das; fernab sind mir längst alle Träume von Heldengröße und äußerer Bedeutsamkeit gezogen; führt mich das Schicksal dahin, wo ich in großen Kreisen zu wirken habe, so will ich auch das können; aber meine Hoff- nungen, meine Pläne sind nicht darauf gestellt. Ich will nichts als das Rechte, Gute, Ewige, und das läßt sich in allen Formen darstellen, und also auch in der lieben himmlisch einfachen, die jene Worte aussprechen. Ich klage auch nicht über die Zeit; ganz dumm ist, wer das thut. Wem das Herrliche im Gemüthe gegeben ist, dem wird alle Zeit herrlich. Und worüber klage ich denn? darüber, daß ich dem Gemeinen Gewalt in mir gegönnt habe, daß ich mich habe übertölpeln lassen, durch pöbelhafte nich- tige Meinungen, so daß es mir zuweilen scheint, als ob sie sich krebsartig und unheilbar in meine Seele hineingefressen hätten. Wie kann die Be- sonnenheit, die Sanftmuth einem so ganz entweichen, wie mir zuweilen!
Sie werden es diesen Zeilen ansehen, daß ich ruhiger geworden bin. Ein Paroxysmus ist vorüber. Ob er wiederkehrt? Es ist jetzt Abend nach einem drückend warmen Tage. Die Sonne steht vor meinen Fen- stern hinter gelben Nebeln, und ein frischer Baum- und Blüthengeruch weht durch die Luft. Ob ich arbeite? Nein. Ehe ich nach Berlin ging, konnte ich's, und recht tüchtig, jetzt nicht mehr. Ich habe mich zu zwin- gen versucht, aber umsonst. Darum lass' ich mich jetzt gehen. Ich habe Philosophie treiben wollen, aber grade dazu gehört die religiöseste Ruhe, die frischeste Heiterkeit des Gemüths, die angestrengteste Sammlung.
Ich lese Moritz (seine Reise nach England, jetzt die nach Italien). Er gefällt mir sehr wohl, denn er ist ein ächter Mensch, ganz ohne Schein und Lüge. Er hat ein mildes, offnes und freundliches Gemüth, und eine große Gehnsucht nach dem Edlen und Ungemeinen.
Das Wetter ist fortdauernd sehr schön, mild und glühend zugleich. Auch Mirabeau habe ich gelesen, seine Briefe aus dem Donjon von Vin- cennes, viel besser und karakteristischer, als seine lettres de cachet, die größtentheils schiefe und kleinliche Ansichten enthalten; die gewaltige Fülle seines Herzens, die bei dem fürchterlichsten, dem ertödtendsten Un- glück seinen Geist stark und lebendig erhält, die offenbart sich viel mehr in jenen Briefen. Seine Beredsamkeit ist die wahre, denn er macht, er erdenkt sie niemals, sondern sie strömt ihm ewig aus dem Quell eines immer bewegten Gemüths hervor. Ich bin überzeugt, daß er grade eben
das; fernab ſind mir längſt alle Träume von Heldengröße und äußerer Bedeutſamkeit gezogen; führt mich das Schickſal dahin, wo ich in großen Kreiſen zu wirken habe, ſo will ich auch das können; aber meine Hoff- nungen, meine Pläne ſind nicht darauf geſtellt. Ich will nichts als das Rechte, Gute, Ewige, und das läßt ſich in allen Formen darſtellen, und alſo auch in der lieben himmliſch einfachen, die jene Worte ausſprechen. Ich klage auch nicht über die Zeit; ganz dumm iſt, wer das thut. Wem das Herrliche im Gemüthe gegeben iſt, dem wird alle Zeit herrlich. Und worüber klage ich denn? darüber, daß ich dem Gemeinen Gewalt in mir gegönnt habe, daß ich mich habe übertölpeln laſſen, durch pöbelhafte nich- tige Meinungen, ſo daß es mir zuweilen ſcheint, als ob ſie ſich krebsartig und unheilbar in meine Seele hineingefreſſen hätten. Wie kann die Be- ſonnenheit, die Sanftmuth einem ſo ganz entweichen, wie mir zuweilen!
Sie werden es dieſen Zeilen anſehen, daß ich ruhiger geworden bin. Ein Paroxysmus iſt vorüber. Ob er wiederkehrt? Es iſt jetzt Abend nach einem drückend warmen Tage. Die Sonne ſteht vor meinen Fen- ſtern hinter gelben Nebeln, und ein friſcher Baum- und Blüthengeruch weht durch die Luft. Ob ich arbeite? Nein. Ehe ich nach Berlin ging, konnte ich’s, und recht tüchtig, jetzt nicht mehr. Ich habe mich zu zwin- gen verſucht, aber umſonſt. Darum laſſ’ ich mich jetzt gehen. Ich habe Philoſophie treiben wollen, aber grade dazu gehört die religiöſeſte Ruhe, die friſcheſte Heiterkeit des Gemüths, die angeſtrengteſte Sammlung.
Ich leſe Moritz (ſeine Reiſe nach England, jetzt die nach Italien). Er gefällt mir ſehr wohl, denn er iſt ein ächter Menſch, ganz ohne Schein und Lüge. Er hat ein mildes, offnes und freundliches Gemüth, und eine große Gehnſucht nach dem Edlen und Ungemeinen.
Das Wetter iſt fortdauernd ſehr ſchön, mild und glühend zugleich. Auch Mirabeau habe ich geleſen, ſeine Briefe aus dem Donjon von Vin- cennes, viel beſſer und karakteriſtiſcher, als ſeine lettres de cachet, die größtentheils ſchiefe und kleinliche Anſichten enthalten; die gewaltige Fülle ſeines Herzens, die bei dem fürchterlichſten, dem ertödtendſten Un- glück ſeinen Geiſt ſtark und lebendig erhält, die offenbart ſich viel mehr in jenen Briefen. Seine Beredſamkeit iſt die wahre, denn er macht, er erdenkt ſie niemals, ſondern ſie ſtrömt ihm ewig aus dem Quell eines immer bewegten Gemüths hervor. Ich bin überzeugt, daß er grade eben
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Kreiſen zu wirken habe, ſo will ich auch das können; aber meine Hoff-
nungen, meine Pläne ſind nicht darauf geſtellt. Ich will nichts als das
Rechte, Gute, Ewige, und das läßt ſich in allen Formen darſtellen, und
alſo auch in der lieben himmliſch einfachen, die jene Worte ausſprechen.
Ich klage auch nicht über die Zeit; ganz dumm iſt, wer das thut. Wem
das Herrliche im Gemüthe gegeben iſt, dem wird alle Zeit herrlich. Und
worüber klage ich denn? darüber, daß ich dem Gemeinen Gewalt in mir
gegönnt habe, daß ich mich habe übertölpeln laſſen, durch pöbelhafte nich-
tige Meinungen, ſo daß es mir zuweilen ſcheint, als ob ſie ſich krebsartig
und unheilbar in meine Seele hineingefreſſen hätten. Wie kann die Be-
ſonnenheit, die Sanftmuth einem ſo ganz entweichen, wie mir zuweilen!
Sie werden es dieſen Zeilen anſehen, daß ich ruhiger geworden bin.
Ein Paroxysmus iſt vorüber. Ob er wiederkehrt? Es iſt jetzt Abend
nach einem drückend warmen Tage. Die Sonne ſteht vor meinen Fen-
ſtern hinter gelben Nebeln, und ein friſcher Baum- und Blüthengeruch
weht durch die Luft. Ob ich arbeite? Nein. Ehe ich nach Berlin ging,
konnte ich’s, und recht tüchtig, jetzt nicht mehr. Ich habe mich zu zwin-
gen verſucht, aber umſonſt. Darum laſſ’ ich mich jetzt gehen. Ich habe
Philoſophie treiben wollen, aber grade dazu gehört die religiöſeſte Ruhe,
die friſcheſte Heiterkeit des Gemüths, die angeſtrengteſte Sammlung.
Ich leſe Moritz (ſeine Reiſe nach England, jetzt die nach Italien).
Er gefällt mir ſehr wohl, denn er iſt ein ächter Menſch, ganz ohne
Schein und Lüge. Er hat ein mildes, offnes und freundliches Gemüth,
und eine große Gehnſucht nach dem Edlen und Ungemeinen.
Das Wetter iſt fortdauernd ſehr ſchön, mild und glühend zugleich.
Auch Mirabeau habe ich geleſen, ſeine Briefe aus dem Donjon von Vin-
cennes, viel beſſer und karakteriſtiſcher, als ſeine lettres de cachet, die
größtentheils ſchiefe und kleinliche Anſichten enthalten; die gewaltige
Fülle ſeines Herzens, die bei dem fürchterlichſten, dem ertödtendſten Un-
glück ſeinen Geiſt ſtark und lebendig erhält, die offenbart ſich viel mehr
in jenen Briefen. Seine Beredſamkeit iſt die wahre, denn er macht, er
erdenkt ſie niemals, ſondern ſie ſtrömt ihm ewig aus dem Quell eines
immer bewegten Gemüths hervor. Ich bin überzeugt, daß er grade eben
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 508. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/522>, abgerufen am 23.12.2024.
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