So hat mich denn die Tugend eingesperrt, und der liebe Gott leidet's: ich bin also muks-still. So, auf solche Weise, war's ja von je! Ich bereue nichts, denn ich konnte nichts anderes machen, und müßte es noch Einmal so machen, wiederholte sich die Lage. Was nicht schön ist, kam noch obenein hinzu. Eben so gut hätte ich dir einen lustigen Brief, und ich bewies es schon, schreiben können: voller Dinge, die da eben vorgehen, in Laune aus Kürze vorgetragen; aber ich wollte nun einmal den innern Quell von deinem Brief erschlossen rein aus dem selten geöffneten Herzen springen lassen! Sprechen wäre frei- lich noch besser, aber ich bin nun nicht so glücklich! Es kann kommen. Wie alles! Alles ist möglich. Am meisten verdrießt mich, daß du mir sagst "so ein Jährchen setze sich nicht in die Kleider!" werde nur nicht am Körper vor der Zeit alt. Meiner ist ein Held im Kampfe mit dem Alter; außer weiße Haare, sehe ich bedeutend jünger aus als ich bin. Eigentlich möchte ich gerne so alt vorstellen als ich bin: das kann ich nicht, weil ich so bedeutend jünger aussehe und es immer er- klären müßte; wenigstens oft; und dann, weil ich einen jun- gen mich so sehr liebenden Mann habe. Komischers giebt's nicht. Die verkehrte Krone auf meinem Schicksal, dankbar bin ich auch. Künftig schreibe ich dir von meinen wenigen Bekannten. -- Das Berliner Theater habe ich aufgegeben. Devrient möcht' ich sehen! Laß dir von Theodor meine fünf letzten Briefe zeigen, vor vier Tagen schrieb ich es ihm auch; und diesen Brief sollst du auch lesen. Wenn du einen Rest Liebe für mich hast, schreibe mir oft: es ist mein bester Trost, und Lebensfaden; nun ich einmal diesen Brief aus dem Herzen
So hat mich denn die Tugend eingeſperrt, und der liebe Gott leidet’s: ich bin alſo muks-ſtill. So, auf ſolche Weiſe, war’s ja von je! Ich bereue nichts, denn ich konnte nichts anderes machen, und müßte es noch Einmal ſo machen, wiederholte ſich die Lage. Was nicht ſchön iſt, kam noch obenein hinzu. Eben ſo gut hätte ich dir einen luſtigen Brief, und ich bewies es ſchon, ſchreiben können: voller Dinge, die da eben vorgehen, in Laune aus Kürze vorgetragen; aber ich wollte nun einmal den innern Quell von deinem Brief erſchloſſen rein aus dem ſelten geöffneten Herzen ſpringen laſſen! Sprechen wäre frei- lich noch beſſer, aber ich bin nun nicht ſo glücklich! Es kann kommen. Wie alles! Alles iſt möglich. Am meiſten verdrießt mich, daß du mir ſagſt „ſo ein Jährchen ſetze ſich nicht in die Kleider!“ werde nur nicht am Körper vor der Zeit alt. Meiner iſt ein Held im Kampfe mit dem Alter; außer weiße Haare, ſehe ich bedeutend jünger aus als ich bin. Eigentlich möchte ich gerne ſo alt vorſtellen als ich bin: das kann ich nicht, weil ich ſo bedeutend jünger ausſehe und es immer er- klären müßte; wenigſtens oft; und dann, weil ich einen jun- gen mich ſo ſehr liebenden Mann habe. Komiſchers giebt’s nicht. Die verkehrte Krone auf meinem Schickſal, dankbar bin ich auch. Künftig ſchreibe ich dir von meinen wenigen Bekannten. — Das Berliner Theater habe ich aufgegeben. Devrient möcht’ ich ſehen! Laß dir von Theodor meine fünf letzten Briefe zeigen, vor vier Tagen ſchrieb ich es ihm auch; und dieſen Brief ſollſt du auch leſen. Wenn du einen Reſt Liebe für mich haſt, ſchreibe mir oft: es iſt mein beſter Troſt, und Lebensfaden; nun ich einmal dieſen Brief aus dem Herzen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0383"n="375"/>
So hat mich denn die Tugend eingeſperrt, und der liebe Gott<lb/>
leidet’s: ich bin alſo muks-ſtill. So, auf ſolche Weiſe, war’s<lb/>
ja von je! Ich bereue nichts, denn ich konnte nichts anderes<lb/>
machen, und müßte es noch Einmal ſo machen, wiederholte<lb/>ſich die Lage. Was nicht ſchön iſt, kam noch obenein hinzu.<lb/>
Eben ſo gut hätte ich dir einen luſtigen Brief, und ich bewies<lb/>
es ſchon, ſchreiben können: voller Dinge, die da eben vorgehen,<lb/>
in Laune aus Kürze vorgetragen; aber ich wollte nun einmal<lb/>
den innern Quell von deinem Brief erſchloſſen rein aus dem<lb/>ſelten geöffneten Herzen ſpringen laſſen! Sprechen wäre frei-<lb/>
lich noch beſſer, aber ich bin nun nicht ſo glücklich! Es kann<lb/>
kommen. Wie alles! Alles iſt möglich. Am meiſten verdrießt<lb/>
mich, daß du mir ſagſt „ſo ein Jährchen ſetze ſich nicht in<lb/>
die Kleider!“ werde nur nicht am Körper vor der Zeit alt.<lb/>
Meiner iſt ein Held im Kampfe mit dem Alter; außer weiße<lb/>
Haare, ſehe ich bedeutend jünger aus als ich bin. Eigentlich<lb/>
möchte ich gerne ſo alt vorſtellen als ich bin: das kann ich<lb/>
nicht, weil ich ſo bedeutend jünger ausſehe und es immer er-<lb/>
klären müßte; wenigſtens oft; und dann, weil ich einen jun-<lb/>
gen mich ſo ſehr liebenden Mann habe. Komiſchers giebt’s<lb/>
nicht. Die verkehrte Krone auf meinem Schickſal, <hirendition="#g">dankbar</hi><lb/>
bin ich <hirendition="#g">auch</hi>. Künftig ſchreibe ich dir von meinen wenigen<lb/>
Bekannten. — Das Berliner Theater habe ich aufgegeben.<lb/>
Devrient möcht’ ich ſehen! Laß dir von Theodor meine fünf<lb/>
letzten Briefe zeigen, vor vier Tagen ſchrieb ich es ihm auch; und<lb/>
dieſen Brief ſollſt du auch leſen. Wenn du einen Reſt Liebe<lb/>
für mich haſt, ſchreibe mir <hirendition="#g">oft</hi>: es iſt mein <hirendition="#g">beſter</hi> Troſt, und<lb/>
Lebensfaden; nun ich einmal dieſen Brief aus dem Herzen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[375/0383]
So hat mich denn die Tugend eingeſperrt, und der liebe Gott
leidet’s: ich bin alſo muks-ſtill. So, auf ſolche Weiſe, war’s
ja von je! Ich bereue nichts, denn ich konnte nichts anderes
machen, und müßte es noch Einmal ſo machen, wiederholte
ſich die Lage. Was nicht ſchön iſt, kam noch obenein hinzu.
Eben ſo gut hätte ich dir einen luſtigen Brief, und ich bewies
es ſchon, ſchreiben können: voller Dinge, die da eben vorgehen,
in Laune aus Kürze vorgetragen; aber ich wollte nun einmal
den innern Quell von deinem Brief erſchloſſen rein aus dem
ſelten geöffneten Herzen ſpringen laſſen! Sprechen wäre frei-
lich noch beſſer, aber ich bin nun nicht ſo glücklich! Es kann
kommen. Wie alles! Alles iſt möglich. Am meiſten verdrießt
mich, daß du mir ſagſt „ſo ein Jährchen ſetze ſich nicht in
die Kleider!“ werde nur nicht am Körper vor der Zeit alt.
Meiner iſt ein Held im Kampfe mit dem Alter; außer weiße
Haare, ſehe ich bedeutend jünger aus als ich bin. Eigentlich
möchte ich gerne ſo alt vorſtellen als ich bin: das kann ich
nicht, weil ich ſo bedeutend jünger ausſehe und es immer er-
klären müßte; wenigſtens oft; und dann, weil ich einen jun-
gen mich ſo ſehr liebenden Mann habe. Komiſchers giebt’s
nicht. Die verkehrte Krone auf meinem Schickſal, dankbar
bin ich auch. Künftig ſchreibe ich dir von meinen wenigen
Bekannten. — Das Berliner Theater habe ich aufgegeben.
Devrient möcht’ ich ſehen! Laß dir von Theodor meine fünf
letzten Briefe zeigen, vor vier Tagen ſchrieb ich es ihm auch; und
dieſen Brief ſollſt du auch leſen. Wenn du einen Reſt Liebe
für mich haſt, ſchreibe mir oft: es iſt mein beſter Troſt, und
Lebensfaden; nun ich einmal dieſen Brief aus dem Herzen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/383>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.