wicklen, die es nicht minder sind. Machen gar Manche ihren besondern Frieden und ihre Bedingungen mit Napoleon, so ist es auch, und gleich sehr arg. Man fürchtet alles. Andere führen wieder solche Emigrantengespräche, daß man vor Un- geduld und Unwillen und aus Furcht vor den abscheulichen Folgen rasend werden möchte. Alles untereinander muß man hören. So viel Behauptungen, Muthmaßungen, Lügenge- schichten, Verheimlichungen und Verläugnungen, Pläne, und Vorstellungsweisen, kluge und erzdumme Anekdoten. -- Kin- der, wie ist euch? ich bin viel ruhiger, als ihr glauben solltet. Tief betrübt mich und erfüllt mich ganz vor allem, daß ich Varnhagen so sehr erschüttert sehe mich zu verlassen; und daß ihm die Trennung und die Ungewißheit mindestens so hart angeht als mir. Hätte ich das nicht vor Augen, so würd' ich wohl meine Besorgnisse und aufgethürmte Verdrüsse aller Art, die davon entstehen müssen, hervorkriegen aus der See- len Grund. Mir imponirt aber immer ganz außerordent- lich, wenn mein Gemüth ein Geschäft für Andere hat. Muß nur etwas geschehen: wird nur eine Thätigkeit in Anspruch genommen, so habe ich für eine Weile Kräfte. Diese Thätig- keit besteht nun darin, mich für Varnhagen zu beschäftigen mit der reinsten und höchsten Freundschaft, und großer Liebe: die er von mir wie niemand erwirbt, durch eine Liebe, und ein Betragen, welches ich zu beschreiben mich fast schämen muß. Seid also auch gefaßt. Seit dem vorigen Krieg bin ich's mehr: wie man sich's denkt, kommt's nie: und bei je- dem Sonnenumlauf, weiß man nicht wie, und nicht ob man sie wiedersieht. Es ist eine Zerstreuung, daß man an gewöhn-
II. 18
wicklen, die es nicht minder ſind. Machen gar Manche ihren beſondern Frieden und ihre Bedingungen mit Napoleon, ſo iſt es auch, und gleich ſehr arg. Man fürchtet alles. Andere führen wieder ſolche Emigrantengeſpräche, daß man vor Un- geduld und Unwillen und aus Furcht vor den abſcheulichen Folgen raſend werden möchte. Alles untereinander muß man hören. So viel Behauptungen, Muthmaßungen, Lügenge- ſchichten, Verheimlichungen und Verläugnungen, Pläne, und Vorſtellungsweiſen, kluge und erzdumme Anekdoten. — Kin- der, wie iſt euch? ich bin viel ruhiger, als ihr glauben ſolltet. Tief betrübt mich und erfüllt mich ganz vor allem, daß ich Varnhagen ſo ſehr erſchüttert ſehe mich zu verlaſſen; und daß ihm die Trennung und die Ungewißheit mindeſtens ſo hart angeht als mir. Hätte ich das nicht vor Augen, ſo würd’ ich wohl meine Beſorgniſſe und aufgethürmte Verdrüſſe aller Art, die davon entſtehen müſſen, hervorkriegen aus der See- len Grund. Mir imponirt aber immer ganz außerordent- lich, wenn mein Gemüth ein Geſchäft für Andere hat. Muß nur etwas geſchehen: wird nur eine Thätigkeit in Anſpruch genommen, ſo habe ich für eine Weile Kräfte. Dieſe Thätig- keit beſteht nun darin, mich für Varnhagen zu beſchäftigen mit der reinſten und höchſten Freundſchaft, und großer Liebe: die er von mir wie niemand erwirbt, durch eine Liebe, und ein Betragen, welches ich zu beſchreiben mich faſt ſchämen muß. Seid alſo auch gefaßt. Seit dem vorigen Krieg bin ich’s mehr: wie man ſich’s denkt, kommt’s nie: und bei je- dem Sonnenumlauf, weiß man nicht wie, und nicht ob man ſie wiederſieht. Es iſt eine Zerſtreuung, daß man an gewöhn-
II. 18
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0281"n="273"/>
wicklen, die es nicht minder ſind. Machen gar Manche ihren<lb/>
beſondern Frieden und ihre Bedingungen mit Napoleon, ſo<lb/>
iſt es auch, und <hirendition="#g">gleich</hi>ſehr arg. Man fürchtet alles. Andere<lb/>
führen wieder ſolche Emigrantengeſpräche, daß man vor Un-<lb/>
geduld und Unwillen und aus Furcht vor den abſcheulichen<lb/>
Folgen raſend werden möchte. Alles untereinander muß man<lb/>
hören. So viel Behauptungen, Muthmaßungen, Lügenge-<lb/>ſchichten, Verheimlichungen und Verläugnungen, Pläne, und<lb/>
Vorſtellungsweiſen, kluge und erzdumme Anekdoten. — Kin-<lb/>
der, wie iſt <hirendition="#g">euch</hi>? ich bin viel ruhiger, als ihr glauben ſolltet.<lb/>
Tief betrübt mich und erfüllt mich ganz vor <hirendition="#g">allem</hi>, daß ich<lb/>
Varnhagen ſo ſehr erſchüttert ſehe mich zu verlaſſen; und daß<lb/>
ihm die Trennung und die Ungewißheit mindeſtens ſo hart<lb/>
angeht als mir. Hätte ich <hirendition="#g">das</hi> nicht vor Augen, ſo würd’<lb/>
ich wohl <hirendition="#g">meine</hi> Beſorgniſſe und aufgethürmte Verdrüſſe aller<lb/>
Art, die davon entſtehen müſſen, hervorkriegen aus der See-<lb/>
len Grund. Mir imponirt aber immer <hirendition="#g">ganz außerordent-<lb/>
lich</hi>, wenn mein Gemüth ein Geſchäft für Andere hat. Muß<lb/>
nur etwas <hirendition="#g">geſchehen</hi>: wird nur eine Thätigkeit in Anſpruch<lb/>
genommen, ſo habe ich für eine Weile Kräfte. Dieſe Thätig-<lb/>
keit beſteht nun darin, mich für Varnhagen zu beſchäftigen<lb/>
mit der reinſten und höchſten Freundſchaft, und großer Liebe:<lb/>
die er von mir wie niemand erwirbt, durch eine Liebe, und<lb/>
ein Betragen, welches ich zu beſchreiben mich faſt ſchämen<lb/>
muß. Seid alſo auch gefaßt. Seit dem <hirendition="#g">vorigen</hi> Krieg bin<lb/>
ich’s mehr: wie man ſich’s denkt, kommt’s nie: und bei <hirendition="#g">je-<lb/>
dem</hi> Sonnenumlauf, weiß man nicht <hirendition="#g">wie</hi>, und nicht <hirendition="#g">ob</hi> man<lb/>ſie wiederſieht. Es iſt eine Zerſtreuung, daß man an gewöhn-<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#aq">II.</hi> 18</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[273/0281]
wicklen, die es nicht minder ſind. Machen gar Manche ihren
beſondern Frieden und ihre Bedingungen mit Napoleon, ſo
iſt es auch, und gleich ſehr arg. Man fürchtet alles. Andere
führen wieder ſolche Emigrantengeſpräche, daß man vor Un-
geduld und Unwillen und aus Furcht vor den abſcheulichen
Folgen raſend werden möchte. Alles untereinander muß man
hören. So viel Behauptungen, Muthmaßungen, Lügenge-
ſchichten, Verheimlichungen und Verläugnungen, Pläne, und
Vorſtellungsweiſen, kluge und erzdumme Anekdoten. — Kin-
der, wie iſt euch? ich bin viel ruhiger, als ihr glauben ſolltet.
Tief betrübt mich und erfüllt mich ganz vor allem, daß ich
Varnhagen ſo ſehr erſchüttert ſehe mich zu verlaſſen; und daß
ihm die Trennung und die Ungewißheit mindeſtens ſo hart
angeht als mir. Hätte ich das nicht vor Augen, ſo würd’
ich wohl meine Beſorgniſſe und aufgethürmte Verdrüſſe aller
Art, die davon entſtehen müſſen, hervorkriegen aus der See-
len Grund. Mir imponirt aber immer ganz außerordent-
lich, wenn mein Gemüth ein Geſchäft für Andere hat. Muß
nur etwas geſchehen: wird nur eine Thätigkeit in Anſpruch
genommen, ſo habe ich für eine Weile Kräfte. Dieſe Thätig-
keit beſteht nun darin, mich für Varnhagen zu beſchäftigen
mit der reinſten und höchſten Freundſchaft, und großer Liebe:
die er von mir wie niemand erwirbt, durch eine Liebe, und
ein Betragen, welches ich zu beſchreiben mich faſt ſchämen
muß. Seid alſo auch gefaßt. Seit dem vorigen Krieg bin
ich’s mehr: wie man ſich’s denkt, kommt’s nie: und bei je-
dem Sonnenumlauf, weiß man nicht wie, und nicht ob man
ſie wiederſieht. Es iſt eine Zerſtreuung, daß man an gewöhn-
II. 18
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/281>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.