-- Es ist mir lieb, daß sich Gentz gut und glücklich fühlt; mit der Botanik des Gartens wegen, ist eine Art Narrheit: dergleichen kommt vom Geldhaben; und Sinnenmangel, Man- gel an Interesse, was man sehen und hören kann. Dann denken sie ein Garten ist hübsch mit Botanik. Beides ist hübsch! -- Die neue Bekanntschaft wird ihn wohl in der Ein- samkeit am besten amüsiren. Sonst -- müßten wir sie doch noch besser ertragen können, als er. Wir haben doch noch große Erinnrungen; er aber kennt den vorigen Gentz gar nicht: und sieht Grünes, Luft, Vögel, Stille, Wolken, nicht wie wir. Das macht er einem Andern weiß! Ich bin ihm immer gut: weil ich den vorigen nicht von dem jetzigen zu trennen ver- mag; und er selbst es nicht ganz kann; ich also wirklich einige Reste finde: die mich jetzt gefunden nicht charmiren könn- ten; mir aber den alten in die Seele hervorrufen. -- Von X. wußte mir auch Robert, der im Juli von Berlin kam, nichts zu erzählen: er sah ihn nicht. Er ist gewiß jetzt ein Herr; und vergißt seine Vergangenheit mit Gewalt. Das bin ich mir, außer von Rahel, von allen Menschen gewärtig: ohne Wunder. Sie sind nicht von der Wahrheit affizirt, nicht einzig in sie verliebt, sie lächelt ihnen auch nicht tief, und immer süß, wie mir: sie sagen sie sich nicht, wenn sie ihnen nicht auf der Stelle schmeichelt: ich sag' sie mir, und risse sie mich und mein Herz in Millionen Stücke. Sie sitzt in
An Frau von V., in Paris.
Karlsruhe, den 12. Februar 1817.
Bei ſtromregnendem Frühlingswetter 1 Uhr Mittags.
— Es iſt mir lieb, daß ſich Gentz gut und glücklich fühlt; mit der Botanik des Gartens wegen, iſt eine Art Narrheit: dergleichen kommt vom Geldhaben; und Sinnenmangel, Man- gel an Intereſſe, was man ſehen und hören kann. Dann denken ſie ein Garten iſt hübſch mit Botanik. Beides iſt hübſch! — Die neue Bekanntſchaft wird ihn wohl in der Ein- ſamkeit am beſten amüſiren. Sonſt — müßten wir ſie doch noch beſſer ertragen können, als er. Wir haben doch noch große Erinnrungen; er aber kennt den vorigen Gentz gar nicht: und ſieht Grünes, Luft, Vögel, Stille, Wolken, nicht wie wir. Das macht er einem Andern weiß! Ich bin ihm immer gut: weil ich den vorigen nicht von dem jetzigen zu trennen ver- mag; und er ſelbſt es nicht ganz kann; ich alſo wirklich einige Reſte finde: die mich jetzt gefunden nicht charmiren könn- ten; mir aber den alten in die Seele hervorrufen. — Von X. wußte mir auch Robert, der im Juli von Berlin kam, nichts zu erzählen: er ſah ihn nicht. Er iſt gewiß jetzt ein Herr; und vergißt ſeine Vergangenheit mit Gewalt. Das bin ich mir, außer von Rahel, von allen Menſchen gewärtig: ohne Wunder. Sie ſind nicht von der Wahrheit affizirt, nicht einzig in ſie verliebt, ſie lächelt ihnen auch nicht tief, und immer ſüß, wie mir: ſie ſagen ſie ſich nicht, wenn ſie ihnen nicht auf der Stelle ſchmeichelt: ich ſag’ ſie mir, und riſſe ſie mich und mein Herz in Millionen Stücke. Sie ſitzt in
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0452"n="444"/><divn="2"><head>An Frau von V., in Paris.</head><lb/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Karlsruhe, den 12. Februar 1817.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#et">Bei ſtromregnendem Frühlingswetter 1 Uhr Mittags.</hi></p><lb/><p>— Es iſt mir lieb, daß ſich Gentz gut und glücklich fühlt;<lb/>
mit der Botanik des Gartens wegen, iſt eine Art Narrheit:<lb/>
dergleichen kommt vom Geldhaben; und Sinnenmangel, Man-<lb/>
gel an Intereſſe, was man ſehen und hören kann. Dann<lb/>
denken ſie ein Garten iſt hübſch mit Botanik. Beides iſt<lb/>
hübſch! — Die neue Bekanntſchaft wird ihn wohl in der Ein-<lb/>ſamkeit am beſten amüſiren. <hirendition="#g">Sonſt</hi>— müßten wir ſie doch<lb/>
noch beſſer ertragen können, als er. Wir haben doch noch<lb/>
große Erinnrungen; er aber kennt den vorigen Gentz gar nicht:<lb/>
und ſieht Grünes, Luft, Vögel, Stille, Wolken, nicht wie wir.<lb/>
Das macht er einem Andern weiß! Ich bin ihm immer gut:<lb/>
weil ich den vorigen nicht von dem jetzigen zu trennen ver-<lb/>
mag; und er ſelbſt es nicht ganz kann; ich alſo <hirendition="#g">wirklich</hi><lb/>
einige Reſte finde: die mich jetzt gefunden nicht charmiren könn-<lb/>
ten; mir aber den alten in die Seele hervorrufen. — Von X.<lb/>
wußte mir auch Robert, der im Juli von Berlin kam, nichts<lb/>
zu erzählen: er ſah ihn nicht. Er iſt gewiß jetzt ein Herr;<lb/>
und vergißt ſeine Vergangenheit mit Gewalt. Das bin ich<lb/>
mir, außer von Rahel, von allen Menſchen gewärtig: ohne<lb/>
Wunder. Sie ſind <hirendition="#g">nicht</hi> von der Wahrheit affizirt, nicht<lb/><hirendition="#g">einzig</hi> in ſie verliebt, ſie lächelt ihnen auch nicht tief, und<lb/>
immer ſüß, wie mir: ſie ſagen ſie ſich nicht, wenn ſie ihnen<lb/>
nicht auf der <hirendition="#g">Stelle</hi>ſchmeichelt: ich ſag’ſie mir, und riſſe<lb/>ſie mich und <hirendition="#g">mein Herz</hi> in Millionen Stücke. Sie ſitzt in<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[444/0452]
An Frau von V., in Paris.
Karlsruhe, den 12. Februar 1817.
Bei ſtromregnendem Frühlingswetter 1 Uhr Mittags.
— Es iſt mir lieb, daß ſich Gentz gut und glücklich fühlt;
mit der Botanik des Gartens wegen, iſt eine Art Narrheit:
dergleichen kommt vom Geldhaben; und Sinnenmangel, Man-
gel an Intereſſe, was man ſehen und hören kann. Dann
denken ſie ein Garten iſt hübſch mit Botanik. Beides iſt
hübſch! — Die neue Bekanntſchaft wird ihn wohl in der Ein-
ſamkeit am beſten amüſiren. Sonſt — müßten wir ſie doch
noch beſſer ertragen können, als er. Wir haben doch noch
große Erinnrungen; er aber kennt den vorigen Gentz gar nicht:
und ſieht Grünes, Luft, Vögel, Stille, Wolken, nicht wie wir.
Das macht er einem Andern weiß! Ich bin ihm immer gut:
weil ich den vorigen nicht von dem jetzigen zu trennen ver-
mag; und er ſelbſt es nicht ganz kann; ich alſo wirklich
einige Reſte finde: die mich jetzt gefunden nicht charmiren könn-
ten; mir aber den alten in die Seele hervorrufen. — Von X.
wußte mir auch Robert, der im Juli von Berlin kam, nichts
zu erzählen: er ſah ihn nicht. Er iſt gewiß jetzt ein Herr;
und vergißt ſeine Vergangenheit mit Gewalt. Das bin ich
mir, außer von Rahel, von allen Menſchen gewärtig: ohne
Wunder. Sie ſind nicht von der Wahrheit affizirt, nicht
einzig in ſie verliebt, ſie lächelt ihnen auch nicht tief, und
immer ſüß, wie mir: ſie ſagen ſie ſich nicht, wenn ſie ihnen
nicht auf der Stelle ſchmeichelt: ich ſag’ ſie mir, und riſſe
ſie mich und mein Herz in Millionen Stücke. Sie ſitzt in
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/452>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.