gen, mich und meine heimliche Leidenschaft aufopfernd, schrieb ich ihm) -- und ich dachte, der Brief sei ihm nicht abgege- ben; oder, trotz der Unmöglichkeit! er käme lieber einen Moment zu mir, als daß er mir auch nur eine Zeile antwor- tete: oder, er habe schwer einen Boten: und so dacht' ich mir denn sein Kommen, oder Schicken; und dabei, daß es gewiß geschähe zur Unzeit, und wenn ich's gar nicht dächte; wie im- mer. Das aber konnte ich mir nicht denken: ein Viertel auf 10 ist zu arg. Ich hatte gestern ein erhitztes rothes Auge; und solche Beschwerden an den Augen, wie du sie mir kennst; wozu mir denn die gestrige Komödie nicht half. Als ich den Morgen erwachte, so war das Auge nicht mehr roth, aber beide thaten mir weh, als wäre Staub darin; und um nicht zu lesen, und sie zu ruhen, blieb ich im Bette -- sonst steh' ich jetzt ziemlich früh auf -- frühstücke im Bette, nehle sehr, und stehe endlich um 9 auf. Grade im Zähneputzen, im ro- then Pulver, mit meinem Flanellen angethan, kommt mein Wirth, und sagt Doren, ein Herr wolle mich sprechen. Ich denke, ein Bote von Goethe. (Noch nie kam der Wirth, und nie in solcher Art Angst.) Ich lasse fragen, wer es ist, und schicke Dore hinunter; diese bringt mir Goethens Karte; mit dem Bescheid, er wolle ein wenig warten. Ich lasse ihn eintreten und nur so lange warten, als man Zeit braucht, einen Überrock über zu knöpfen; es war ein schwarzer Wat- tenrock; und so trete ich vor ihn. Mich opfernd, um ihn nicht einen Moment warten zu lassen. Dies nur blieb mir von Besinnung. Auch entschuldige ich mich nicht, sondern danke ihm! "Ich dank' Ihnen!" sagte ich; und meinte, er
gen, mich und meine heimliche Leidenſchaft aufopfernd, ſchrieb ich ihm) — und ich dachte, der Brief ſei ihm nicht abgege- ben; oder, trotz der Unmöglichkeit! er käme lieber einen Moment zu mir, als daß er mir auch nur eine Zeile antwor- tete: oder, er habe ſchwer einen Boten: und ſo dacht’ ich mir denn ſein Kommen, oder Schicken; und dabei, daß es gewiß geſchähe zur Unzeit, und wenn ich’s gar nicht dächte; wie im- mer. Das aber konnte ich mir nicht denken: ein Viertel auf 10 iſt zu arg. Ich hatte geſtern ein erhitztes rothes Auge; und ſolche Beſchwerden an den Augen, wie du ſie mir kennſt; wozu mir denn die geſtrige Komödie nicht half. Als ich den Morgen erwachte, ſo war das Auge nicht mehr roth, aber beide thaten mir weh, als wäre Staub darin; und um nicht zu leſen, und ſie zu ruhen, blieb ich im Bette — ſonſt ſteh’ ich jetzt ziemlich früh auf — frühſtücke im Bette, nehle ſehr, und ſtehe endlich um 9 auf. Grade im Zähneputzen, im ro- then Pulver, mit meinem Flanellen angethan, kommt mein Wirth, und ſagt Doren, ein Herr wolle mich ſprechen. Ich denke, ein Bote von Goethe. (Noch nie kam der Wirth, und nie in ſolcher Art Angſt.) Ich laſſe fragen, wer es iſt, und ſchicke Dore hinunter; dieſe bringt mir Goethens Karte; mit dem Beſcheid, er wolle ein wenig warten. Ich laſſe ihn eintreten und nur ſo lange warten, als man Zeit braucht, einen Überrock über zu knöpfen; es war ein ſchwarzer Wat- tenrock; und ſo trete ich vor ihn. Mich opfernd, um ihn nicht einen Moment warten zu laſſen. Dies nur blieb mir von Beſinnung. Auch entſchuldige ich mich nicht, ſondern danke ihm! „Ich dank’ Ihnen!“ ſagte ich; und meinte, er
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gen, mich und meine heimliche Leidenſchaft aufopfernd, ſchrieb
ich ihm) — und ich dachte, der Brief ſei ihm nicht abgege-
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Moment zu mir, als daß er mir auch nur eine Zeile antwor-
tete: oder, er habe ſchwer einen Boten: und ſo dacht’ ich mir
denn ſein Kommen, oder Schicken; und dabei, daß es gewiß
geſchähe zur Unzeit, und wenn ich’s gar nicht dächte; wie im-
mer. Das aber konnte ich mir nicht denken: ein Viertel
auf 10 iſt zu arg. Ich hatte geſtern ein erhitztes rothes Auge;
und ſolche Beſchwerden an den Augen, wie du ſie mir kennſt;
wozu mir denn die geſtrige Komödie nicht half. Als ich den
Morgen erwachte, ſo war das Auge nicht mehr roth, aber
beide thaten mir weh, als wäre Staub darin; und um nicht
zu leſen, und ſie zu ruhen, blieb ich im Bette — ſonſt ſteh’
ich jetzt ziemlich früh auf — frühſtücke im Bette, nehle ſehr,
und ſtehe endlich um 9 auf. Grade im Zähneputzen, im ro-
then Pulver, mit meinem Flanellen angethan, kommt mein
Wirth, und ſagt Doren, ein Herr wolle mich ſprechen. Ich
denke, ein Bote von Goethe. (Noch nie kam der Wirth,
und nie in ſolcher Art Angſt.) Ich laſſe fragen, wer es iſt,
und ſchicke Dore hinunter; dieſe bringt mir Goethens Karte;
mit dem Beſcheid, er wolle ein wenig warten. Ich laſſe ihn
eintreten und nur ſo lange warten, als man Zeit braucht,
einen Überrock über zu knöpfen; es war ein ſchwarzer Wat-
tenrock; und ſo trete ich vor ihn. Mich opfernd, um ihn
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/338>, abgerufen am 22.11.2024.
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