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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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hatte ihn mir voll Gicht geschüttet; unwohl kam ich zurück:
L. war gekommen, der Stumme! Man trank Thee. Mir
wurde immer unwohler. Wir wollten nach Berlin fahren; es
war sehr kalt, und nasse Massen in der Luft. Ich holte mir
einen Wattenrock, ward zu Hause sehr krank, machte es ab:
und fuhr ganz ermattet mit. Fahren ist die einzige zusam-
menhaltende Zerstreuung. Pferde! Pferde! in dem Menschen-
mangel! flüchtig, und deutlich genug, zeigt es, ohne Anstren-
gung oder aufmerksame Mühe, Gegenstände; führt in die Luft,
und bezeugt uns noch Kräfte und Macht zu unserm Gebot.
Rückzu war es noch kälter; ich ließ mir Alphonse von Mad.
de Genlis
holen und las: und ging geängstigt zu Bette. Am
andern Morgen war Sturm und Regen. Ich las nur das
Buch aus: ging spät zu R., die sterile war. Ich sprach end-
lich wie mit mir allein. Kündigte ihr an, daß ich den andern
Morgen nach der Stadt wollte: Einsamkeit ohne Liebe, ohne
Hoffnung, ohne Beziehung, ohne Zukunft, erträgt mein Geist
nicht. Ich ging zu Hause, hatte heftige Gichtschmerzen im
Arm. Las die Straußfedern. Wie niederträchtig; wie durch
Gift fühlt man sich bei diesem Lesen, aus Seelen-Ekel, aus-
einandergehen. In welcher niederträchtigen Wuth -- aus Mat-
tigkeit geboren -- muß der Mensch dies geschrieben haben,
und wie kann man in solchem Zustand nur noch die Feder
halten! Er hätte als Koth umfallen sollen. --

-- Frau von Bl. kam; ich fand sie bloß mager, und
grimassirend. Wir kamen auf Empörendes zu sprechen. Sie
hat keinen Muth zu leben, und keine Prätension daran. Sich
sagen zu können: du bist wie man dich fordert, ohne Zweck,

hatte ihn mir voll Gicht geſchüttet; unwohl kam ich zurück:
L. war gekommen, der Stumme! Man trank Thee. Mir
wurde immer unwohler. Wir wollten nach Berlin fahren; es
war ſehr kalt, und naſſe Maſſen in der Luft. Ich holte mir
einen Wattenrock, ward zu Hauſe ſehr krank, machte es ab:
und fuhr ganz ermattet mit. Fahren iſt die einzige zuſam-
menhaltende Zerſtreuung. Pferde! Pferde! in dem Menſchen-
mangel! flüchtig, und deutlich genug, zeigt es, ohne Anſtren-
gung oder aufmerkſame Mühe, Gegenſtände; führt in die Luft,
und bezeugt uns noch Kräfte und Macht zu unſerm Gebot.
Rückzu war es noch kälter; ich ließ mir Alphonse von Mad.
de Genlis
holen und las: und ging geängſtigt zu Bette. Am
andern Morgen war Sturm und Regen. Ich las nur das
Buch aus: ging ſpät zu R., die ſterile war. Ich ſprach end-
lich wie mit mir allein. Kündigte ihr an, daß ich den andern
Morgen nach der Stadt wollte: Einſamkeit ohne Liebe, ohne
Hoffnung, ohne Beziehung, ohne Zukunft, erträgt mein Geiſt
nicht. Ich ging zu Hauſe, hatte heftige Gichtſchmerzen im
Arm. Las die Straußfedern. Wie niederträchtig; wie durch
Gift fühlt man ſich bei dieſem Leſen, aus Seelen-Ekel, aus-
einandergehen. In welcher niederträchtigen Wuth — aus Mat-
tigkeit geboren — muß der Menſch dies geſchrieben haben,
und wie kann man in ſolchem Zuſtand nur noch die Feder
halten! Er hätte als Koth umfallen ſollen. —

— Frau von Bl. kam; ich fand ſie bloß mager, und
grimaſſirend. Wir kamen auf Empörendes zu ſprechen. Sie
hat keinen Muth zu leben, und keine Prätenſion daran. Sich
ſagen zu können: du biſt wie man dich fordert, ohne Zweck,

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[423/0437] hatte ihn mir voll Gicht geſchüttet; unwohl kam ich zurück: L. war gekommen, der Stumme! Man trank Thee. Mir wurde immer unwohler. Wir wollten nach Berlin fahren; es war ſehr kalt, und naſſe Maſſen in der Luft. Ich holte mir einen Wattenrock, ward zu Hauſe ſehr krank, machte es ab: und fuhr ganz ermattet mit. Fahren iſt die einzige zuſam- menhaltende Zerſtreuung. Pferde! Pferde! in dem Menſchen- mangel! flüchtig, und deutlich genug, zeigt es, ohne Anſtren- gung oder aufmerkſame Mühe, Gegenſtände; führt in die Luft, und bezeugt uns noch Kräfte und Macht zu unſerm Gebot. Rückzu war es noch kälter; ich ließ mir Alphonse von Mad. de Genlis holen und las: und ging geängſtigt zu Bette. Am andern Morgen war Sturm und Regen. Ich las nur das Buch aus: ging ſpät zu R., die ſterile war. Ich ſprach end- lich wie mit mir allein. Kündigte ihr an, daß ich den andern Morgen nach der Stadt wollte: Einſamkeit ohne Liebe, ohne Hoffnung, ohne Beziehung, ohne Zukunft, erträgt mein Geiſt nicht. Ich ging zu Hauſe, hatte heftige Gichtſchmerzen im Arm. Las die Straußfedern. Wie niederträchtig; wie durch Gift fühlt man ſich bei dieſem Leſen, aus Seelen-Ekel, aus- einandergehen. In welcher niederträchtigen Wuth — aus Mat- tigkeit geboren — muß der Menſch dies geſchrieben haben, und wie kann man in ſolchem Zuſtand nur noch die Feder halten! Er hätte als Koth umfallen ſollen. — — Frau von Bl. kam; ich fand ſie bloß mager, und grimaſſirend. Wir kamen auf Empörendes zu ſprechen. Sie hat keinen Muth zu leben, und keine Prätenſion daran. Sich ſagen zu können: du biſt wie man dich fordert, ohne Zweck,

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/437>, abgerufen am 23.12.2024.