bis zur Empörung. Solle! hab' ich ihr neben an geschrieben. Wenn jemand, der Deutschland nicht kennt, ihr Buch -- Buch! lose, sich selbst aus der Regierung gesprungene Ge- danken; Gedanken! Bemerkungen, Appercu's; Lektüre, die nicht wieder als Blut zu Blut aufgenommen ward -- liest, so muß er's für ein finstres, kaltes Rauchloch halten, wo traurige Fantasmagoren umhergehen, die Gott zur Ehr- lichkeit verdammt hat; und wo dann und mann Einer sitzt und verzaubert meditirt: auch hat sie noch im Großen solche Zaubernester als unsere Universitäten beschrieben: so traurig sie selbst ist: die Frau ohne Sinne und ohne Musik. Macht sie nicht, als ob Frankreich das lustiglichste Land für Augen, Ohr und Fell wäre, und lauter griechische Tempel zu Woh- nungen hätte! Man friert wie bei uns: und unser Wetter ist eben so gut. Unsere Dörfer tausendmal schöner -- ich kenne nichts trostloseres, als die steinernen, laub- und blumenlosen Dörfer Frankreichs im Norden! Und wenn sie ihre olle Fran- caisen tanzen, sehen sie ja so erbärmlich aus, als ob sie dazu angehalten würden. -- Der lieben Stael ihr Buch ist für mich nichts anders, als ein lyrischer Seufzer, nicht die Kon- versation in Paris machen zu können; und die wichtigsten Gegenstände derselben -- wie sie wohl umfaßten, berührten -- sind ihr erst durch dieses Medium etwas. Für die Bau- ern z. B. gut sprechen, ist noch schöner, als wirklich und gleich gut wirken. Bedauert hab' ich sie auch sehr; und gleich lieb gehabt. -- Weil ich sie auch lieb habe; das heißt, besinne ich mich doch, bedaure; sie hat zu wenig großartige Gaben: eine gewisse Verstandes-inquietude, zu welcher sie zum Glück,
bis zur Empörung. Solle! hab’ ich ihr neben an geſchrieben. Wenn jemand, der Deutſchland nicht kennt, ihr Buch — Buch! loſe, ſich ſelbſt aus der Regierung geſprungene Ge- danken; Gedanken! Bemerkungen, Apperçu’s; Lektüre, die nicht wieder als Blut zu Blut aufgenommen ward — lieſt, ſo muß er’s für ein finſtres, kaltes Rauchloch halten, wo traurige Fantasmagoren umhergehen, die Gott zur Ehr- lichkeit verdammt hat; und wo dann und mann Einer ſitzt und verzaubert meditirt: auch hat ſie noch im Großen ſolche Zauberneſter als unſere Univerſitäten beſchrieben: ſo traurig ſie ſelbſt iſt: die Frau ohne Sinne und ohne Muſik. Macht ſie nicht, als ob Frankreich das luſtiglichſte Land für Augen, Ohr und Fell wäre, und lauter griechiſche Tempel zu Woh- nungen hätte! Man friert wie bei uns: und unſer Wetter iſt eben ſo gut. Unſere Dörfer tauſendmal ſchöner — ich kenne nichts troſtloſeres, als die ſteinernen, laub- und blumenloſen Dörfer Frankreichs im Norden! Und wenn ſie ihre olle Fran- çaiſen tanzen, ſehen ſie ja ſo erbärmlich aus, als ob ſie dazu angehalten würden. — Der lieben Staël ihr Buch iſt für mich nichts anders, als ein lyriſcher Seufzer, nicht die Kon- verſation in Paris machen zu können; und die wichtigſten Gegenſtände derſelben — wie ſie wohl umfaßten, berührten — ſind ihr erſt durch dieſes Medium etwas. Für die Bau- ern z. B. gut ſprechen, iſt noch ſchöner, als wirklich und gleich gut wirken. Bedauert hab’ ich ſie auch ſehr; und gleich lieb gehabt. — Weil ich ſie auch lieb habe; das heißt, beſinne ich mich doch, bedaure; ſie hat zu wenig großartige Gaben: eine gewiſſe Verſtandes-inquiétude, zu welcher ſie zum Glück,
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bis zur Empörung. Solle! hab’ ich ihr neben an geſchrieben.
Wenn jemand, der Deutſchland nicht kennt, ihr Buch —
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danken; Gedanken! Bemerkungen, Apperçu’s; Lektüre,
die nicht wieder als Blut zu Blut aufgenommen ward —
lieſt, ſo muß er’s für ein finſtres, kaltes Rauchloch halten,
wo traurige Fantasmagoren umhergehen, die Gott zur Ehr-
lichkeit verdammt hat; und wo dann und mann Einer ſitzt
und verzaubert meditirt: auch hat ſie noch im Großen ſolche
Zauberneſter als unſere Univerſitäten beſchrieben: ſo traurig
ſie ſelbſt iſt: die Frau ohne Sinne und ohne Muſik. Macht
ſie nicht, als ob Frankreich das luſtiglichſte Land für Augen,
Ohr und Fell wäre, und lauter griechiſche Tempel zu Woh-
nungen hätte! Man friert wie bei uns: und unſer Wetter iſt
eben ſo gut. Unſere Dörfer tauſendmal ſchöner — ich kenne
nichts troſtloſeres, als die ſteinernen, laub- und blumenloſen
Dörfer Frankreichs im Norden! Und wenn ſie ihre olle Fran-
çaiſen tanzen, ſehen ſie ja ſo erbärmlich aus, als ob ſie dazu
angehalten würden. — Der lieben Staël ihr Buch iſt für
mich nichts anders, als ein lyriſcher Seufzer, nicht die Kon-
verſation in Paris machen zu können; und die wichtigſten
Gegenſtände derſelben — wie ſie wohl umfaßten, berührten
— ſind ihr erſt durch dieſes Medium etwas. Für die Bau-
ern z. B. gut ſprechen, iſt noch ſchöner, als wirklich und gleich
gut wirken. Bedauert hab’ ich ſie auch ſehr; und gleich lieb
gehabt. — Weil ich ſie auch lieb habe; das heißt, beſinne ich
mich doch, bedaure; ſie hat zu wenig großartige Gaben: eine
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/226>, abgerufen am 24.11.2024.
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