über dein Studium. Frei mußt
du ſein: und innerlich noch freier. Laß dich ganz gehen,
wenn du arbeiteſt — dichteſt — denk’ an keinen Freund; an
kein Muſter, an die größten Meiſter nicht — als um zu ver-
meiden — an kein Drucken; an nichts! Folge deinem inner-
ſten, ſüßeſten Hange; ſtelle dich dar: alles was du ſiehſt,
und ſo wie du’s ſiehſt. Was dir das Liebſte, das Schreck-
lichſte, das Peinlichſte, das Heimlichſte, das Verführeriſcheſte
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/388>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.