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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

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nicht, daß wenn ich ihm nahe käme, ihn nicht durchaus zu ge-
winnen: ich weiß was er sich an Menschen wünschen muß;
und ich habe den großen Vortheil über ihn, daß ich wohl ihn,
er aber nicht mich gelesen hat. Daß er aber nicht besonnen
genug ist, lieber über eine ausgezeichnete Person, die er nicht
kennt, nichts zu sagen und zu meinen, das verdrießt mich am
meisten; und daß sein Innres, sein Schicksal und das seiner
Freunde, ihn nicht dazu bestimmen, grade das Gegentheil von
gemeinen, rohen, weitschichtigen Urtheilen zu denken; wie ich
es mit ihnen mache. Das gilt auch von dem Frauenzimmer,
von der ich dir neulich schrieb; die mich gut, mehr als noch
rein menschlich, behandelte nach dem Eindrucke, den ich ihr
machte, ehe sie wußte, wer ich war; und als sie es erfuhr,
nicht schön sich über mich äußerte, und ich schäme mich zu sa-
gen, nicht wahr; -- ich aber umgekehrt, hatte alles mögliche
Ungünstige von ihr gehört, glaubte nichts, weil meiner Vor-
stellung die Person fehlte, auf die alles ankommt: ich sah sie,
und eine übernatürliche Liebe berührte mein Herz; die ich aus
Bescheidenheit, gegen sie, darin fest hielt. Sie hat unaus-
sprechlich dadurch bei mir verloren. Denn alles erlaube ich
einer Solchen, aber ordinair sein, nicht. Dies lies ihm alles.
-- Warum lobst du mich auch so sehr! Lieber! dann kann
man dich natürlich leicht ärgern und mich attakiren. Ich liebe
es aber doch! Lieb' und lobe mich nur! kommen doch schlechte
Menschen durch falsches Lob empor; so müssen bessere, da
man ihnen keine Stelle vergönnt, auch durch übertriebenes
gehalten werden. Adieu für heute, es wird ganz dunkel, und
ich will essen. Adieu Lieber!


nicht, daß wenn ich ihm nahe käme, ihn nicht durchaus zu ge-
winnen: ich weiß was er ſich an Menſchen wünſchen muß;
und ich habe den großen Vortheil über ihn, daß ich wohl ihn,
er aber nicht mich geleſen hat. Daß er aber nicht beſonnen
genug iſt, lieber über eine ausgezeichnete Perſon, die er nicht
kennt, nichts zu ſagen und zu meinen, das verdrießt mich am
meiſten; und daß ſein Innres, ſein Schickſal und das ſeiner
Freunde, ihn nicht dazu beſtimmen, grade das Gegentheil von
gemeinen, rohen, weitſchichtigen Urtheilen zu denken; wie ich
es mit ihnen mache. Das gilt auch von dem Frauenzimmer,
von der ich dir neulich ſchrieb; die mich gut, mehr als noch
rein menſchlich, behandelte nach dem Eindrucke, den ich ihr
machte, ehe ſie wußte, wer ich war; und als ſie es erfuhr,
nicht ſchön ſich über mich äußerte, und ich ſchäme mich zu ſa-
gen, nicht wahr; — ich aber umgekehrt, hatte alles mögliche
Ungünſtige von ihr gehört, glaubte nichts, weil meiner Vor-
ſtellung die Perſon fehlte, auf die alles ankommt: ich ſah ſie,
und eine übernatürliche Liebe berührte mein Herz; die ich aus
Beſcheidenheit, gegen ſie, darin feſt hielt. Sie hat unaus-
ſprechlich dadurch bei mir verloren. Denn alles erlaube ich
einer Solchen, aber ordinair ſein, nicht. Dies lies ihm alles.
— Warum lobſt du mich auch ſo ſehr! Lieber! dann kann
man dich natürlich leicht ärgern und mich attakiren. Ich liebe
es aber doch! Lieb’ und lobe mich nur! kommen doch ſchlechte
Menſchen durch falſches Lob empor; ſo müſſen beſſere, da
man ihnen keine Stelle vergönnt, auch durch übertriebenes
gehalten werden. Adieu für heute, es wird ganz dunkel, und
ich will eſſen. Adieu Lieber!


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[9/0017] nicht, daß wenn ich ihm nahe käme, ihn nicht durchaus zu ge- winnen: ich weiß was er ſich an Menſchen wünſchen muß; und ich habe den großen Vortheil über ihn, daß ich wohl ihn, er aber nicht mich geleſen hat. Daß er aber nicht beſonnen genug iſt, lieber über eine ausgezeichnete Perſon, die er nicht kennt, nichts zu ſagen und zu meinen, das verdrießt mich am meiſten; und daß ſein Innres, ſein Schickſal und das ſeiner Freunde, ihn nicht dazu beſtimmen, grade das Gegentheil von gemeinen, rohen, weitſchichtigen Urtheilen zu denken; wie ich es mit ihnen mache. Das gilt auch von dem Frauenzimmer, von der ich dir neulich ſchrieb; die mich gut, mehr als noch rein menſchlich, behandelte nach dem Eindrucke, den ich ihr machte, ehe ſie wußte, wer ich war; und als ſie es erfuhr, nicht ſchön ſich über mich äußerte, und ich ſchäme mich zu ſa- gen, nicht wahr; — ich aber umgekehrt, hatte alles mögliche Ungünſtige von ihr gehört, glaubte nichts, weil meiner Vor- ſtellung die Perſon fehlte, auf die alles ankommt: ich ſah ſie, und eine übernatürliche Liebe berührte mein Herz; die ich aus Beſcheidenheit, gegen ſie, darin feſt hielt. Sie hat unaus- ſprechlich dadurch bei mir verloren. Denn alles erlaube ich einer Solchen, aber ordinair ſein, nicht. Dies lies ihm alles. — Warum lobſt du mich auch ſo ſehr! Lieber! dann kann man dich natürlich leicht ärgern und mich attakiren. Ich liebe es aber doch! Lieb’ und lobe mich nur! kommen doch ſchlechte Menſchen durch falſches Lob empor; ſo müſſen beſſere, da man ihnen keine Stelle vergönnt, auch durch übertriebenes gehalten werden. Adieu für heute, es wird ganz dunkel, und ich will eſſen. Adieu Lieber!

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/17>, abgerufen am 21.11.2024.