ganz beschämt und gestört, daß ich ihn nicht mehr so heimlich liebe; und dastehe wie Andere. Heimlich aber wird es ewig bleiben; denn ich selbst, kann es nicht so herausspinnen aus dem Herzen, und weiß ich, was er noch schreibt und thut? was ich noch erfahre? Volumes hätte ich dir zu sagen, wenn ich dir mittheilen könnte, wie verblüfft sein Leben sie wieder macht; wie sie auf mich fallen, auf mich: und was ich manch- mal glücklich rednerisch erschöpfend antworten kann, wie ich manchmal königlich schweige, zur höchsten Konfusion der Re- denden, nicht weil ich schweigen will, weil ich schweigen muß: und sie sehen es. Manchmal gelingt es mir, mit zwei Wor- ten an Stellen im Buche selbst zu verweisen; "Überlesen Sie doch nicht, welchen Rath Ihnen Goethe selbst giebt, den Ge- sichtspunkt, den er für solche Biographieen angiebt, daß er die Zeit schildert in bewußter meisterhafter Unschuld: zeigt und sagt, wie sich ein Mensch in und an ihr entwickelt, entwicklen kann und muß." So frug mich Graf Egloffstein eigends in einem dazu angestellten Besuch: "Was denken Sie von Goe- the's Leben?" Erst wollt' ich nicht reden; er brachte mich doch dahin. Ich konnte ihm in sehr klaren, bündigen -- nicht meine Force -- Worten eine ordentliche Erklärung vor- tragen; er lächelte häufig, meines guten Sprechens, der für ihn neuen Gedanken, und sagte, ganz ehrlich und froh am Ende: "Sie haben Recht, nun weiß ich, was er meint." Der muß mir nun in die Lesekabinette, und das Casino und seine tausend Gesellschaften. Vornehmen thue ich mir dergleichen bei- nah nie; aber es fiel mir doch nachher ein. O! wie babylonisch ist die Welt; Clemens hat Recht: wo ich ein Dolmetscher sein
ganz beſchämt und geſtört, daß ich ihn nicht mehr ſo heimlich liebe; und daſtehe wie Andere. Heimlich aber wird es ewig bleiben; denn ich ſelbſt, kann es nicht ſo herausſpinnen aus dem Herzen, und weiß ich, was er noch ſchreibt und thut? was ich noch erfahre? Volumes hätte ich dir zu ſagen, wenn ich dir mittheilen könnte, wie verblüfft ſein Leben ſie wieder macht; wie ſie auf mich fallen, auf mich: und was ich manch- mal glücklich redneriſch erſchöpfend antworten kann, wie ich manchmal königlich ſchweige, zur höchſten Konfuſion der Re- denden, nicht weil ich ſchweigen will, weil ich ſchweigen muß: und ſie ſehen es. Manchmal gelingt es mir, mit zwei Wor- ten an Stellen im Buche ſelbſt zu verweiſen; „Überleſen Sie doch nicht, welchen Rath Ihnen Goethe ſelbſt giebt, den Ge- ſichtspunkt, den er für ſolche Biographieen angiebt, daß er die Zeit ſchildert in bewußter meiſterhafter Unſchuld: zeigt und ſagt, wie ſich ein Menſch in und an ihr entwickelt, entwicklen kann und muß.“ So frug mich Graf Egloffſtein eigends in einem dazu angeſtellten Beſuch: „Was denken Sie von Goe- the’s Leben?“ Erſt wollt’ ich nicht reden; er brachte mich doch dahin. Ich konnte ihm in ſehr klaren, bündigen — nicht meine Force — Worten eine ordentliche Erklärung vor- tragen; er lächelte häufig, meines guten Sprechens, der für ihn neuen Gedanken, und ſagte, ganz ehrlich und froh am Ende: „Sie haben Recht, nun weiß ich, was er meint.“ Der muß mir nun in die Leſekabinette, und das Caſino und ſeine tauſend Geſellſchaften. Vornehmen thue ich mir dergleichen bei- nah nie; aber es fiel mir doch nachher ein. O! wie babyloniſch iſt die Welt; Clemens hat Recht: wo ich ein Dolmetſcher ſein
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ganz beſchämt und geſtört, daß ich ihn nicht mehr ſo heimlich
liebe; und daſtehe wie Andere. Heimlich aber wird es ewig
bleiben; denn ich ſelbſt, kann es nicht ſo herausſpinnen aus
dem Herzen, und weiß ich, was er noch ſchreibt und thut?
was ich noch erfahre? Volumes hätte ich dir zu ſagen, wenn
ich dir mittheilen könnte, wie verblüfft ſein Leben ſie wieder
macht; wie ſie auf mich fallen, auf mich: und was ich manch-
mal glücklich redneriſch erſchöpfend antworten kann, wie ich
manchmal königlich ſchweige, zur höchſten Konfuſion der Re-
denden, nicht weil ich ſchweigen will, weil ich ſchweigen muß:
und ſie ſehen es. Manchmal gelingt es mir, mit zwei Wor-
ten an Stellen im Buche ſelbſt zu verweiſen; „Überleſen Sie
doch nicht, welchen Rath Ihnen Goethe ſelbſt giebt, den Ge-
ſichtspunkt, den er für ſolche Biographieen angiebt, daß er die
Zeit ſchildert in bewußter meiſterhafter Unſchuld: zeigt und
ſagt, wie ſich ein Menſch in und an ihr entwickelt, entwicklen
kann und muß.“ So frug mich Graf Egloffſtein eigends in
einem dazu angeſtellten Beſuch: „Was denken Sie von Goe-
the’s Leben?“ Erſt wollt’ ich nicht reden; er brachte mich
doch dahin. Ich konnte ihm in ſehr klaren, bündigen —
nicht meine Force — Worten eine ordentliche Erklärung vor-
tragen; er lächelte häufig, meines guten Sprechens, der für
ihn neuen Gedanken, und ſagte, ganz ehrlich und froh am
Ende: „Sie haben Recht, nun weiß ich, was er meint.“ Der
muß mir nun in die Leſekabinette, und das Caſino und ſeine
tauſend Geſellſchaften. Vornehmen thue ich mir dergleichen bei-
nah nie; aber es fiel mir doch nachher ein. O! wie babyloniſch
iſt die Welt; Clemens hat Recht: wo ich ein Dolmetſcher ſein
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/19>, abgerufen am 23.11.2024.
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