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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

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An Frau von V., in Paris.

Bei stromregnendem Frühlingswetter 1 Uhr Mittags.

-- Es ist mir lieb, daß sich Gentz gut und glücklich fühlt;
mit der Botanik des Gartens wegen, ist eine Art Narrheit:
dergleichen kommt vom Geldhaben; und Sinnenmangel, Man-
gel an Interesse, was man sehen und hören kann. Dann
denken sie ein Garten ist hübsch mit Botanik. Beides ist
hübsch! -- Die neue Bekanntschaft wird ihn wohl in der Ein-
samkeit am besten amüsiren. Sonst -- müßten wir sie doch
noch besser ertragen können, als er. Wir haben doch noch
große Erinnrungen; er aber kennt den vorigen Gentz gar nicht:
und sieht Grünes, Luft, Vögel, Stille, Wolken, nicht wie wir.
Das macht er einem Andern weiß! Ich bin ihm immer gut:
weil ich den vorigen nicht von dem jetzigen zu trennen ver-
mag; und er selbst es nicht ganz kann; ich also wirklich
einige Reste finde: die mich jetzt gefunden nicht charmiren könn-
ten; mir aber den alten in die Seele hervorrufen. -- Von X.
wußte mir auch Robert, der im Juli von Berlin kam, nichts
zu erzählen: er sah ihn nicht. Er ist gewiß jetzt ein Herr;
und vergißt seine Vergangenheit mit Gewalt. Das bin ich
mir, außer von Rahel, von allen Menschen gewärtig: ohne
Wunder. Sie sind nicht von der Wahrheit affizirt, nicht
einzig in sie verliebt, sie lächelt ihnen auch nicht tief, und
immer süß, wie mir: sie sagen sie sich nicht, wenn sie ihnen
nicht auf der Stelle schmeichelt: ich sag' sie mir, und risse
sie mich und mein Herz in Millionen Stücke. Sie sitzt in

An Frau von V., in Paris.

Bei ſtromregnendem Frühlingswetter 1 Uhr Mittags.

— Es iſt mir lieb, daß ſich Gentz gut und glücklich fühlt;
mit der Botanik des Gartens wegen, iſt eine Art Narrheit:
dergleichen kommt vom Geldhaben; und Sinnenmangel, Man-
gel an Intereſſe, was man ſehen und hören kann. Dann
denken ſie ein Garten iſt hübſch mit Botanik. Beides iſt
hübſch! — Die neue Bekanntſchaft wird ihn wohl in der Ein-
ſamkeit am beſten amüſiren. Sonſt — müßten wir ſie doch
noch beſſer ertragen können, als er. Wir haben doch noch
große Erinnrungen; er aber kennt den vorigen Gentz gar nicht:
und ſieht Grünes, Luft, Vögel, Stille, Wolken, nicht wie wir.
Das macht er einem Andern weiß! Ich bin ihm immer gut:
weil ich den vorigen nicht von dem jetzigen zu trennen ver-
mag; und er ſelbſt es nicht ganz kann; ich alſo wirklich
einige Reſte finde: die mich jetzt gefunden nicht charmiren könn-
ten; mir aber den alten in die Seele hervorrufen. — Von X.
wußte mir auch Robert, der im Juli von Berlin kam, nichts
zu erzählen: er ſah ihn nicht. Er iſt gewiß jetzt ein Herr;
und vergißt ſeine Vergangenheit mit Gewalt. Das bin ich
mir, außer von Rahel, von allen Menſchen gewärtig: ohne
Wunder. Sie ſind nicht von der Wahrheit affizirt, nicht
einzig in ſie verliebt, ſie lächelt ihnen auch nicht tief, und
immer ſüß, wie mir: ſie ſagen ſie ſich nicht, wenn ſie ihnen
nicht auf der Stelle ſchmeichelt: ich ſag’ ſie mir, und riſſe
ſie mich und mein Herz in Millionen Stücke. Sie ſitzt in

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[444/0452] An Frau von V., in Paris. Karlsruhe, den 12. Februar 1817. Bei ſtromregnendem Frühlingswetter 1 Uhr Mittags. — Es iſt mir lieb, daß ſich Gentz gut und glücklich fühlt; mit der Botanik des Gartens wegen, iſt eine Art Narrheit: dergleichen kommt vom Geldhaben; und Sinnenmangel, Man- gel an Intereſſe, was man ſehen und hören kann. Dann denken ſie ein Garten iſt hübſch mit Botanik. Beides iſt hübſch! — Die neue Bekanntſchaft wird ihn wohl in der Ein- ſamkeit am beſten amüſiren. Sonſt — müßten wir ſie doch noch beſſer ertragen können, als er. Wir haben doch noch große Erinnrungen; er aber kennt den vorigen Gentz gar nicht: und ſieht Grünes, Luft, Vögel, Stille, Wolken, nicht wie wir. Das macht er einem Andern weiß! Ich bin ihm immer gut: weil ich den vorigen nicht von dem jetzigen zu trennen ver- mag; und er ſelbſt es nicht ganz kann; ich alſo wirklich einige Reſte finde: die mich jetzt gefunden nicht charmiren könn- ten; mir aber den alten in die Seele hervorrufen. — Von X. wußte mir auch Robert, der im Juli von Berlin kam, nichts zu erzählen: er ſah ihn nicht. Er iſt gewiß jetzt ein Herr; und vergißt ſeine Vergangenheit mit Gewalt. Das bin ich mir, außer von Rahel, von allen Menſchen gewärtig: ohne Wunder. Sie ſind nicht von der Wahrheit affizirt, nicht einzig in ſie verliebt, ſie lächelt ihnen auch nicht tief, und immer ſüß, wie mir: ſie ſagen ſie ſich nicht, wenn ſie ihnen nicht auf der Stelle ſchmeichelt: ich ſag’ ſie mir, und riſſe ſie mich und mein Herz in Millionen Stücke. Sie ſitzt in

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/452>, abgerufen am 22.11.2024.