einem jeden Menschen können angenommen werden: oder wi- derstritten werden; daß wir seine annehmen müssen. Der Aller- verständigste muß nothwendig alle Übrigen überzeugen können: und der Vortheil Aller muß auf eine bestmögliche Art zu ver- einigen sein: sie Alle zusammen müssen sich die ganze Erde mit ihren Produkten, die ganze bekannte Natur mit ihren Kräften unterwürfig machen; und erhaschten sie mehr Plane- ten, eine weitere Natur, auch diese. Ja, der Mensch ist ge- drungen, alle seine Gedanken und Spekulationen mitzuthei- len, wenn sie sich auch nur auf ihn selbst beziehen (und Eitel- keit ist es nur dann, wenn er einen andern Grund, als diesen Drang in sich, dafür annimmt es zu thun). So möchte ein jeder gern Alle zwingen, wie die bessere Einsicht alles in uns selbst Verschiedene zwingt; die Natur brachte einen Menschen hervor, der Mensch will aus dem Geschlecht Einen Menschen machen: zu Aller Vortheil. Und wird dieses nicht bei den schändlichsten Kriegen von je, und in allen Zeitungen jetzt, zum Vorwand angegeben? Beziehen sich nicht alle Gründe, die die Staaten angeben, immer auf vorgebliche Beabsichti- gung des Vortheils Aller? Würden sie Gewalt brauchen, wenn die andern gütlich, guten oder schlechten Gründen folg- ten? Und geschähe dies, wäre nicht ein Staat der einsicht- vollste? in dem Staat es die Vernünftigsten, die, die alles verständen und am besten kombiniren könnten, die Häupter und Herrscher? und ist aller Krieg nicht das wilde Streben dazu? Darum das ewige, anscheinende Zurückfallen der Geschichte, nichts anders, als ihre Versuche zu einer Universalherrschaft.
einem jeden Menſchen können angenommen werden: oder wi- derſtritten werden; daß wir ſeine annehmen müſſen. Der Aller- verſtändigſte muß nothwendig alle Übrigen überzeugen können: und der Vortheil Aller muß auf eine beſtmögliche Art zu ver- einigen ſein: ſie Alle zuſammen müſſen ſich die ganze Erde mit ihren Produkten, die ganze bekannte Natur mit ihren Kräften unterwürfig machen; und erhaſchten ſie mehr Plane- ten, eine weitere Natur, auch dieſe. Ja, der Menſch iſt ge- drungen, alle ſeine Gedanken und Spekulationen mitzuthei- len, wenn ſie ſich auch nur auf ihn ſelbſt beziehen (und Eitel- keit iſt es nur dann, wenn er einen andern Grund, als dieſen Drang in ſich, dafür annimmt es zu thun). So möchte ein jeder gern Alle zwingen, wie die beſſere Einſicht alles in uns ſelbſt Verſchiedene zwingt; die Natur brachte einen Menſchen hervor, der Menſch will aus dem Geſchlecht Einen Menſchen machen: zu Aller Vortheil. Und wird dieſes nicht bei den ſchändlichſten Kriegen von je, und in allen Zeitungen jetzt, zum Vorwand angegeben? Beziehen ſich nicht alle Gründe, die die Staaten angeben, immer auf vorgebliche Beabſichti- gung des Vortheils Aller? Würden ſie Gewalt brauchen, wenn die andern gütlich, guten oder ſchlechten Gründen folg- ten? Und geſchähe dies, wäre nicht ein Staat der einſicht- vollſte? in dem Staat es die Vernünftigſten, die, die alles verſtänden und am beſten kombiniren könnten, die Häupter und Herrſcher? und iſt aller Krieg nicht das wilde Streben dazu? Darum das ewige, anſcheinende Zurückfallen der Geſchichte, nichts anders, als ihre Verſuche zu einer Univerſalherrſchaft.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0476"n="462"/>
einem jeden Menſchen können angenommen werden: oder wi-<lb/>
derſtritten werden; daß wir ſeine annehmen müſſen. Der Aller-<lb/>
verſtändigſte muß nothwendig alle Übrigen überzeugen können:<lb/>
und der Vortheil Aller muß auf eine beſtmögliche Art zu ver-<lb/>
einigen ſein: ſie Alle zuſammen müſſen ſich die ganze Erde<lb/>
mit ihren Produkten, die ganze bekannte Natur mit ihren<lb/>
Kräften unterwürfig machen; und erhaſchten ſie mehr Plane-<lb/>
ten, eine weitere Natur, auch dieſe. Ja, der Menſch iſt ge-<lb/>
drungen, alle ſeine Gedanken und Spekulationen mitzuthei-<lb/>
len, wenn ſie ſich auch nur auf ihn ſelbſt beziehen (und Eitel-<lb/>
keit iſt es nur dann, wenn er einen andern Grund, als dieſen<lb/>
Drang in ſich, dafür annimmt es zu thun). So möchte ein<lb/>
jeder gern Alle zwingen, wie die beſſere Einſicht alles in uns<lb/>ſelbſt Verſchiedene zwingt; die Natur brachte einen Menſchen<lb/>
hervor, der Menſch will aus dem Geſchlecht Einen Menſchen<lb/>
machen: zu Aller Vortheil. Und wird dieſes nicht bei den<lb/>ſchändlichſten Kriegen <hirendition="#g">von je</hi>, und in allen Zeitungen <hirendition="#g">jetzt</hi>,<lb/>
zum Vorwand angegeben? Beziehen ſich nicht alle Gründe,<lb/>
die die Staaten angeben, immer auf vorgebliche Beabſichti-<lb/>
gung des Vortheils Aller? Würden ſie Gewalt brauchen,<lb/>
wenn die andern gütlich, guten oder ſchlechten Gründen folg-<lb/>
ten? Und geſchähe dies, wäre nicht ein Staat der einſicht-<lb/>
vollſte? in dem Staat es die Vernünftigſten, die, die alles<lb/>
verſtänden und am beſten kombiniren könnten, die Häupter<lb/>
und Herrſcher? und iſt aller Krieg nicht das wilde Streben<lb/>
dazu? Darum das ewige, anſcheinende Zurückfallen der Geſchichte,<lb/>
nichts anders, als ihre Verſuche zu einer Univerſalherrſchaft.</p></div></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></body></text></TEI>
[462/0476]
einem jeden Menſchen können angenommen werden: oder wi-
derſtritten werden; daß wir ſeine annehmen müſſen. Der Aller-
verſtändigſte muß nothwendig alle Übrigen überzeugen können:
und der Vortheil Aller muß auf eine beſtmögliche Art zu ver-
einigen ſein: ſie Alle zuſammen müſſen ſich die ganze Erde
mit ihren Produkten, die ganze bekannte Natur mit ihren
Kräften unterwürfig machen; und erhaſchten ſie mehr Plane-
ten, eine weitere Natur, auch dieſe. Ja, der Menſch iſt ge-
drungen, alle ſeine Gedanken und Spekulationen mitzuthei-
len, wenn ſie ſich auch nur auf ihn ſelbſt beziehen (und Eitel-
keit iſt es nur dann, wenn er einen andern Grund, als dieſen
Drang in ſich, dafür annimmt es zu thun). So möchte ein
jeder gern Alle zwingen, wie die beſſere Einſicht alles in uns
ſelbſt Verſchiedene zwingt; die Natur brachte einen Menſchen
hervor, der Menſch will aus dem Geſchlecht Einen Menſchen
machen: zu Aller Vortheil. Und wird dieſes nicht bei den
ſchändlichſten Kriegen von je, und in allen Zeitungen jetzt,
zum Vorwand angegeben? Beziehen ſich nicht alle Gründe,
die die Staaten angeben, immer auf vorgebliche Beabſichti-
gung des Vortheils Aller? Würden ſie Gewalt brauchen,
wenn die andern gütlich, guten oder ſchlechten Gründen folg-
ten? Und geſchähe dies, wäre nicht ein Staat der einſicht-
vollſte? in dem Staat es die Vernünftigſten, die, die alles
verſtänden und am beſten kombiniren könnten, die Häupter
und Herrſcher? und iſt aller Krieg nicht das wilde Streben
dazu? Darum das ewige, anſcheinende Zurückfallen der Geſchichte,
nichts anders, als ihre Verſuche zu einer Univerſalherrſchaft.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/476>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.