drüber zu halten, brachten sie es doch dahin, mir es zu Flor zu zerreiben; denn dieses Läugnen gefiel mir nicht, denn der Junge (wie ein Kind) war seiner Sache nicht gewiß, und das große Crime, das man ihm immer entgegenwälzte, erschreckte ihn alle Augenblicke von neuem, so gut er sich auch faßte, und dieser Schreck und diese Verlegenheit haben immer eine sehr schlechte Wirkung im Karakter, und darum war's mir auch so höchst peinlich mitanzusehn, ich gab mir alle Mühe, dieses unbedachtsame Verhör, soviel als möglich war, in ein Exercice des Ausredens zu verwandeln, mit öffentlicher Bewilligung: um so mehr wurd' ich fast mißverstanden, aber es ging noch toll genug, Theodor ahndete so ziemlich. Warum verbietet man den Kindern so ausdrücklich Läugnen und Ausreden? die man (zwar leider! -- aber doch) braucht! man erzieht sie ja für den Tummel der Welt, und nicht für einen positi- ven Himmel, der ein rothes Herz und ungeflecktes Gewissen genau belohnt? Warum lehrt man sie nicht Lügen, Läugnen und Ausreden sagen, als ein nothwendiges Übel, und zeigt es ihnen dabei wie andere schwere Arbeit, die man schon von selbst wegläßt, wenn man's nicht nöthig hat, und sich zarte Hände schont; so würde man denn sein Gewissen schon pfle- gen. Fürchterliche Moral! Bei mancher gebildeten Inquisi- tion könnte mein Renommee wenigstens langsam gebra- ten werden. Und das wäre nicht einmal das Schlimmste, sie hat auch hier das Anschn von Thorheit und Dummheit, denn sie scheint unausführbar; im genauesten Verstande der Worte wohl, das fühl' ich so gut, als jemand, der's hört, aber daß man sie Kindern begreiflich machen kann, ohne sie
drüber zu halten, brachten ſie es doch dahin, mir es zu Flor zu zerreiben; denn dieſes Läugnen gefiel mir nicht, denn der Junge (wie ein Kind) war ſeiner Sache nicht gewiß, und das große Crime, das man ihm immer entgegenwälzte, erſchreckte ihn alle Augenblicke von neuem, ſo gut er ſich auch faßte, und dieſer Schreck und dieſe Verlegenheit haben immer eine ſehr ſchlechte Wirkung im Karakter, und darum war’s mir auch ſo höchſt peinlich mitanzuſehn, ich gab mir alle Mühe, dieſes unbedachtſame Verhör, ſoviel als möglich war, in ein Exercice des Ausredens zu verwandeln, mit öffentlicher Bewilligung: um ſo mehr wurd’ ich faſt mißverſtanden, aber es ging noch toll genug, Theodor ahndete ſo ziemlich. Warum verbietet man den Kindern ſo ausdrücklich Läugnen und Ausreden? die man (zwar leider! — aber doch) braucht! man erzieht ſie ja für den Tummel der Welt, und nicht für einen poſiti- ven Himmel, der ein rothes Herz und ungeflecktes Gewiſſen genau belohnt? Warum lehrt man ſie nicht Lügen, Läugnen und Ausreden ſagen, als ein nothwendiges Übel, und zeigt es ihnen dabei wie andere ſchwere Arbeit, die man ſchon von ſelbſt wegläßt, wenn man’s nicht nöthig hat, und ſich zarte Hände ſchont; ſo würde man denn ſein Gewiſſen ſchon pfle- gen. Fürchterliche Moral! Bei mancher gebildeten Inquiſi- tion könnte mein Renommee wenigſtens langſam gebra- ten werden. Und das wäre nicht einmal das Schlimmſte, ſie hat auch hier das Anſchn von Thorheit und Dummheit, denn ſie ſcheint unausführbar; im genaueſten Verſtande der Worte wohl, das fühl’ ich ſo gut, als jemand, der’s hört, aber daß man ſie Kindern begreiflich machen kann, ohne ſie
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drüber zu halten, brachten ſie es doch dahin, mir es zu Flor
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Junge (wie ein Kind) war ſeiner Sache nicht gewiß, und das
große Crime, das man ihm immer entgegenwälzte, erſchreckte
ihn alle Augenblicke von neuem, ſo gut er ſich auch faßte, und
dieſer Schreck und dieſe Verlegenheit haben immer eine ſehr
ſchlechte Wirkung im Karakter, und darum war’s mir auch
ſo höchſt peinlich mitanzuſehn, ich gab mir alle Mühe, dieſes
unbedachtſame Verhör, ſoviel als möglich war, in ein Exercice
des Ausredens zu verwandeln, mit öffentlicher Bewilligung:
um ſo mehr wurd’ ich faſt mißverſtanden, aber es ging noch
toll genug, Theodor ahndete ſo ziemlich. Warum verbietet
man den Kindern ſo ausdrücklich Läugnen und Ausreden?
die man (zwar leider! — aber doch) braucht! man erzieht
ſie ja für den Tummel der Welt, und nicht für einen poſiti-
ven Himmel, der ein rothes Herz und ungeflecktes Gewiſſen
genau belohnt? Warum lehrt man ſie nicht Lügen, Läugnen
und Ausreden ſagen, als ein nothwendiges Übel, und zeigt
es ihnen dabei wie andere ſchwere Arbeit, die man ſchon von
ſelbſt wegläßt, wenn man’s nicht nöthig hat, und ſich zarte
Hände ſchont; ſo würde man denn ſein Gewiſſen ſchon pfle-
gen. Fürchterliche Moral! Bei mancher gebildeten Inquiſi-
tion könnte mein Renommee wenigſtens langſam gebra-
ten werden. Und das wäre nicht einmal das Schlimmſte,
ſie hat auch hier das Anſchn von Thorheit und Dummheit,
denn ſie ſcheint unausführbar; im genaueſten Verſtande der
Worte wohl, das fühl’ ich ſo gut, als jemand, der’s hört,
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/83>, abgerufen am 22.12.2024.
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