Eins und Frankreich getheilt werden. Von dieser traurigen, für mich -- alte Generation -- höchst trüben Betrachtung muß ich natürlich auf Frisch kommen! Gott, wie hat mich das betrübt, erschüttert, erschreckt, und nachdenklich gemacht! Und es war doch so natürlich! Er so alt; er mußte sterben. Aber so stirbt man: so stirbt man selbst! Alles was wir intim und jugendlich kannten, geht ab, nimmt ab; stirbt. Und wenn nun erst Einer von uns Geschwistern sterben wird! Ein Glück, daß ich erst dran muß! So sind die Eltern, meine Wurzel, mein Stamm, an dem ich haftete, hin; ich dorre im Wipfel, fallen aber Äste neben mir, so ist es aus! -- Ich fühle mich heute so schwer; fühle überhaupt das Alter; nämlich die ewigen Zerrüttungen der Lagen und Verhältnisse; die Tren- nungen, die Kränklichkeit, die Entfernung der Jugendgenossen, der habitues, den Tod der Kernfreunde, der muntern. Und da ich Ruhe haben sollte, und müßte, die Erschütterung der Staaten, und Stätten!!! Ich kann weinen. Humboldt, Gentz, die Pachta, Wiesel, sind hier! -- Aber wie leben wir mit einander? -- Natürlich lache ich, spreche ich, sehe ich Leute, lerne welche kennen: erwäge und schätze mein Verhältniß mit Varnhagen, und bin als hätte man mir den besten Rath ge- geben. So habe ich mich gestern Abend in einer gewöhnlichen Soiree bei Arnsteins recht gut amüsirt; mit Frau von Arnstein, mit einer guten Französin, mit Frau von Ephr., mit manchem Sehen und Hören, und bei Tische lachten wir! Heute Mor- gen war ich mit der Arnstein in einem brillanten Konzert, wo ein junger Mann eine Oper von den Kennern untersuchen ließ, die er gemacht hatte (die Oper, nicht die Kenner, hatte er gemacht).
Eins und Frankreich getheilt werden. Von dieſer traurigen, für mich — alte Generation — höchſt trüben Betrachtung muß ich natürlich auf Friſch kommen! Gott, wie hat mich das betrübt, erſchüttert, erſchreckt, und nachdenklich gemacht! Und es war doch ſo natürlich! Er ſo alt; er mußte ſterben. Aber ſo ſtirbt man: ſo ſtirbt man ſelbſt! Alles was wir intim und jugendlich kannten, geht ab, nimmt ab; ſtirbt. Und wenn nun erſt Einer von uns Geſchwiſtern ſterben wird! Ein Glück, daß ich erſt dran muß! So ſind die Eltern, meine Wurzel, mein Stamm, an dem ich haftete, hin; ich dorre im Wipfel, fallen aber Äſte neben mir, ſo iſt es aus! — Ich fühle mich heute ſo ſchwer; fühle überhaupt das Alter; nämlich die ewigen Zerrüttungen der Lagen und Verhältniſſe; die Tren- nungen, die Kränklichkeit, die Entfernung der Jugendgenoſſen, der habitués, den Tod der Kernfreunde, der muntern. Und da ich Ruhe haben ſollte, und müßte, die Erſchütterung der Staaten, und Stätten!!! Ich kann weinen. Humboldt, Gentz, die Pachta, Wieſel, ſind hier! — Aber wie leben wir mit einander? — Natürlich lache ich, ſpreche ich, ſehe ich Leute, lerne welche kennen: erwäge und ſchätze mein Verhältniß mit Varnhagen, und bin als hätte man mir den beſten Rath ge- geben. So habe ich mich geſtern Abend in einer gewöhnlichen Soirée bei Arnſteins recht gut amüſirt; mit Frau von Arnſtein, mit einer guten Franzöſin, mit Frau von Ephr., mit manchem Sehen und Hören, und bei Tiſche lachten wir! Heute Mor- gen war ich mit der Arnſtein in einem brillanten Konzert, wo ein junger Mann eine Oper von den Kennern unterſuchen ließ, die er gemacht hatte (die Oper, nicht die Kenner, hatte er gemacht).
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Eins und Frankreich getheilt werden. Von dieſer traurigen,
für mich — alte Generation — höchſt trüben Betrachtung
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das betrübt, erſchüttert, erſchreckt, und nachdenklich gemacht!
Und es war doch ſo natürlich! Er ſo alt; er mußte ſterben.
Aber ſo ſtirbt man: ſo ſtirbt man ſelbſt! Alles was wir
intim und jugendlich kannten, geht ab, nimmt ab; ſtirbt.
Und wenn nun erſt Einer von uns Geſchwiſtern ſterben wird!
Ein Glück, daß ich erſt dran muß! So ſind die Eltern, meine
Wurzel, mein Stamm, an dem ich haftete, hin; ich dorre im
Wipfel, fallen aber Äſte neben mir, ſo iſt es aus! — Ich fühle
mich heute ſo ſchwer; fühle überhaupt das Alter; nämlich die
ewigen Zerrüttungen der Lagen und Verhältniſſe; die Tren-
nungen, die Kränklichkeit, die Entfernung der Jugendgenoſſen,
der habitués, den Tod der Kernfreunde, der muntern. Und
da ich Ruhe haben ſollte, und müßte, die Erſchütterung der
Staaten, und Stätten!!! Ich kann weinen. Humboldt, Gentz,
die Pachta, Wieſel, ſind hier! — Aber wie leben wir mit
einander? — Natürlich lache ich, ſpreche ich, ſehe ich Leute,
lerne welche kennen: erwäge und ſchätze mein Verhältniß mit
Varnhagen, und bin als hätte man mir den beſten Rath ge-
geben. So habe ich mich geſtern Abend in einer gewöhnlichen
Soirée bei Arnſteins recht gut amüſirt; mit Frau von Arnſtein,
mit einer guten Franzöſin, mit Frau von Ephr., mit manchem
Sehen und Hören, und bei Tiſche lachten wir! Heute Mor-
gen war ich mit der Arnſtein in einem brillanten Konzert, wo
ein junger Mann eine Oper von den Kennern unterſuchen ließ, die
er gemacht hatte (die Oper, nicht die Kenner, hatte er gemacht).
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/273>, abgerufen am 21.11.2024.
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