Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

gewiesen, das ist auch viel und groß, wenn auch nicht leicht
und angenehm. Du schreibst mir hierüber sehr richtig, theurer
Freund! -- Ach wir wissen alles! Wir wollen aber fleißig
und stark bleiben. Das Leben ist eine Arbeit, die man auf-
bekömmt; und eine davon besteht darin, es verstehen, ertragen
und ergreifen zu lernen; es nicht zu schätzen, weil es im All-
gemeinen und einzeln unsicher ist; und es sehr zu schätzen,
weil es eine Probe zu einer Existenz ist, und alles was wir
kennen, und womit wir das Mögliche errathen. -- Gott
gebe meinen geliebten Landsleuten Muth und Bescheidenheit.
Unser armes Land leidet entsetzlich. Jeder Kerl geht mir in
die Seele! Bauerndörfer! Aber sie benehmen sich wirklich
noch gut! Alles hat Muth, Willen, und hilft in jeder Art.
Auf der Gasse kann man's hören, bei jeden Vorübergehenden,
das Papier ist zu klein zu allen Anekdoten! Jünglinge ver-
zweifeln
, die nicht mit sollen; übernehmen drei, vier Posten
und Stellen für ihre Brüder, und sagen, sie überleben die
Schmach doch nicht! --



An Varnhagen, in Hamburg.


Heller, warmer Sonnenschein, und doch Wolken und Wölkchen
am Himmel. Lerchen in den Straßen übertönen
alles jetzt. Blüthen strotzen vor Frische und Ju-
gend des Moments.

Endlich geht Egloffstein und Moritz! Ich konnte vor
Müdigkeit nicht mehr weiter leben; weil ich in drei Nächten

gewieſen, das iſt auch viel und groß, wenn auch nicht leicht
und angenehm. Du ſchreibſt mir hierüber ſehr richtig, theurer
Freund! — Ach wir wiſſen alles! Wir wollen aber fleißig
und ſtark bleiben. Das Leben iſt eine Arbeit, die man auf-
bekömmt; und eine davon beſteht darin, es verſtehen, ertragen
und ergreifen zu lernen; es nicht zu ſchätzen, weil es im All-
gemeinen und einzeln unſicher iſt; und es ſehr zu ſchätzen,
weil es eine Probe zu einer Exiſtenz iſt, und alles was wir
kennen, und womit wir das Mögliche errathen. — Gott
gebe meinen geliebten Landsleuten Muth und Beſcheidenheit.
Unſer armes Land leidet entſetzlich. Jeder Kerl geht mir in
die Seele! Bauerndörfer! Aber ſie benehmen ſich wirklich
noch gut! Alles hat Muth, Willen, und hilft in jeder Art.
Auf der Gaſſe kann man’s hören, bei jeden Vorübergehenden,
das Papier iſt zu klein zu allen Anekdoten! Jünglinge ver-
zweifeln
, die nicht mit ſollen; übernehmen drei, vier Poſten
und Stellen für ihre Brüder, und ſagen, ſie überleben die
Schmach doch nicht! —



An Varnhagen, in Hamburg.


Heller, warmer Sonnenſchein, und doch Wolken und Wölkchen
am Himmel. Lerchen in den Straßen übertönen
alles jetzt. Blüthen ſtrotzen vor Friſche und Ju-
gend des Moments.

Endlich geht Egloffſtein und Moritz! Ich konnte vor
Müdigkeit nicht mehr weiter leben; weil ich in drei Nächten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0101" n="93"/>
gewie&#x017F;en, das i&#x017F;t auch viel und groß, wenn auch nicht leicht<lb/>
und angenehm. Du &#x017F;chreib&#x017F;t mir hierüber &#x017F;ehr richtig, theurer<lb/>
Freund! &#x2014; Ach wir wi&#x017F;&#x017F;en alles! Wir wollen aber fleißig<lb/>
und &#x017F;tark bleiben. Das Leben i&#x017F;t eine Arbeit, die man auf-<lb/>
bekömmt; und eine davon be&#x017F;teht darin, es ver&#x017F;tehen, ertragen<lb/>
und ergreifen zu lernen; es nicht zu &#x017F;chätzen, weil es im All-<lb/>
gemeinen und einzeln un&#x017F;icher i&#x017F;t; und es &#x017F;ehr zu &#x017F;chätzen,<lb/>
weil es eine Probe zu einer Exi&#x017F;tenz i&#x017F;t, und alles was wir<lb/>
kennen, und womit wir das Mögliche errathen. &#x2014; Gott<lb/>
gebe meinen geliebten Landsleuten Muth und Be&#x017F;cheidenheit.<lb/>
Un&#x017F;er <hi rendition="#g">armes</hi> Land leidet ent&#x017F;etzlich. Jeder Kerl geht mir in<lb/>
die <hi rendition="#g">Seele</hi>! Bauerndörfer! Aber &#x017F;ie benehmen &#x017F;ich wirklich<lb/><hi rendition="#g">noch</hi> gut! Alles hat Muth, Willen, und hilft in jeder Art.<lb/>
Auf der Ga&#x017F;&#x017F;e kann man&#x2019;s hören, bei jeden Vorübergehenden,<lb/>
das Papier i&#x017F;t zu klein zu allen Anekdoten! Jünglinge <hi rendition="#g">ver-<lb/>
zweifeln</hi>, die nicht mit &#x017F;ollen; übernehmen drei, vier Po&#x017F;ten<lb/>
und Stellen für ihre Brüder, und &#x017F;agen, &#x017F;ie überleben die<lb/>
Schmach <hi rendition="#g">doch</hi> nicht! &#x2014;</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#et">An Varnhagen, in Hamburg.</hi> </head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Berlin, Dienstag, den 27. April 1813. Mittags 1 Uhr.</hi> </dateline><lb/>
          <p> <hi rendition="#et">Heller, warmer Sonnen&#x017F;chein, und doch Wolken und Wölkchen<lb/>
am Himmel. Lerchen in den <hi rendition="#g">Straßen</hi> übertönen<lb/>
alles <hi rendition="#g">jetzt</hi>. Blüthen <hi rendition="#g">&#x017F;trotzen</hi> vor Fri&#x017F;che und Ju-<lb/>
gend des Moments.</hi> </p><lb/>
          <p>Endlich geht Egloff&#x017F;tein und Moritz! Ich konnte vor<lb/>
Müdigkeit nicht mehr weiter leben; weil ich in drei Nächten<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[93/0101] gewieſen, das iſt auch viel und groß, wenn auch nicht leicht und angenehm. Du ſchreibſt mir hierüber ſehr richtig, theurer Freund! — Ach wir wiſſen alles! Wir wollen aber fleißig und ſtark bleiben. Das Leben iſt eine Arbeit, die man auf- bekömmt; und eine davon beſteht darin, es verſtehen, ertragen und ergreifen zu lernen; es nicht zu ſchätzen, weil es im All- gemeinen und einzeln unſicher iſt; und es ſehr zu ſchätzen, weil es eine Probe zu einer Exiſtenz iſt, und alles was wir kennen, und womit wir das Mögliche errathen. — Gott gebe meinen geliebten Landsleuten Muth und Beſcheidenheit. Unſer armes Land leidet entſetzlich. Jeder Kerl geht mir in die Seele! Bauerndörfer! Aber ſie benehmen ſich wirklich noch gut! Alles hat Muth, Willen, und hilft in jeder Art. Auf der Gaſſe kann man’s hören, bei jeden Vorübergehenden, das Papier iſt zu klein zu allen Anekdoten! Jünglinge ver- zweifeln, die nicht mit ſollen; übernehmen drei, vier Poſten und Stellen für ihre Brüder, und ſagen, ſie überleben die Schmach doch nicht! — An Varnhagen, in Hamburg. Berlin, Dienstag, den 27. April 1813. Mittags 1 Uhr. Heller, warmer Sonnenſchein, und doch Wolken und Wölkchen am Himmel. Lerchen in den Straßen übertönen alles jetzt. Blüthen ſtrotzen vor Friſche und Ju- gend des Moments. Endlich geht Egloffſtein und Moritz! Ich konnte vor Müdigkeit nicht mehr weiter leben; weil ich in drei Nächten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/101
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/101>, abgerufen am 21.11.2024.