Jugend. Wenn es wahr ist, daß ich alt bin, so habe ich meine Jugend mit herübergenommen: mir wandelt nichts wie ein Traum von daher. Wachenden Herzens ergriff ich dort; wo sollte der Traum herkommen? Ja, eine jede Härte mei- nes Vaters, jeder Mord eines Jugendmomentes, kränkt mich noch, und tiefer und verständiger, und verzweiflungsvoller als damals. Was ist unser Leben, wenn darum Daseinsmomente ihre Wichtigkeit und Wirklichkeit verlieren sollen, weil sie in der Vergangenheit liegen? Wie könnten wir dann nur Ge- genwart, Zukunft, Wünsche, Schätzenswerthes fassen? Auch in der Vergangenheit wird dir Gentz auch nur ein Traum gewesen sein: und dann ist es richtig, und gut. -- Ich bin auf Gott, auf Ewigkeit gestellt; wie du es für mich wünschest. Kenne aber Gott nur in und durch seine Welt; Frevel, Lüge wäre es von mir, anders zu sagen; und die Ewigkeit liegt bei mir nicht nur in der Zukunft; jetzt ist auch ein Moment Gottes. Aber gottergeben bin ich: grade da, wo ich nichts mehr fasse und begreife. Dies, und Verwirrung, und Versa- gung fühlen, ist der ganze Schmerz im Leben; diesen, als Schmerz, und doch willig annehmen, ist alles was ich kann. Die Natur des Daseins aber, die mir Gott gab, kann nur er, nicht ich, ändern. Klarer und klarer werden mir auch meine Gegenstände des Denkens. Kannst du ruhiger scheinen, so bedenke, daß dir mehr in der Welt gelungen ist; und mir außer dem Athmen, und Denken, und Besserwerden, das na- türlichste Dasein stets versagt ist. Das halte der Teufel mit Grazie aus! Verzeihe mir! auch diesen Brief, diese Re- pliken, und dieses gros mot! -- --
Jugend. Wenn es wahr iſt, daß ich alt bin, ſo habe ich meine Jugend mit herübergenommen: mir wandelt nichts wie ein Traum von daher. Wachenden Herzens ergriff ich dort; wo ſollte der Traum herkommen? Ja, eine jede Härte mei- nes Vaters, jeder Mord eines Jugendmomentes, kränkt mich noch, und tiefer und verſtändiger, und verzweiflungsvoller als damals. Was iſt unſer Leben, wenn darum Daſeinsmomente ihre Wichtigkeit und Wirklichkeit verlieren ſollen, weil ſie in der Vergangenheit liegen? Wie könnten wir dann nur Ge- genwart, Zukunft, Wünſche, Schätzenswerthes faſſen? Auch in der Vergangenheit wird dir Gentz auch nur ein Traum geweſen ſein: und dann iſt es richtig, und gut. — Ich bin auf Gott, auf Ewigkeit geſtellt; wie du es für mich wünſcheſt. Kenne aber Gott nur in und durch ſeine Welt; Frevel, Lüge wäre es von mir, anders zu ſagen; und die Ewigkeit liegt bei mir nicht nur in der Zukunft; jetzt iſt auch ein Moment Gottes. Aber gottergeben bin ich: grade da, wo ich nichts mehr faſſe und begreife. Dies, und Verwirrung, und Verſa- gung fühlen, iſt der ganze Schmerz im Leben; dieſen, als Schmerz, und doch willig annehmen, iſt alles was ich kann. Die Natur des Daſeins aber, die mir Gott gab, kann nur er, nicht ich, ändern. Klarer und klarer werden mir auch meine Gegenſtände des Denkens. Kannſt du ruhiger ſcheinen, ſo bedenke, daß dir mehr in der Welt gelungen iſt; und mir außer dem Athmen, und Denken, und Beſſerwerden, das na- türlichſte Daſein ſtets verſagt iſt. Das halte der Teufel mit Grazie aus! Verzeihe mir! auch dieſen Brief, dieſe Re- pliken, und dieſes gros mot! — —
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Jugend. Wenn es wahr iſt, daß ich alt bin, ſo habe ich
meine Jugend mit herübergenommen: mir wandelt nichts wie
ein Traum von daher. Wachenden Herzens ergriff ich dort;
wo ſollte der Traum herkommen? Ja, eine jede Härte mei-
nes Vaters, jeder Mord eines Jugendmomentes, kränkt mich
noch, und tiefer und verſtändiger, und verzweiflungsvoller als
damals. Was iſt unſer Leben, wenn darum Daſeinsmomente
ihre Wichtigkeit und Wirklichkeit verlieren ſollen, weil ſie in
der Vergangenheit liegen? Wie könnten wir dann nur Ge-
genwart, Zukunft, Wünſche, Schätzenswerthes faſſen? Auch
in der Vergangenheit wird dir Gentz auch nur ein Traum
geweſen ſein: und dann iſt es richtig, und gut. — Ich bin
auf Gott, auf Ewigkeit geſtellt; wie du es für mich wünſcheſt.
Kenne aber Gott nur in und durch ſeine Welt; Frevel, Lüge
wäre es von mir, anders zu ſagen; und die Ewigkeit liegt
bei mir nicht nur in der Zukunft; jetzt iſt auch ein Moment
Gottes. Aber gottergeben bin ich: grade da, wo ich nichts
mehr faſſe und begreife. Dies, und Verwirrung, und Verſa-
gung fühlen, iſt der ganze Schmerz im Leben; dieſen, als
Schmerz, und doch willig annehmen, iſt alles was ich kann.
Die Natur des Daſeins aber, die mir Gott gab, kann nur
er, nicht ich, ändern. Klarer und klarer werden mir auch
meine Gegenſtände des Denkens. Kannſt du ruhiger ſcheinen,
ſo bedenke, daß dir mehr in der Welt gelungen iſt; und mir
außer dem Athmen, und Denken, und Beſſerwerden, das na-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/162>, abgerufen am 26.11.2024.
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