läßt, und oft quält, läßt Ihnen mit einem gewissen Blick, mit dem sie auf des Schicksals Befehl die Göttin der Wahr- heit bei ihrer Geburt beschenken mußte, und dessen Sie sich erinnern werden, sagen. Sie möchten, wenn Sie leben oder glücklich sein wollten, Ihrem Erbfeind, Ihrem Ehrgeiz sich aus den Klauen winden, denn so wie er Sie damit strei- chelt, so wird er Sie noch zerfleischen, nicht verzehren, aber verderben, ganz schwach, und also ganz elend machen; Sie sollen sich Ihrem Gesandten für so krank ausgeben, als Sie sind; und sich nicht schwacherweise mit der kitzlenden Idee hinhalten, daß obgleich Sie die ganze Platitüde der pedanti- schen Erfüllung der Pflicht bewitzlen, Sie sie doch erfüllen, und sich die Schreier und Vertheidiger derselben auf die edelste Art vom Leibe halten. Ich bin diese Freundin; das Ennui, nicht das Schreiben der Ehiffren, wird Ihnen noch die Auszehrung machen, wenn Sie sich nicht gehörig krank angeben werden: mehr sag' ich nicht. Nun will ich Ihnen eine kleine Schadloshaltung für all diese Schelte (und was noch schlimmer ist, für all diese Wahrheiten) geben. Tadel, hat wenig Macht über mich; mit Lob aber bin ich zu fangen, und es hat nicht wenig Antheil an diesem Brief, welches Sie mir in Ihrem letzten gaben, daß Sie es so rühmen, und sich so mit freuen, daß ich Ihnen schrieb (etwas hat auch Ihre Krankheit gethan). Wie gefällt Ihnen diese Schwäche!? Ihre Bosheit wird ein hübsches Dine davon haben. Ich seh' es schon, Sie wollen Mariens und meine Bekanntschaft nicht haben: denn Sie haben das einzige Mittel erwählt, um mich abzuschrecken, und schildren sie mir als verschlossen -- Sie
läßt, und oft quält, läßt Ihnen mit einem gewiſſen Blick, mit dem ſie auf des Schickſals Befehl die Göttin der Wahr- heit bei ihrer Geburt beſchenken mußte, und deſſen Sie ſich erinnern werden, ſagen. Sie möchten, wenn Sie leben oder glücklich ſein wollten, Ihrem Erbfeind, Ihrem Ehrgeiz ſich aus den Klauen winden, denn ſo wie er Sie damit ſtrei- chelt, ſo wird er Sie noch zerfleiſchen, nicht verzehren, aber verderben, ganz ſchwach, und alſo ganz elend machen; Sie ſollen ſich Ihrem Geſandten für ſo krank ausgeben, als Sie ſind; und ſich nicht ſchwacherweiſe mit der kitzlenden Idee hinhalten, daß obgleich Sie die ganze Platitüde der pedanti- ſchen Erfüllung der Pflicht bewitzlen, Sie ſie doch erfüllen, und ſich die Schreier und Vertheidiger derſelben auf die edelſte Art vom Leibe halten. Ich bin dieſe Freundin; das Ennui, nicht das Schreiben der Ehiffren, wird Ihnen noch die Auszehrung machen, wenn Sie ſich nicht gehörig krank angeben werden: mehr ſag’ ich nicht. Nun will ich Ihnen eine kleine Schadloshaltung für all dieſe Schelte (und was noch ſchlimmer iſt, für all dieſe Wahrheiten) geben. Tadel, hat wenig Macht über mich; mit Lob aber bin ich zu fangen, und es hat nicht wenig Antheil an dieſem Brief, welches Sie mir in Ihrem letzten gaben, daß Sie es ſo rühmen, und ſich ſo mit freuen, daß ich Ihnen ſchrieb (etwas hat auch Ihre Krankheit gethan). Wie gefällt Ihnen dieſe Schwäche!? Ihre Bosheit wird ein hübſches Diné davon haben. Ich ſeh’ es ſchon, Sie wollen Mariens und meine Bekanntſchaft nicht haben: denn Sie haben das einzige Mittel erwählt, um mich abzuſchrecken, und ſchildren ſie mir als verſchloſſen — Sie
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läßt, und oft quält, läßt Ihnen mit einem gewiſſen Blick,
mit dem ſie auf des Schickſals Befehl die Göttin der Wahr-
heit bei ihrer Geburt beſchenken mußte, und deſſen Sie ſich
erinnern werden, ſagen. Sie möchten, wenn Sie leben oder
glücklich ſein wollten, Ihrem Erbfeind, Ihrem Ehrgeiz ſich
aus den Klauen winden, denn ſo wie er Sie damit ſtrei-
chelt, ſo wird er Sie noch zerfleiſchen, nicht verzehren, aber
verderben, ganz ſchwach, und alſo ganz elend machen; Sie
ſollen ſich Ihrem Geſandten für ſo krank ausgeben, als Sie
ſind; und ſich nicht ſchwacherweiſe mit der kitzlenden Idee
hinhalten, daß obgleich Sie die ganze Platitüde der pedanti-
ſchen Erfüllung der Pflicht bewitzlen, Sie ſie doch erfüllen,
und ſich die Schreier und Vertheidiger derſelben auf die
edelſte Art vom Leibe halten. Ich bin dieſe Freundin; das
Ennui, nicht das Schreiben der Ehiffren, wird Ihnen noch
die Auszehrung machen, wenn Sie ſich nicht gehörig krank
angeben werden: mehr ſag’ ich nicht. Nun will ich Ihnen eine
kleine Schadloshaltung für all dieſe Schelte (und was noch
ſchlimmer iſt, für all dieſe Wahrheiten) geben. Tadel, hat
wenig Macht über mich; mit Lob aber bin ich zu fangen,
und es hat nicht wenig Antheil an dieſem Brief, welches Sie
mir in Ihrem letzten gaben, daß Sie es ſo rühmen, und ſich
ſo mit freuen, daß ich Ihnen ſchrieb (etwas hat auch Ihre
Krankheit gethan). Wie gefällt Ihnen dieſe Schwäche!?
Ihre Bosheit wird ein hübſches Diné davon haben. Ich ſeh’
es ſchon, Sie wollen Mariens und meine Bekanntſchaft nicht
haben: denn Sie haben das einzige Mittel erwählt, um mich
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/86>, abgerufen am 22.12.2024.
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