eine dahin neigende Natur, so würde ich mich zum Gegentheil zwingen; sondern, ich kann mich nicht beschränken, und könnte diese meine Natur nicht bezwingen. -- Lieber, ich habe alle meine Papiere durchsucht, und kann keine Gedichte von dir finden. Ich möchte vergehen! aber machen kann ich doch keine! --
Ich denke ich soll wahnsinnig werden für Glück, wie Goethe immer in die hohe Kammer geht, "die Gewitter ab- zuwarten". In meiner tiefsten Kindheit that ich das auch schon, und noch berücksichtige ich alle Quartiere danach, ob man zu einem Gewitter viel Himmel sieht. Jetzt hab' ich Elende auch das nicht. Worauf dies aber alles in einem Menschen deutet, das weiß ich; und seine Konstitution kenne ich auch. Erinnerst du dich des Gewitters in Charlottenburg, wo du mit Markus und Bribes ankamst? da fürchtete sich die Schwägerin, und ich wurde ganz grausam: ich hasse die Leute, die sich vor Gewitter fürchten. Adieu! Nostitz wird über Ber- lin quer-ein schimpfen. Rechne ab. Lebe wohl!
An Varnhagen, in Prag.
Donnerstag, den 30. Januar 1812.
Lieber V. Ich werde dir auf alles nur kürzlichst antworten, alles dir nur flüchtig mittheilen. Ich kann das Schreiben nicht ertragen: lesen aber kann ich noch gar nicht: es nimmt mir besonders davon ein leiser Versuch ganze Nächte, und Aus- gehen durch die Kälte dasselbe; ich bin wohl öfters ganz ver-
eine dahin neigende Natur, ſo würde ich mich zum Gegentheil zwingen; ſondern, ich kann mich nicht beſchränken, und könnte dieſe meine Natur nicht bezwingen. — Lieber, ich habe alle meine Papiere durchſucht, und kann keine Gedichte von dir finden. Ich möchte vergehen! aber machen kann ich doch keine! —
Ich denke ich ſoll wahnſinnig werden für Glück, wie Goethe immer in die hohe Kammer geht, „die Gewitter ab- zuwarten“. In meiner tiefſten Kindheit that ich das auch ſchon, und noch berückſichtige ich alle Quartiere danach, ob man zu einem Gewitter viel Himmel ſieht. Jetzt hab’ ich Elende auch das nicht. Worauf dies aber alles in einem Menſchen deutet, das weiß ich; und ſeine Konſtitution kenne ich auch. Erinnerſt du dich des Gewitters in Charlottenburg, wo du mit Markus und Bribes ankamſt? da fürchtete ſich die Schwägerin, und ich wurde ganz grauſam: ich haſſe die Leute, die ſich vor Gewitter fürchten. Adieu! Noſtitz wird über Ber- lin quer-ein ſchimpfen. Rechne ab. Lebe wohl!
An Varnhagen, in Prag.
Donnerstag, den 30. Januar 1812.
Lieber V. Ich werde dir auf alles nur kürzlichſt antworten, alles dir nur flüchtig mittheilen. Ich kann das Schreiben nicht ertragen: leſen aber kann ich noch gar nicht: es nimmt mir beſonders davon ein leiſer Verſuch ganze Nächte, und Aus- gehen durch die Kälte daſſelbe; ich bin wohl öfters ganz ver-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0021"n="13"/>
eine dahin neigende Natur, ſo würde ich mich zum Gegentheil<lb/>
zwingen; ſondern, ich <hirendition="#g">kann</hi> mich nicht beſchränken, und könnte<lb/><hirendition="#g">dieſe</hi> meine Natur nicht bezwingen. — Lieber, ich habe alle<lb/>
meine Papiere durchſucht, und kann keine Gedichte von dir<lb/>
finden. Ich möchte vergehen! aber <hirendition="#g">machen kann</hi> ich doch<lb/>
keine! —</p><lb/><p>Ich denke ich ſoll wahnſinnig werden für Glück, wie<lb/>
Goethe immer in die hohe Kammer geht, „die Gewitter ab-<lb/>
zuwarten“. In meiner tiefſten Kindheit that ich das auch<lb/>ſchon, und noch berückſichtige ich alle Quartiere danach, ob<lb/>
man zu einem Gewitter viel Himmel ſieht. Jetzt hab’ ich<lb/>
Elende auch das nicht. Worauf dies aber alles in einem<lb/>
Menſchen deutet, das weiß ich; und ſeine Konſtitution kenne<lb/>
ich auch. Erinnerſt du dich des Gewitters in Charlottenburg,<lb/>
wo du mit Markus und Bribes ankamſt? da fürchtete ſich die<lb/>
Schwägerin, und ich wurde ganz grauſam: ich haſſe die Leute,<lb/>
die ſich vor Gewitter fürchten. Adieu! Noſtitz wird über Ber-<lb/>
lin quer-ein ſchimpfen. Rechne ab. Lebe wohl!</p></div></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head>An Varnhagen, in Prag.</head><lb/><dateline><hirendition="#right">Donnerstag, den 30. Januar 1812.</hi></dateline><lb/><p>Lieber V. Ich werde dir auf alles nur kürzlichſt antworten,<lb/>
alles dir nur flüchtig mittheilen. Ich kann das Schreiben nicht<lb/>
ertragen: leſen aber kann ich noch gar nicht: es nimmt mir<lb/>
beſonders <hirendition="#g">dav</hi>on ein leiſer Verſuch ganze Nächte, und Aus-<lb/>
gehen durch die Kälte daſſelbe; ich bin wohl öfters ganz ver-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[13/0021]
eine dahin neigende Natur, ſo würde ich mich zum Gegentheil
zwingen; ſondern, ich kann mich nicht beſchränken, und könnte
dieſe meine Natur nicht bezwingen. — Lieber, ich habe alle
meine Papiere durchſucht, und kann keine Gedichte von dir
finden. Ich möchte vergehen! aber machen kann ich doch
keine! —
Ich denke ich ſoll wahnſinnig werden für Glück, wie
Goethe immer in die hohe Kammer geht, „die Gewitter ab-
zuwarten“. In meiner tiefſten Kindheit that ich das auch
ſchon, und noch berückſichtige ich alle Quartiere danach, ob
man zu einem Gewitter viel Himmel ſieht. Jetzt hab’ ich
Elende auch das nicht. Worauf dies aber alles in einem
Menſchen deutet, das weiß ich; und ſeine Konſtitution kenne
ich auch. Erinnerſt du dich des Gewitters in Charlottenburg,
wo du mit Markus und Bribes ankamſt? da fürchtete ſich die
Schwägerin, und ich wurde ganz grauſam: ich haſſe die Leute,
die ſich vor Gewitter fürchten. Adieu! Noſtitz wird über Ber-
lin quer-ein ſchimpfen. Rechne ab. Lebe wohl!
An Varnhagen, in Prag.
Donnerstag, den 30. Januar 1812.
Lieber V. Ich werde dir auf alles nur kürzlichſt antworten,
alles dir nur flüchtig mittheilen. Ich kann das Schreiben nicht
ertragen: leſen aber kann ich noch gar nicht: es nimmt mir
beſonders davon ein leiſer Verſuch ganze Nächte, und Aus-
gehen durch die Kälte daſſelbe; ich bin wohl öfters ganz ver-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/21>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.