selbst. Deutlich fiel es mir heute Morgen ein, daß sie mich eigentlich so ansehen, wie der Köhlerjunge das Mädchen von Orleans. Und ich auf eine gemeinere Art untergehe. Ich schreibe Ihnen diese ekelhaft traurige Geschichte, weil sie mir vor der Seele steht, und weil ich die Art von Stimmung ver- loren habe, die dazu gehört, Ihnen Mad. Wolff zu beschrei- ben, die ich nach meiner Katastrophe die Jungfrau spielen sah; und es doch thun will. Ich aß nach vielen herben Thränen gegen 5, mußte mich niederlegen, und ging nach 6 Uhr in Möllendorfs Loge, wo ich glücklicherweise allein war. Die Details künftig. Möllendorf, -- der zuletzt kam --, sagte: "Ich sehe nun, daß Weimar wenig Feuerstellen hat." -- -- Sie nüancirte aber die ganze Rolle mehr, als ich es je sah. -- Sie betete besser, als man glauben konnte; mit etwas stärkerer Stimme, als zu erwarten war. -- Starb ziemlich gut. Sie wurde herausgerufen: und das aus wahrer Ehrfurcht vor Goethe. Das freut mich sehr! -- Die Applaudeurs sag- ten deutlich: Goethe sei ihr Orakel. Sie sagte: "Wenn Ihnen mein schwaches Talent nur den geringsten Theil der Freude gemacht hat, die ich jetzt empfinde, so bin ich sehr glücklich." Heute seh' ich sie zum Thee bei Frau von Grott- huß, -- er, Hr. Wolff, wird dort, weil es Goethe sagte, den Prometheus -- "ein etwas abstruses Werkchen von mir" -- vorlesen. Davon schick' ich Ihnen Freitag die Rezension, mit A. Müllers Buch, und Xenien von Robert! Sie schreiben mir! in meiner Wüste. Ihr Dasein, Ihr Andenken, stellt mir viel vor. Ich sag' Ihnen nicht alles, was. -- Adieu. R. L.
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ſelbſt. Deutlich fiel es mir heute Morgen ein, daß ſie mich eigentlich ſo anſehen, wie der Köhlerjunge das Mädchen von Orleans. Und ich auf eine gemeinere Art untergehe. Ich ſchreibe Ihnen dieſe ekelhaft traurige Geſchichte, weil ſie mir vor der Seele ſteht, und weil ich die Art von Stimmung ver- loren habe, die dazu gehört, Ihnen Mad. Wolff zu beſchrei- ben, die ich nach meiner Kataſtrophe die Jungfrau ſpielen ſah; und es doch thun will. Ich aß nach vielen herben Thränen gegen 5, mußte mich niederlegen, und ging nach 6 Uhr in Möllendorfs Loge, wo ich glücklicherweiſe allein war. Die Details künftig. Möllendorf, — der zuletzt kam —, ſagte: „Ich ſehe nun, daß Weimar wenig Feuerſtellen hat.“ — — Sie nüancirte aber die ganze Rolle mehr, als ich es je ſah. — Sie betete beſſer, als man glauben konnte; mit etwas ſtärkerer Stimme, als zu erwarten war. — Starb ziemlich gut. Sie wurde herausgerufen: und das aus wahrer Ehrfurcht vor Goethe. Das freut mich ſehr! — Die Applaudeurs ſag- ten deutlich: Goethe ſei ihr Orakel. Sie ſagte: „Wenn Ihnen mein ſchwaches Talent nur den geringſten Theil der Freude gemacht hat, die ich jetzt empfinde, ſo bin ich ſehr glücklich.“ Heute ſeh’ ich ſie zum Thee bei Frau von Grott- huß, — er, Hr. Wolff, wird dort, weil es Goethe ſagte, den Prometheus — „ein etwas abſtruſes Werkchen von mir“ — vorleſen. Davon ſchick’ ich Ihnen Freitag die Rezenſion, mit A. Müllers Buch, und Xenien von Robert! Sie ſchreiben mir! in meiner Wüſte. Ihr Daſein, Ihr Andenken, ſtellt mir viel vor. Ich ſag’ Ihnen nicht alles, was. — Adieu. R. L.
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ſelbſt. Deutlich fiel es mir heute Morgen ein, daß ſie mich
eigentlich ſo anſehen, wie der Köhlerjunge das Mädchen von
Orleans. Und ich auf eine gemeinere Art untergehe. Ich
ſchreibe Ihnen dieſe ekelhaft traurige Geſchichte, weil ſie mir
vor der Seele ſteht, und weil ich die Art von Stimmung ver-
loren habe, die dazu gehört, Ihnen Mad. Wolff zu beſchrei-
ben, die ich nach meiner Kataſtrophe die Jungfrau ſpielen ſah;
und es doch thun will. Ich aß nach vielen herben Thränen
gegen 5, mußte mich niederlegen, und ging nach 6 Uhr in
Möllendorfs Loge, wo ich glücklicherweiſe allein war. Die
Details künftig. Möllendorf, — der zuletzt kam —, ſagte:
„Ich ſehe nun, daß Weimar wenig Feuerſtellen hat.“ — —
Sie nüancirte aber die ganze Rolle mehr, als ich es je ſah.
— Sie betete beſſer, als man glauben konnte; mit etwas
ſtärkerer Stimme, als zu erwarten war. — Starb ziemlich
gut. Sie wurde herausgerufen: und das aus wahrer Ehrfurcht
vor Goethe. Das freut mich ſehr! — Die Applaudeurs ſag-
ten deutlich: Goethe ſei ihr Orakel. Sie ſagte: „Wenn
Ihnen mein ſchwaches Talent nur den geringſten Theil der
Freude gemacht hat, die ich jetzt empfinde, ſo bin ich ſehr
glücklich.“ Heute ſeh’ ich ſie zum Thee bei Frau von Grott-
huß, — er, Hr. Wolff, wird dort, weil es Goethe ſagte, den
Prometheus — „ein etwas abſtruſes Werkchen von mir“ —
vorleſen. Davon ſchick’ ich Ihnen Freitag die Rezenſion, mit
A. Müllers Buch, und Xenien von Robert! Sie ſchreiben
mir! in meiner Wüſte. Ihr Daſein, Ihr Andenken, ſtellt mir
viel vor. Ich ſag’ Ihnen nicht alles, was. — Adieu. R. L.
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 497. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/511>, abgerufen am 23.12.2024.
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