Anfang der Berge genossen; welches mich sehr stärkte, wie besonders jetzt wieder die Nachtluft. -- -- Obgleich dein Brief lange ging, und nur aus Deutschland ist, beruhigt er mich doch sehr, weil ich nun glaube, ihr seid vorbereitet, und wer- det behutsam sein; und die Dinge sich immer ändern und wenden; und besonders nicht so sind, als man zu befürchten nöthig hat. Ich denk' in allem wie du. Und mache meine alten Fragen an uns -- Alliirte. -- Wie freut es meine Seele! -- doch eigentlich (du weißt es) mit Goethe'n gleich zu denken und zu fühlen, über unsere Geschichten und ihre Helden: nicht umsonst, denn nicht ohne Grund empfand ich Welt und Licht, die Natur -- eigentliche Geschichte -- wie er. Ich bin nicht vermessen; wenn ich mich auch vergleiche. So wie ich es sage, find' ich es wahr; und dann kann ich's auch sagen: und so sehe ich auch die Menschen an, auf die man merkt. Ja, es geht so weit, daß, hätte man mir die ganze Zeit das Gegentheil von Goethe berichtet, ich wäre eben so gewiß in meiner Seele gewesen, daß er's so nimmt, wie man es jetzt so eilig, patriotisch, kleingesehen, feig und selbstisch tadelt. Den Egmont schreibt man nicht von unge- fähr, und ändert sich nachher. Wie die Andern, die nichts geschrieben haben, in ihren oft dicken Büchern: nichts was sie wirklich wären! die immer einem Zeitalter nach, aber nie vor sprechen. Geschichte sieht man, konstruirt sie selbst: die geistige Entwickelung der Völker ist ihre Geschichte: und die bringen Sterbliche, wie Goethe, hervor, indem sie sie sehen, verkündigen, prophezeihen, auch rückwärts, wie Frie- drich Schlegel in der guten Zeit wußte, und sie sind es, die
Anfang der Berge genoſſen; welches mich ſehr ſtärkte, wie beſonders jetzt wieder die Nachtluft. — — Obgleich dein Brief lange ging, und nur aus Deutſchland iſt, beruhigt er mich doch ſehr, weil ich nun glaube, ihr ſeid vorbereitet, und wer- det behutſam ſein; und die Dinge ſich immer ändern und wenden; und beſonders nicht ſo ſind, als man zu befürchten nöthig hat. Ich denk’ in allem wie du. Und mache meine alten Fragen an uns — Alliirte. — Wie freut es meine Seele! — doch eigentlich (du weißt es) mit Goethe’n gleich zu denken und zu fühlen, über unſere Geſchichten und ihre Helden: nicht umſonſt, denn nicht ohne Grund empfand ich Welt und Licht, die Natur — eigentliche Geſchichte — wie er. Ich bin nicht vermeſſen; wenn ich mich auch vergleiche. So wie ich es ſage, find’ ich es wahr; und dann kann ich’s auch ſagen: und ſo ſehe ich auch die Menſchen an, auf die man merkt. Ja, es geht ſo weit, daß, hätte man mir die ganze Zeit das Gegentheil von Goethe berichtet, ich wäre eben ſo gewiß in meiner Seele geweſen, daß er’s ſo nimmt, wie man es jetzt ſo eilig, patriotiſch, kleingeſehen, feig und ſelbſtiſch tadelt. Den Egmont ſchreibt man nicht von unge- fähr, und ändert ſich nachher. Wie die Andern, die nichts geſchrieben haben, in ihren oft dicken Büchern: nichts was ſie wirklich wären! die immer einem Zeitalter nach, aber nie vor ſprechen. Geſchichte ſieht man, konſtruirt ſie ſelbſt: die geiſtige Entwickelung der Völker iſt ihre Geſchichte: und die bringen Sterbliche, wie Goethe, hervor, indem ſie ſie ſehen, verkündigen, prophezeihen, auch rückwärts, wie Frie- drich Schlegel in der guten Zeit wußte, und ſie ſind es, die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0320"n="312"/>
Anfang der Berge genoſſen; welches mich ſehr ſtärkte, wie<lb/>
beſonders jetzt wieder die Nachtluft. —— Obgleich dein Brief<lb/>
lange ging, und nur aus Deutſchland iſt, beruhigt er mich<lb/>
doch ſehr, weil ich nun glaube, ihr ſeid vorbereitet, und wer-<lb/>
det behutſam ſein; und die Dinge ſich immer ändern und<lb/>
wenden; und beſonders nicht ſo ſind, als man zu befürchten<lb/>
nöthig hat. <hirendition="#g">Ich denk’ in allem wie du</hi>. Und mache<lb/>
meine alten Fragen an uns — Alliirte. — Wie freut es meine<lb/>
Seele! — doch <hirendition="#g">eigentlich</hi> (<hirendition="#g">du</hi> weißt es) mit Goethe’n<lb/>
gleich zu denken und zu fühlen, über unſere Geſchichten und<lb/>
ihre Helden: nicht umſonſt, denn nicht ohne Grund empfand<lb/>
ich Welt und Licht, die Natur — eigentliche Geſchichte — wie<lb/>
er. Ich bin nicht vermeſſen; wenn ich mich auch vergleiche.<lb/>
So wie ich es ſage, find’ ich es wahr; und dann kann ich’s<lb/>
auch ſagen: und ſo ſehe ich auch die Menſchen an, auf die<lb/>
man merkt. Ja, es geht <hirendition="#g">ſo</hi> weit, daß, hätte man mir die<lb/>
ganze Zeit das Gegentheil von Goethe berichtet, ich wäre<lb/>
eben ſo gewiß in meiner Seele geweſen, daß er’s ſo nimmt,<lb/>
wie man es jetzt ſo eilig, patriotiſch, kleingeſehen, feig und<lb/>ſelbſtiſch tadelt. Den Egmont ſchreibt man nicht von <hirendition="#g">unge-<lb/>
fähr</hi>, und ändert ſich <hirendition="#g">nachher</hi>. Wie die Andern, die <hirendition="#g">nichts</hi><lb/>
geſchrieben haben, in ihren oft dicken Büchern: nichts was ſie<lb/>
wirklich wären! die immer einem Zeitalter <hirendition="#g">nach</hi>, aber nie<lb/><hirendition="#g">vor</hi>ſprechen. Geſchichte <hirendition="#g">ſieht</hi> man, konſtruirt ſie ſelbſt:<lb/>
die geiſtige Entwickelung der Völker iſt ihre Geſchichte: und<lb/>
die bringen Sterbliche, wie Goethe, he<hirendition="#g">rvor</hi>, indem ſie ſie<lb/>ſehen, verkündigen, prophezeihen, auch rückwärts, wie Frie-<lb/>
drich Schlegel in der guten Zeit wußte, und ſie ſind es, die<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[312/0320]
Anfang der Berge genoſſen; welches mich ſehr ſtärkte, wie
beſonders jetzt wieder die Nachtluft. — — Obgleich dein Brief
lange ging, und nur aus Deutſchland iſt, beruhigt er mich
doch ſehr, weil ich nun glaube, ihr ſeid vorbereitet, und wer-
det behutſam ſein; und die Dinge ſich immer ändern und
wenden; und beſonders nicht ſo ſind, als man zu befürchten
nöthig hat. Ich denk’ in allem wie du. Und mache
meine alten Fragen an uns — Alliirte. — Wie freut es meine
Seele! — doch eigentlich (du weißt es) mit Goethe’n
gleich zu denken und zu fühlen, über unſere Geſchichten und
ihre Helden: nicht umſonſt, denn nicht ohne Grund empfand
ich Welt und Licht, die Natur — eigentliche Geſchichte — wie
er. Ich bin nicht vermeſſen; wenn ich mich auch vergleiche.
So wie ich es ſage, find’ ich es wahr; und dann kann ich’s
auch ſagen: und ſo ſehe ich auch die Menſchen an, auf die
man merkt. Ja, es geht ſo weit, daß, hätte man mir die
ganze Zeit das Gegentheil von Goethe berichtet, ich wäre
eben ſo gewiß in meiner Seele geweſen, daß er’s ſo nimmt,
wie man es jetzt ſo eilig, patriotiſch, kleingeſehen, feig und
ſelbſtiſch tadelt. Den Egmont ſchreibt man nicht von unge-
fähr, und ändert ſich nachher. Wie die Andern, die nichts
geſchrieben haben, in ihren oft dicken Büchern: nichts was ſie
wirklich wären! die immer einem Zeitalter nach, aber nie
vor ſprechen. Geſchichte ſieht man, konſtruirt ſie ſelbſt:
die geiſtige Entwickelung der Völker iſt ihre Geſchichte: und
die bringen Sterbliche, wie Goethe, hervor, indem ſie ſie
ſehen, verkündigen, prophezeihen, auch rückwärts, wie Frie-
drich Schlegel in der guten Zeit wußte, und ſie ſind es, die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/320>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.