Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Welt, so wenig Eleganz und Vornehmheit von edlem Sein
unterschieden, so wenig geordnet die zerstückten Elemente in
dem Weltverkehr nach den wahren Naturreichen, daß ich ein
wenig begabtes Riesenkind vor mir zu haben glaubte. Gar
nicht erholen konnte ich mich: denn lange hatte ich sie nicht
gesehen; viel gelebt, gedacht, gelitten, gelesen, gesehen in der
Zeit: sie sei mitgegangen, dacht' ich heimlich. Und ich komme
von meinem Erstaunen nicht zurück! Mit der gehen kluge
Männer um? Dies bewundern sie? halten sie aus? Mehr
hat sie ihnen nicht nachdenken gelernt? meine ich. Rein
gemein ist's, Dumpfheit zu ehren, und sich von ihr ehren zu
lassen, ohne Einsicht; um nicht an Wundes in sich, oder Grau-
ses für den Geist, oder Ungefälliges für die Welt, zu kom-
men! Nein, nie werd' ich dies begreifen! -- Sie frug mich
kindisch und unzweckmäßig über W. und sprach in inhaltlosem
Lob über G. Ich mußte ihr auch dumm antworten. --


-- Gestern, Mittwoch, stand ich auf, las, zog mich an,
und ging zu Frau von Bl., weil ich mein dummes Antworten
bei ihr gut machen wollte: auch aus Freundlichkeit: ich konnte
aber nicht zu unsern vorigen Reden zurückkommen: sie war
zugeriegelt, mir meine und meiner Freunde Vertheidigung zu
werth. Sie machte mir einige so dumme, nichtige, kleine Fragen
über Prinz Louis, stieß ein so dummes sentiment in Form einer
Meinung aus, daß ich für ewig weiß, sie hat nie den Muth
in sich zusammengehabt zu lieben noch zu leiden: und weiß
auch gar nicht, welchen Punkt im Herzen Liebe trifft. Um

Welt, ſo wenig Eleganz und Vornehmheit von edlem Sein
unterſchieden, ſo wenig geordnet die zerſtückten Elemente in
dem Weltverkehr nach den wahren Naturreichen, daß ich ein
wenig begabtes Rieſenkind vor mir zu haben glaubte. Gar
nicht erholen konnte ich mich: denn lange hatte ich ſie nicht
geſehen; viel gelebt, gedacht, gelitten, geleſen, geſehen in der
Zeit: ſie ſei mitgegangen, dacht’ ich heimlich. Und ich komme
von meinem Erſtaunen nicht zurück! Mit der gehen kluge
Männer um? Dies bewundern ſie? halten ſie aus? Mehr
hat ſie ihnen nicht nachdenken gelernt? meine ich. Rein
gemein iſt’s, Dumpfheit zu ehren, und ſich von ihr ehren zu
laſſen, ohne Einſicht; um nicht an Wundes in ſich, oder Grau-
ſes für den Geiſt, oder Ungefälliges für die Welt, zu kom-
men! Nein, nie werd’ ich dies begreifen! — Sie frug mich
kindiſch und unzweckmäßig über W. und ſprach in inhaltloſem
Lob über G. Ich mußte ihr auch dumm antworten. —


— Geſtern, Mittwoch, ſtand ich auf, las, zog mich an,
und ging zu Frau von Bl., weil ich mein dummes Antworten
bei ihr gut machen wollte: auch aus Freundlichkeit: ich konnte
aber nicht zu unſern vorigen Reden zurückkommen: ſie war
zugeriegelt, mir meine und meiner Freunde Vertheidigung zu
werth. Sie machte mir einige ſo dumme, nichtige, kleine Fragen
über Prinz Louis, ſtieß ein ſo dummes sentiment in Form einer
Meinung aus, daß ich für ewig weiß, ſie hat nie den Muth
in ſich zuſammengehabt zu lieben noch zu leiden: und weiß
auch gar nicht, welchen Punkt im Herzen Liebe trifft. Um

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0439" n="425"/>
Welt, &#x017F;o wenig Eleganz und Vornehmheit von edlem Sein<lb/>
unter&#x017F;chieden, &#x017F;o wenig geordnet die zer&#x017F;tückten Elemente in<lb/>
dem Weltverkehr nach den wahren Naturreichen, daß ich ein<lb/>
wenig begabtes Rie&#x017F;enkind vor mir zu haben glaubte. Gar<lb/>
nicht erholen konnte ich mich: denn lange hatte ich &#x017F;ie nicht<lb/>
ge&#x017F;ehen; viel gelebt, gedacht, gelitten, gele&#x017F;en, ge&#x017F;ehen in der<lb/>
Zeit: &#x017F;ie &#x017F;ei mitgegangen, dacht&#x2019; ich heimlich. Und ich komme<lb/>
von meinem Er&#x017F;taunen nicht zurück! Mit der gehen kluge<lb/>
Männer um? Dies bewundern &#x017F;ie? halten &#x017F;ie aus? Mehr<lb/>
hat &#x017F;ie ihnen nicht nachdenken gelernt? meine ich. Rein<lb/>
gemein i&#x017F;t&#x2019;s, Dumpfheit zu ehren, und &#x017F;ich von ihr ehren zu<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, ohne Ein&#x017F;icht; um nicht an Wundes in &#x017F;ich, oder Grau-<lb/>
&#x017F;es für den Gei&#x017F;t, oder Ungefälliges für die Welt, zu kom-<lb/>
men! Nein, nie werd&#x2019; ich dies begreifen! &#x2014; Sie frug mich<lb/>
kindi&#x017F;ch und unzweckmäßig über W. und &#x017F;prach in inhaltlo&#x017F;em<lb/>
Lob über G. Ich mußte ihr auch dumm antworten. &#x2014;</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Donnerstag.</hi> </dateline><lb/>
            <p>&#x2014; Ge&#x017F;tern, Mittwoch, &#x017F;tand ich auf, las, zog mich an,<lb/>
und ging zu Frau von Bl., weil ich mein dummes Antworten<lb/>
bei ihr gut machen wollte: auch aus Freundlichkeit: ich konnte<lb/>
aber nicht zu un&#x017F;ern vorigen Reden zurückkommen: &#x017F;ie war<lb/>
zugeriegelt, mir meine und meiner Freunde Vertheidigung zu<lb/>
werth. Sie machte mir einige &#x017F;o dumme, nichtige, kleine Fragen<lb/>
über Prinz Louis, &#x017F;tieß ein &#x017F;o dummes <hi rendition="#aq">sentiment</hi> in Form einer<lb/>
Meinung aus, daß ich für ewig weiß, &#x017F;ie hat nie den Muth<lb/>
in &#x017F;ich zu&#x017F;ammengehabt zu lieben noch zu leiden: und weiß<lb/>
auch gar nicht, welchen Punkt im Herzen Liebe trifft. Um<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[425/0439] Welt, ſo wenig Eleganz und Vornehmheit von edlem Sein unterſchieden, ſo wenig geordnet die zerſtückten Elemente in dem Weltverkehr nach den wahren Naturreichen, daß ich ein wenig begabtes Rieſenkind vor mir zu haben glaubte. Gar nicht erholen konnte ich mich: denn lange hatte ich ſie nicht geſehen; viel gelebt, gedacht, gelitten, geleſen, geſehen in der Zeit: ſie ſei mitgegangen, dacht’ ich heimlich. Und ich komme von meinem Erſtaunen nicht zurück! Mit der gehen kluge Männer um? Dies bewundern ſie? halten ſie aus? Mehr hat ſie ihnen nicht nachdenken gelernt? meine ich. Rein gemein iſt’s, Dumpfheit zu ehren, und ſich von ihr ehren zu laſſen, ohne Einſicht; um nicht an Wundes in ſich, oder Grau- ſes für den Geiſt, oder Ungefälliges für die Welt, zu kom- men! Nein, nie werd’ ich dies begreifen! — Sie frug mich kindiſch und unzweckmäßig über W. und ſprach in inhaltloſem Lob über G. Ich mußte ihr auch dumm antworten. — Donnerstag. — Geſtern, Mittwoch, ſtand ich auf, las, zog mich an, und ging zu Frau von Bl., weil ich mein dummes Antworten bei ihr gut machen wollte: auch aus Freundlichkeit: ich konnte aber nicht zu unſern vorigen Reden zurückkommen: ſie war zugeriegelt, mir meine und meiner Freunde Vertheidigung zu werth. Sie machte mir einige ſo dumme, nichtige, kleine Fragen über Prinz Louis, ſtieß ein ſo dummes sentiment in Form einer Meinung aus, daß ich für ewig weiß, ſie hat nie den Muth in ſich zuſammengehabt zu lieben noch zu leiden: und weiß auch gar nicht, welchen Punkt im Herzen Liebe trifft. Um

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/439
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/439>, abgerufen am 23.12.2024.