Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

ihm ganz nahe, die scharfe Intelligenz denkt weiter und in größern Krei-
sen; aus dem grünen, frischen, lebendigen Thal hat Sie der Schicksals-
sturm hinaufgehoben auf Bergeshöh, wo der Blick unendlich ist, der Mensch
ferne, aber Gott nahe. --

-- Reinhardts inneres Wesen besteht in einer Unpersönlichkeit, in
einer reinen unschuldigen Offenheit, welche um so liebenswürdiger ist, da
sie gar nicht auf einer schwachen Negativität, sondern auf einem eben so
fest bestimmten, wie sanften und milden Karakter ruht. Weil ich wußte,
daß er sie verstehen würde, hatte ich ihm, ehe er nach Berlin zurückging,
viele Ihrer Briefe vorgelesen. Sie begeisterten ihn durchaus, und er faßte
sie ganz von der rechten Seite. Wie er zurückkam, fragte ich ihn natür-
lich gleich, ob er Sie gesehn und wie? Er lobte Sie sehr, auf Tiefen sei
das Gespräch nicht gekommen, aber nie habe er einen Menschen gesehn,
der mit der Energie und der Leichtigkeit von allem den Mittelpunkt
ergriffe. --

Mit Smith bin ich fertig. Viele auf unsre Versassung sich beziehende
Dinge habe ich gelesen. Auf Sanssouci war ich lange nicht, es ist jotzt
dort stürmisch und öde, öfters ging ich im neuen Garten, wo der fluthende
See und die vielen dichten Tannengebüsche es lebendiger machen, und die
Marmorhalle vor dem Hause mir ernste, vornehme, rührende und schwer-
müthige Gedanken erweckt.



An Fonque, in Nennhausen.


Ein leichtes Flußfieber, welches mich Montag befiel, hin-
derte mich Schriftzüge zu machen, was seit einer großen Ner-
venkrankheit mir immer schwer wird, und auch immer das
Erste wird, was ich unterlassen muß; diese Schwierigkeit geht
dann auf Gedanken, Empfindung und Ausdruck über; sonst
hätte ich wohl gleich auf Ihren Brief geantwortet, den ich
Sonntag Abend, als ich meine Nichten zu einem Ball anzog,
erhielt. Ich möchte Ihnen danken, wenn man dergleichen be-
kommen könnte, ohne es zu verdienen; in dieser Antwort will

ihm ganz nahe, die ſcharfe Intelligenz denkt weiter und in größern Krei-
ſen; aus dem grünen, friſchen, lebendigen Thal hat Sie der Schickſals-
ſturm hinaufgehoben auf Bergeshöh, wo der Blick unendlich iſt, der Menſch
ferne, aber Gott nahe. —

— Reinhardts inneres Weſen beſteht in einer Unperſönlichkeit, in
einer reinen unſchuldigen Offenheit, welche um ſo liebenswürdiger iſt, da
ſie gar nicht auf einer ſchwachen Negativität, ſondern auf einem eben ſo
feſt beſtimmten, wie ſanften und milden Karakter ruht. Weil ich wußte,
daß er ſie verſtehen würde, hatte ich ihm, ehe er nach Berlin zurückging,
viele Ihrer Briefe vorgeleſen. Sie begeiſterten ihn durchaus, und er faßte
ſie ganz von der rechten Seite. Wie er zurückkam, fragte ich ihn natür-
lich gleich, ob er Sie geſehn und wie? Er lobte Sie ſehr, auf Tiefen ſei
das Geſpräch nicht gekommen, aber nie habe er einen Menſchen geſehn,
der mit der Energie und der Leichtigkeit von allem den Mittelpunkt
ergriffe. —

Mit Smith bin ich fertig. Viele auf unſre Verſaſſung ſich beziehende
Dinge habe ich geleſen. Auf Sansſouci war ich lange nicht, es iſt jotzt
dort ſtürmiſch und öde, öfters ging ich im neuen Garten, wo der fluthende
See und die vielen dichten Tannengebüſche es lebendiger machen, und die
Marmorhalle vor dem Hauſe mir ernſte, vornehme, rührende und ſchwer-
müthige Gedanken erweckt.



An Fonqué, in Nennhauſen.


Ein leichtes Flußfieber, welches mich Montag befiel, hin-
derte mich Schriftzüge zu machen, was ſeit einer großen Ner-
venkrankheit mir immer ſchwer wird, und auch immer das
Erſte wird, was ich unterlaſſen muß; dieſe Schwierigkeit geht
dann auf Gedanken, Empfindung und Ausdruck über; ſonſt
hätte ich wohl gleich auf Ihren Brief geantwortet, den ich
Sonntag Abend, als ich meine Nichten zu einem Ball anzog,
erhielt. Ich möchte Ihnen danken, wenn man dergleichen be-
kommen könnte, ohne es zu verdienen; in dieſer Antwort will

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0566" n="552"/>
ihm ganz nahe, die &#x017F;charfe Intelligenz denkt weiter und in größern Krei-<lb/>
&#x017F;en; aus dem grünen, fri&#x017F;chen, lebendigen Thal hat Sie der Schick&#x017F;als-<lb/>
&#x017F;turm hinaufgehoben auf Bergeshöh, wo der Blick unendlich i&#x017F;t, der Men&#x017F;ch<lb/>
ferne, aber Gott nahe. &#x2014;</p><lb/>
            <p>&#x2014; Reinhardts inneres We&#x017F;en be&#x017F;teht in einer Unper&#x017F;önlichkeit, in<lb/>
einer reinen un&#x017F;chuldigen Offenheit, welche um &#x017F;o liebenswürdiger i&#x017F;t, da<lb/>
&#x017F;ie gar nicht auf einer &#x017F;chwachen Negativität, &#x017F;ondern <choice><sic>anf</sic><corr>auf</corr></choice> einem eben &#x017F;o<lb/>
fe&#x017F;t be&#x017F;timmten, wie &#x017F;anften und milden Karakter ruht. Weil ich wußte,<lb/>
daß er &#x017F;ie ver&#x017F;tehen würde, hatte ich ihm, ehe er nach Berlin zurückging,<lb/>
viele Ihrer Briefe vorgele&#x017F;en. Sie begei&#x017F;terten ihn durchaus, und er faßte<lb/>
&#x017F;ie ganz von der rechten Seite. Wie er zurückkam, fragte ich ihn natür-<lb/>
lich gleich, ob er Sie ge&#x017F;ehn und wie? Er lobte Sie &#x017F;ehr, auf Tiefen &#x017F;ei<lb/>
das Ge&#x017F;präch nicht gekommen, aber nie habe er einen Men&#x017F;chen ge&#x017F;ehn,<lb/>
der mit <hi rendition="#g">der</hi> Energie und <hi rendition="#g">der</hi> Leichtigkeit von allem den Mittelpunkt<lb/>
ergriffe. &#x2014;</p><lb/>
            <p>Mit Smith bin ich fertig. Viele auf un&#x017F;re <choice><sic>Ver&#x017F;a&#x017F;&#x017F;nng</sic><corr>Ver&#x017F;a&#x017F;&#x017F;ung</corr></choice> &#x017F;ich beziehende<lb/>
Dinge habe ich gele&#x017F;en. Auf Sans&#x017F;ouci war ich lange nicht, es i&#x017F;t jotzt<lb/>
dort &#x017F;türmi&#x017F;ch und öde, öfters ging ich im neuen Garten, wo der fluthende<lb/>
See und die vielen dichten Tannengebü&#x017F;che es lebendiger machen, und die<lb/>
Marmorhalle vor dem Hau&#x017F;e mir ern&#x017F;te, vornehme, rührende und &#x017F;chwer-<lb/>
müthige Gedanken erweckt.</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>An Fonqu<hi rendition="#aq">é</hi>, in Nennhau&#x017F;en.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Freitag, 2 Uhr Mittag den 29. November 1811.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Ein leichtes Flußfieber, welches mich Montag befiel, hin-<lb/>
derte mich Schriftzüge zu machen, was &#x017F;eit einer großen Ner-<lb/>
venkrankheit mir immer &#x017F;chwer wird, und auch immer das<lb/>
Er&#x017F;te wird, was ich unterla&#x017F;&#x017F;en muß; die&#x017F;e Schwierigkeit geht<lb/>
dann auf Gedanken, Empfindung und Ausdruck über; &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
hätte ich wohl gleich auf Ihren Brief geantwortet, den ich<lb/>
Sonntag Abend, als ich meine Nichten zu einem Ball anzog,<lb/>
erhielt. Ich möchte Ihnen danken, wenn man dergleichen be-<lb/>
kommen könnte, ohne es zu verdienen; in die&#x017F;er Antwort will<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[552/0566] ihm ganz nahe, die ſcharfe Intelligenz denkt weiter und in größern Krei- ſen; aus dem grünen, friſchen, lebendigen Thal hat Sie der Schickſals- ſturm hinaufgehoben auf Bergeshöh, wo der Blick unendlich iſt, der Menſch ferne, aber Gott nahe. — — Reinhardts inneres Weſen beſteht in einer Unperſönlichkeit, in einer reinen unſchuldigen Offenheit, welche um ſo liebenswürdiger iſt, da ſie gar nicht auf einer ſchwachen Negativität, ſondern auf einem eben ſo feſt beſtimmten, wie ſanften und milden Karakter ruht. Weil ich wußte, daß er ſie verſtehen würde, hatte ich ihm, ehe er nach Berlin zurückging, viele Ihrer Briefe vorgeleſen. Sie begeiſterten ihn durchaus, und er faßte ſie ganz von der rechten Seite. Wie er zurückkam, fragte ich ihn natür- lich gleich, ob er Sie geſehn und wie? Er lobte Sie ſehr, auf Tiefen ſei das Geſpräch nicht gekommen, aber nie habe er einen Menſchen geſehn, der mit der Energie und der Leichtigkeit von allem den Mittelpunkt ergriffe. — Mit Smith bin ich fertig. Viele auf unſre Verſaſſung ſich beziehende Dinge habe ich geleſen. Auf Sansſouci war ich lange nicht, es iſt jotzt dort ſtürmiſch und öde, öfters ging ich im neuen Garten, wo der fluthende See und die vielen dichten Tannengebüſche es lebendiger machen, und die Marmorhalle vor dem Hauſe mir ernſte, vornehme, rührende und ſchwer- müthige Gedanken erweckt. An Fonqué, in Nennhauſen. Freitag, 2 Uhr Mittag den 29. November 1811. Ein leichtes Flußfieber, welches mich Montag befiel, hin- derte mich Schriftzüge zu machen, was ſeit einer großen Ner- venkrankheit mir immer ſchwer wird, und auch immer das Erſte wird, was ich unterlaſſen muß; dieſe Schwierigkeit geht dann auf Gedanken, Empfindung und Ausdruck über; ſonſt hätte ich wohl gleich auf Ihren Brief geantwortet, den ich Sonntag Abend, als ich meine Nichten zu einem Ball anzog, erhielt. Ich möchte Ihnen danken, wenn man dergleichen be- kommen könnte, ohne es zu verdienen; in dieſer Antwort will

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/566
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 552. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/566>, abgerufen am 23.12.2024.