daß kein Tropfen zweimal fließt, der Diebstahl an uns selbst geschieht und gräßlicher Mord ist. Bloß weil wir ewig Ap- probation haben wollen, aus der wir uns nichts machen, und nicht tapfer genug sind, menschlich Antlitz nicht zu fürchten, und dreist zu sagen, was wir möchten, wünschen und begeh- ren. Nichts ist heilig und wahr, und unmittelbare Gottes- gabe, als ächte Neigung; ewig aber wird die bekämpft, für anerkanntes Nichts. Das Fremdeste lassen wir uns aufbür- den, und so kommen wir uns selbst abhänden. Ich selbst, wie selten bin ich, komme ich zu Sinnen! Hören Sie, wie ich darauf kam. Ich liebe Sie gewiß; nie aber werde ich wieder zu der Sehnsucht kommen, die ich voriges Frühjahr erlitt, als das neue Jahr grad' aus Erd' und Himmel brach, und Sie wegreisten. Ich erlebte eine Welt -- ich schrieb es Ihnen, -- was aber wär' es geworden, hätte ich Sie nur vier Tage länger behalten!! Ich verging fast in Sehnsucht und Bedürfniß, es mit Ihnen zu sehen. Ich Elende, Niedrige, würdig des Lumpenlebens, das ich führe! -- Gott sieht jetzt mein innerstes Herz und diese Thränen! Niedrige, Feige, die ich war! Hatte ich den Muth, Sie bleiben zu las- sen? Nie werden Sie mir das wieder werden, was Sie da- mals waren -- grade durch die Reihe Leben, das wir geführt hatten, durch den Gang der Gespräche, die Blüthen der Stim- mung und des Frühlings! -- Was hätte es Ihrem für alle Ewigkeit fertigen Bruder geschadet, wenn Sie vier Tage spä- ter nach Friedersdorf gekommen wären, was Ihnen, wenn Sie mich so hätten beglücken können! Lassen Sie sich das für Ihre eigene Person zur ewigen Warnung dienen. Be-
daß kein Tropfen zweimal fließt, der Diebſtahl an uns ſelbſt geſchieht und gräßlicher Mord iſt. Bloß weil wir ewig Ap- probation haben wollen, aus der wir uns nichts machen, und nicht tapfer genug ſind, menſchlich Antlitz nicht zu fürchten, und dreiſt zu ſagen, was wir möchten, wünſchen und begeh- ren. Nichts iſt heilig und wahr, und unmittelbare Gottes- gabe, als ächte Neigung; ewig aber wird die bekämpft, für anerkanntes Nichts. Das Fremdeſte laſſen wir uns aufbür- den, und ſo kommen wir uns ſelbſt abhänden. Ich ſelbſt, wie ſelten bin ich, komme ich zu Sinnen! Hören Sie, wie ich darauf kam. Ich liebe Sie gewiß; nie aber werde ich wieder zu der Sehnſucht kommen, die ich voriges Frühjahr erlitt, als das neue Jahr grad’ aus Erd’ und Himmel brach, und Sie wegreiſten. Ich erlebte eine Welt — ich ſchrieb es Ihnen, — was aber wär’ es geworden, hätte ich Sie nur vier Tage länger behalten!! Ich verging faſt in Sehnſucht und Bedürfniß, es mit Ihnen zu ſehen. Ich Elende, Niedrige, würdig des Lumpenlebens, das ich führe! — Gott ſieht jetzt mein innerſtes Herz und dieſe Thränen! Niedrige, Feige, die ich war! Hatte ich den Muth, Sie bleiben zu laſ- ſen? Nie werden Sie mir das wieder werden, was Sie da- mals waren — grade durch die Reihe Leben, das wir geführt hatten, durch den Gang der Geſpräche, die Blüthen der Stim- mung und des Frühlings! — Was hätte es Ihrem für alle Ewigkeit fertigen Bruder geſchadet, wenn Sie vier Tage ſpä- ter nach Friedersdorf gekommen wären, was Ihnen, wenn Sie mich ſo hätten beglücken können! Laſſen Sie ſich das für Ihre eigene Perſon zur ewigen Warnung dienen. Be-
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daß kein Tropfen zweimal fließt, der Diebſtahl an uns ſelbſt
geſchieht und gräßlicher Mord iſt. Bloß weil wir ewig Ap-
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nicht tapfer genug ſind, menſchlich Antlitz nicht zu fürchten,
und dreiſt zu ſagen, was wir möchten, wünſchen und begeh-
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gabe, als ächte Neigung; ewig aber wird die bekämpft, für
anerkanntes Nichts. Das Fremdeſte laſſen wir uns aufbür-
den, und ſo kommen wir uns ſelbſt abhänden. Ich ſelbſt,
wie ſelten bin ich, komme ich zu Sinnen! Hören Sie, wie
ich darauf kam. Ich liebe Sie gewiß; nie aber werde ich
wieder zu der Sehnſucht kommen, die ich voriges Frühjahr
erlitt, als das neue Jahr grad’ aus Erd’ und Himmel brach,
und Sie wegreiſten. Ich erlebte eine Welt — ich ſchrieb es
Ihnen, — was aber wär’ es geworden, hätte ich Sie nur
vier Tage länger behalten!! Ich verging faſt in Sehnſucht
und Bedürfniß, es mit Ihnen zu ſehen. Ich Elende,
Niedrige, würdig des Lumpenlebens, das ich führe! — Gott
ſieht jetzt mein innerſtes Herz und dieſe Thränen! Niedrige,
Feige, die ich war! Hatte ich den Muth, Sie bleiben zu laſ-
ſen? Nie werden Sie mir das wieder werden, was Sie da-
mals waren — grade durch die Reihe Leben, das wir geführt
hatten, durch den Gang der Geſpräche, die Blüthen der Stim-
mung und des Frühlings! — Was hätte es Ihrem für alle
Ewigkeit fertigen Bruder geſchadet, wenn Sie vier Tage ſpä-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/12>, abgerufen am 23.11.2024.
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